Herne/Bochum. Anna di Bari (24) will für die Herner Grünen in den Bundestag. Nun ist sie im Haustür-Wahlkampf unterwegs. Dabei erlebt sie auch Anfeindungen.

10.000 Haustür-Besuche will Anna di Bari (24) bis zur Bundestagswahl am 23. Februar in Herne sowie im Bochumer Norden und Osten abreißen. Das ist Klinken putzen, wörtlich genommen - und ein umso ambitionierteres Unterfangen, wenn man für die Grünen um Stimmen kämpft, die - befeuert vor allem von der rechtsextremen AfD, der Springer-Presse und Teilen der CDU/CSU - für einige zum roten Tuch geworden sind.

So auch im Herner Wahlkreis. „Einige schlagen die Tür zu. Oder sie sagen: Hier ist die Tür, da können Sie rausgehen“, erzählt die Bochumerin mit italienischen Wurzeln. Ein Mann habe nicht geöffnet, sie aber offenbar anschließend vom Fenster aus beobachtet. Als sie wenige Minuten später wieder bei ihm vorbeigekommen seien, sei er aus dem Haus gestürmt und haben ihnen hinterher geschrien, dass er von Grünen keine Post wolle. Und: „Wie wir es überhaupt wagen könnten, bei ihm etwas einzuwerfen.“ Solche Erfahrungen („es gibt auch Zustimmung“) hielten sie aber nicht davon ab, neben Quartieren mit großen „Mobilisierungspotenzial“ für ihre Partei in Herne auch dorthin zu gehen, wo es bei der Europawahl eine besonders geringe Wahlbeteiligung und hohe Zustimmungswerte für die AfD gegeben haben - so wie in Bickern und Unser Fritz.

Die einzige Frau im Herner Kandidatenfeld

Grünen-Politikerin di Bari kandidiert für den Bundestag

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    Unter den Herner Bundestagskandidaten sticht Anna di Bari heraus, nicht nur, weil sie die einzige Frau ist. Eine Art Turbostart hat sie 2020 hingelegt, als sie - 20 Jahre jung und gerade mal ein knappes Jahr in der Partei - nach der Kommunalwahl in gleich drei Gremien einzog: in die Bezirksvertretung Bochum-Mitte, das Ruhr-Parlament und dank des überragenden Grünen-Ergebnisses über Listenplatz 19 überraschend auch noch in den Bochumer Rat. Doch damit nicht genug. Sie wurde zur stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin gewählt und einige Monate später auch noch zur Vorsitzenden des Bochumer Sozialausschusses.

    Und es ging weiter: 2022 verfehlte sie bei der Landtagswahl nur knapp den Einzug ins NRW-Parlament. Nun unternimmt die Bari also den nächsten Anlauf. Sie sehe eine „realistische Chance“, sagt sie, über ihren NRW-Listenplatz 23 den Sprung in den Bundestag zu schaffen. Dass sie kurz nach ihrem Abschluss an der Uni Witten/Herdecke in Philosophie, Politik und Ökonomik - Thema der Bachelor-Arbeit: „Der Status quo der italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland“ - den nächsten Versuch unternimmt, Berufspolitikerin zu werden, sei nicht ihr „großer Antrieb“, sondern eine zwangsläufige Entscheidung gewesen. „Politik ist für mich alternativlos. Wo hat man denn sonst eine so große Möglichkeit, an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuwirken.“ Hinzu komme: Deutschland stehe an einem gesellschaftlichen Kipppunkt: „2029 könnte es schon zu spät sein.“

    
Bei der Aufstellung der Liste der NRW-Grünen für die Bundestagswahl am 23. Februar unterlag Anna di Bari im Kampf um Listenplatz 21 und wurde anschließend auf Platz 23 gewählt. Dieser Platz eröffne ihr „realistische Chancen“ auf einen Einzug  in den Bundestag, sagt sie.
    Bei der Aufstellung der Liste der NRW-Grünen für die Bundestagswahl am 23. Februar unterlag Anna di Bari im Kampf um Listenplatz 21 und wurde anschließend auf Platz 23 gewählt. Dieser Platz eröffne ihr „realistische Chancen“ auf einen Einzug in den Bundestag, sagt sie. © Grüne NRW | Nils Leon Bauer

    Die Kandidatur sei ihr von den Herner Grünen - so wie bei der Kommunalwahl 2020 vom Bochumer Kreisverband - angetragen worden. Bezüge zum Kerngebiet ihres Wahlkreises habe sie als Bochumerin durchaus. „Als Kind habe ich viel Zeit in Herne verbracht, zum Beispiel im Gysenberg-Park, im Schlosspark Strünkede und auf der Cranger Kirmes.“ Und auch politisch habe es ebenfalls immer wieder Schnittmengen gegeben.

    Als Schwerpunkt für ihren Wahlkampf habe sie Sozialpolitik gewählt, weil dies fürs Ruhrgebiet und insbesondere auch für Herne ein besonderes wichtiges Thema sei. Auf ihrem Kandidatinnenflyer listet sie Ziele wie Kindergrundsicherung, eine auskömmliche Rente und bezahlbare Mieten auf. Die Begriffe Asyl oder Migration finden sich dort nicht, was umso mehr überrascht, wenn man weiß, dass Anna di Bari dem Bundesvorstand der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye angehört.

    Kochen die Herner Grünen und ihre Kandidatin Asyl- und Migrationspolitik auf Sparflamme, weil es zurzeit ein „Verliererthema“ ist? Nein, das sei nicht der Fall, erklärt sie. In der Asyldebatte sei man jedoch an einem Punkt, wo es nichts bringe, einfach nur „einen Satz hinzuschreiben“. Natürlich könne man dieses Thema im Wahlkampf nicht umgehen - und das nicht nur, weil es die Menschen derzeit stark beschäftige. Auch die Arbeitgeberverbände seien sich einig, dass es ohne Migration nicht gehe. „Wer soll diese Land denn zukünftig am Laufen halten? Es wäre fatal, so zu tun, als bräuchten wir keine Migration.“ Es gehe aber nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die Frage: „Wie geht eine Gesellschaft mit Menschen um, die besonders schutzlos sind?“

    Anna di Bari will für andere Mehrheiten in der Partei kämpfen

    Bei den Antworten räumten die Grünen allerdings zuletzt einige Positionen und näherten sich dem harten Kurs anderer Parteien an. Gibt es für die Seenot-Retterin Anna di Bari eine rote Linie, bei der sie die Partei verlassen würde? „Ich tue mich schwer damit, rote Linien zu definieren“, sagt sie. Und es sei ja auch nicht so, dass sie allein gegen den Rest der Partei kämpfe - die jüngsten Beschlüsse seien recht knapp ausgefallen. Sie kämpfe für „andere Mehrheiten“ in der Partei., die sie auch für möglich halte. Und auch das sagt di Bari: Die Grünen hätten noch immer eine „progressive Migrationspolitik“, die es gesellschaftlich durchzusetzen gelte.

    Für Anna di Bari schwer vorstellbar: Friedrich Merz als Bundeskanzler einer schwarz-grünen Regierung.
    Für Anna di Bari schwer vorstellbar: Friedrich Merz als Bundeskanzler einer schwarz-grünen Regierung. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

    Ob das in einer schwarz-grünen Bundesregierung unter einem Bundeskanzler Friedrich Merz möglich wäre? Die Herner Grünen-Stadtverordneten Justus Lichau und Anna Schwabe sagten jüngst im WAZ-Interview, dass Schwarz-Grün unter einem Kanzler Merz für sie unvorstellbar wäre. „Dem kann ich nicht widersprechen“, so di Bari. Sie könne aber auch nicht verneinen, dass die Partei in einer Koalition Kompromisse eingehen müsse. Nach der Wahl müsse man sich Gedanken machen, sagt sie. Und sie fügt hinzu: „Für Grüne geht es um Inhalte.“

    Entweder/oder

    Veggie-Burger oder Currywurst?

    Anna di Bari: Kann ich auch Veggie-Currywurst sagen? Currywurst ist gut, aber ich esse kein Fleisch.

    Schauspielhaus oder VfL Bochum?

    Eine schwierige Frage ... . Tatsächlich war ich 2024 häufiger beim VfL als im Schauspielhaus. Also: VfL

    Beyoncé oder Herbert Grönemeyer?

    Ganz klar: Herbert Grönemeyer.

    Herbert Grönemeyer (im Bild beim Auftritt 2024 in Bochum) oder Beyoncé? Für Anna di Bari keine Frage.
    Herbert Grönemeyer (im Bild beim Auftritt 2024 in Bochum) oder Beyoncé? Für Anna di Bari keine Frage. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

    Zur Person: Der Großvater kam aus Italien ins Ruhrgebiet

    • Ein „politisches“ Amt übernahm Anna di Bari in ihrer Heimatstadt Bochum bereits im Alter von 13 Jahren: Sie wurde Schülersprecherin am Graf-Engelbert-Gymnasium.
    • Ihre Familie - sie hat einen Zwillingsbruder - hat italienische Wurzeln: Der Großvater kam vor mehr als 60 Jahren aus einem kleinen Ort in Apulien ins Ruhrgebiet, um unter Tage zu arbeiten. Er heiratete eine deutsche Frau und betrieb später in Deutschland ein Eiscafé. Seit 1989 leben die Großeltern von Anna di Bari wieder in Italien.

    Warum ist Café Wiacker in Herne-Mitte der Treffpunkt für den Foto- und Videotermin mit der WAZ?

    Als Treffpunkt habe sie das Café Wiacker in Herne-Mitte ausgewählt, weil es für die aus der Türkei nach Herne gezogenen Protagonistin des Romans „Geliebte Mutter“ ein Zufluchtsort in einer schwierigen Familiensituation gewesen sei. Çiğdem Akyols Debütroman sei das letzte Buch gewesen, was sie sehr geprägt und „abgeholt“ habe - „auch weil viele Erzählungen in meiner Familien, in der mein Opa als Gastarbeiter ins Ruhrgebiet kam, eine Art kollektive Erinnerung für viele Menschen hier sind.“