Düsseldorf. Die Linke in NRW kommt auf keinen grünen Zweig, floppt bei Wahlen. Welche sind die Gründe für die Misere der Partei? Eine Analyse.
Der Beginn des Niedergangs der Linken in NRW lässt sich gut an einem Datum festmachen, am 14. März 2012. An diesem Tag scheiterte der Haushalt der rot-grünen Landesregierung am Nein von CDU, FDP und Linken. „Sudden death“ soll der Linken-Abgeordneter Rüdiger Sagel nach der Abstimmung gescherzt haben. Was er damals vielleicht ahnte: Seine Partei hatte nicht nur der Regierung, sondern gleich auch sich selbst den „plötzlichen Tod“ beschert. Es gab Neuwahlen, die Linke flog aus dem Parlament, Rot-Grün feierte gleich darauf Wiederauferstehung und regierte fünf weitere Jahre.
„Wir leiden heute noch darunter, dass wir 2012 fahrlässig aus dem Landtag ausgeschieden sind“, ärgert sich der Essener Wolfgang Freye, ein Urgestein der Linken in NRW und Fraktionschef seiner Partei im Ruhrparlament. Zwischen 2010 und 2012 tolerierte die Linke die rot-grüne Landesregierung, war damals also in gewisser Hinsicht staatstragend. Heute ist sie ein Reparaturfall. 3,7 Prozent der Stimmen holte die Linke bei der Bundestagswahl in NRW. In einem Land, in dem relativ viele Menschen in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Ausgerechnet hier schnitt die Partei noch schlechter ab als die Linke bundesweit, der mit Ach und Krach über drei Direktmandate der Sprung in Fraktionsstärke in den Bundestag gelang.
„Die Tribüne des Klassenkampfes“
Wolfgang Freye kennt die Geschichte dieser Partei mit ihren Höhen und Tiefen. Er hat sich über Wahlergebnisse von zehn Prozent und mehr in einigen Ruhrgebiets-Stadtteilen gefreut, als die SPD wegen der Hartz-Reformen der Regierung Schröder von früheren Stammwählern geschnitten und verachtet wurde. Freye trat 1993 in die damalige PDS ein, war neun Jahre lang Schatzmeister der Linken in NRW, und wundert sich manchmal immer noch über deren Facetten.
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Als die Linke im Landtag war, hätten einige in der Fraktion geglaubt, das Parlament sei „die Tribüne des Klassenkampfes“, erinnert sich Freye. Die für Normalbürger befremdliche Sprache der Ideologie taucht auch heute noch in manchen Mitteilungen und Schriften auf. Wer sich durch die Homepage der NRW-Linken klickt, stößt zum Beispiel auf das Landtagswahlprogramm 2017 mit einem Titel, der aus der Zeit gefallen scheint: „Aufbruch zu einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
Die NRW-Linke ist eine Heimat für harte Ideologen und für brave Gewerkschafter, und das macht es kompliziert. Man muss sogar den Eindruck gewinnen, dass es in NRW nicht eine Linkspartei gibt, sondern gleich mehrere: eine sozialdemokratische, eine sozialistische, eine kommunistische, eine friedensbewegte und noch ein paar mehr, die sich zwischen der Klammer „soziale Gerechtigkeit“ treffen. Strömungen und Lager findet man auch bei SPD, CDU, Grünen und FDP aber in der Linken sind sie unfreundlicher zueinander.
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Reizfigur Sahra Wagenknecht
Die Linke in NRW wurde und wird teilweise immer noch von Strömungen wie der Antikapitalistischen Linken (AKL) oder dem Lager um Sahra Wagenknecht dominiert, und da stehen oft Interessen und Befindlichkeiten dieser Strömungen im Vordergrund und zu wenig das Gemeinsame. Das ist ein Problem, das auch bei der Wahl der Liste zum Bundestag deutlich wurde. „In der Folge haben Teile der Partei kaum Wahlkampf gemacht“, erklärt Freye. In der inzwischen in NRW schwächer gewordenen AKL sei zudem die Vorstellung verbreitet, dieser Landesverband müsse stets der linkste von allen sein.
Kurios: Ausgerechnet die einzige Prominente der NRW-Linken, Sahra Wagenknecht, eine Frau, die seit Jahren Stammgast in Talkshows ist und der sogar ein bürgerliches Publikum zuhört, sah sich nach der Veröffentlichung ihres Buches „Die Selbstgerechten“ mit einem inzwischen abgeschmetterten Parteiausschlussverfahren konfrontiert. Man nimmt ihr diverse Aussagen zur Zuwanderung übel, und dass sie sich mit Teilen der Parteielite anlegt. Die Außenwirkung solcher Kämpfe ist fatal. „Ich bin inhaltlich nicht bei Wagenknecht, insbesondere nicht bei ihren Aussagen zu Migration. Aber ein Ausschluss geht gar nicht“, findet Wolfgang Freye. „Wir müssen uns sachlich mit ihrer Kritik auseinandersetzen und vor allem die Fragen klären, die anstehen. Soziales und Menschenrechte sind doch kein Gegensatz, im Gegenteil!“
Soziale Gerechtigkeit als Markenkern
Christian Leye aus Bochum ist einer von zwei Landes-Chefs der aktuell 9150 Mitglieder zählenden Linken und gehört dem neuen Bundestag an. Leye zählt zum Wagenknecht-Lager und sieht die Verantwortung für die Krise nicht in NRW. „Die schlechten Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl gehen primär auf einen Bundestrend zurück, der auch uns in NRW trifft. Die Wählerinnen und Wähler schauen auch in NRW sehr auf die Bundespartei und die Probleme dort. Dieser Trend nach unten hält schon seit mehreren Wahlen an“, analysiert Leye.
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Die Partei müsse jetzt „respektvoll und solidarisch“ die Ursachen für ihre schlechten Wahlergebnisse aufarbeiten. Die Linke befinde sich in einer Zangen-Bewegung: Sie habe sowohl in ihrem klassischen Milieu – normale Erwerbstätige, Geringverdiener, Arbeitslose – als auch im jungen, akademischen, städtischen Milieu Zustimmung verloren. „Wenn wir unser klassisches Milieu aber nicht erreichen, dann sind wir als linke Partei überflüssig“, warnt Leye.
Der Markenkern der Linken, sagt er, sei die soziale Gerechtigkeit. „Wir müssen Wege finden, dass linke Diskussionen bei den Menschen wieder als etwas wahrgenommen werden, dass sie betrifft – und dafür müssen wir vielleicht auch mal den Mut haben, akademische Diskussionen, die wenig mit der Lebensrealität der Menschen zu tun haben, links liegen zu lassen.“
Forscher: Linke ist „zweite Wahl“
Der Berliner Wahlforscher Horst Kahrs hat in seiner Analyse des desaströsen Abschneidens der Linken bei der Bundestagswahl das Wählerpotenzial dieser Partei auf immerhin 15 Prozent beziffert. Für viele Wähler sei sie allerdings nur noch „zweite Wahl“. Die Linke müsse sich daher, wenn sie wieder erfolgreich sein wolle, von ihrer selbst gewählten Rolle als „Reparaturbetrieb der Sozialdemokratie“ verabschieden und sich nicht über die Mängel von SPD und Grünen definieren.
Wolfgang Freye dringt darauf, den Markenkern „soziale Gerechtigkeit“ zu retten. Klimaschutz sei ebenfalls wichtig, aber auch der müsse sozial abgefedert sein. „Warum“, wundert sich Freye, „bekommen Hartz IV-Bezieher eigentlich immer nur den billigsten Kühlschrank und nicht den klimafreundlichsten?“
„Tiefe Spaltung geht durch die Partei“
Der Düsseldorfer Politik-Professor Stefan Marschall analysiert die Krise der Linken. Mit ihm sprach Matthias Korfmann.
Professor Marschall, warum war die Linke bei der Bundestagswahl so schwach?
Stefan Marschall: Auf den ersten Blick ist das erstaunlich, denn eigentlich müsste sie jetzt eine Hoch-Zeit haben. Die Pandemie verunsichert viele Menschen, das Thema soziale Gerechtigkeit ist wichtiger geworden. Die Linke leidet aber unter strukturellen Schwächen und internen Problemen. Das hat Tradition: Konflikte in der Parteispitze, zwischen Parteispitze und Fraktionsführung, innerhalb der Fraktion, Lagerbildung, der Streit um Sahra Wagenknecht. Die Partei-Eliten ticken anders als die eher konservativen Mitglieder. Diese Zerrissenheit hat ihren Ursprung in den zwei Polen dieser Partei: Ein westlicher mit einem eher städtischen Publikum, höherer Bildung und höheren Einkommen und ein östlicher, der seine Basis stärker in sozial schwachen Milieus findet. Diese tiefe Spaltung – urbanes, bildungsstarkes gegen sozial schwaches Milieu -- zieht sich durch die ganze Partei. Hinzu kommt, dass die Linke, besonders im Osten, Konkurrenz durch die AfD bekommen hat, die ebenfalls das sozial schwache Milieu umwirbt. Die Linke gilt im Osten nicht mehr als Protest- und Oppositionspartei, zumal sie auch in Regierungsverantwortung ist.
Warum kommt die Linke in NRW auf keinen grünen Zweig?
Das linke urbane Milieu in NRW orientiert sich stark hin zu den Grünen, die als Opposition pointierte Positionen bezieht und ohnehin eher als linker grüner Landesverband gilt. Auf der anderen Seite wandern im Ruhrgebiet soziale schwache Milieus zur AfD oder wieder zurück zur SPD. Das ist eine für die Linke dramatische Zangen-Situation.
Früher galt die Linke in NRW als radikal. Ist das noch so?
Tendenziell ja. Ihre Positionen hier sind viel weiter links als im Osten. Auch unter den westdeutschen Landesverbänden gilt die NRW- Linke als besonders links. Zu dieser ideologischen Besonderheit kommt, dass diese Partei in NRW nur zwei Jahre im Landtag saß. Das war viel zu kurz, um sich zu professionalisieren, einen schlagkräftigen Landesverband aufzubauen, die Partei zusammen zu halten und eine solide kommunale Basis aufzubauen. In anderen Ländern konnte sich die Linke über eine langjährige Vertretung in den Parlamenten etablieren.
Hat Sahra Wagenknecht Recht, wenn sie sagt, die Linke habe sich von normalen Arbeitnehmern und Rentnern entfernt?
Für die Parteieliten trifft das wohl zu. Die Linke steht mehr denn je vor der Frage, was für eine Partei sie eigentlich sein will. Übrigens ist die Linke in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Linksparteien in Europa, zum Beispiel „Podemos“ in Spanien, keine populistische Partei. Das ist ein Markenzeichen der Linken hier. Aus demokratietheoretischer Sicht ist das wohl auch gut so, andererseits verliert sie dadurch die Verbindung zu den sozial schwächeren Milieus.
Könnte die NRW-Linke erfolgreicher sein?
In NRW bleibt ihr wegen der Konkurrenz aus Grünen und SPD wenig Platz. Sie kann sich nur wünschen, dass Olaf Scholz Bundeskanzler wird. Dann könnte sie sich als Alternative zu SPD und Grünen profilieren. Ohne Kanzler Gerhard Schröder wäre ein Erfolg der WASG seinerzeit auch nicht denkbar gewesen.
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