Herne/Bochum. Seit Gründung waren die Herner Grünen noch nie im Bundestag, Landtag oder EU-Parlament vertreten. Mit Anna di Bari (23) soll sich das ändern.
Diese Personalie bei den Herner Grünen lässt aufhorchen: Die Bochumer Grünen-Stadtverordnete Anna di Bari hat sich am Mittwoch offiziell bei den Mitgliedern darum beworben, bei der Bundestagswahl im Oktober 2025 im Wahlkreis Herne-Bochum II anzutreten. Sowohl der Herner Kreisverband als auch die 23-Jährige rechnen sich gute Chancen aus. Die Wahlkreisversammlung der Grünen findet am 3. Juli statt.
Wenn di Bari über die Reserveliste der Partei den Einzug in den Bundestag schaffen sollte, wäre das für die Herner Grünen eine Premiere. Denn: Seit der Gründung des Kreisverbandes Anfang der 80er Jahre hat noch nie ein Grüner/eine Grüne aus Herne den Sprung in Landtag, Bundestag oder EU-Parlament geschafft.
An einen Sieg im Wahlkreis glaubt bei den Grünen niemand, an einen aussichtsreichen, sprich: zum Einzug in den Bundestag reichenden Platz auf der Reserveliste der Partei aber sehr wohl. „Mit Anna di Bari haben wir eine Kandidatin gefunden, die alles mitbringt, um sich einem Listenprozess sowohl im Bezirk Ruhr als auch auf Landesebene erfolgreich zu stellen“, sagt Stefan Kuczera, Co-Vorsitzender der Herner Grünen. „Gefunden“ heißt: Sie seien aktiv auf die junge Politikerin zugegangen, um ihr die Kandidatur in Herne nahezulegen.
Bei der Landtagswahl 2022 hatte sich die Studentin der Philosophie, Politik und Ökonomik an der Uni Witten/Herdecke - sie steht kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss - schon einmal dem harten internen Listenkampf der NRW-Grünen gestellt. Auf Platz 41 scheiterte sie damals nur knapp, die Liste zog bis Platz 39.
Trotz dieser „Niederlage“ gibt es bei di Bari eine für eine Grüne (und noch dazu in diesem Alter) ungewöhnliche Mandatshäufung: Die 23-Jährige ist in Bochum seit 2020 Grünen-Stadtverordnete und Vorsitzende des Sozialausschusses, Bezirksverordnete und stellvertretende Bezirksbürgermeisterin in Bochum-Mitte sowie Mitglied im Ruhrparlament des RVR. Hinzu kommt: Neben ihrem Studium war sie bis Ende Mai Leiterin des Bochumer Büros von Max Lucks (27), dem Grünen-Bundestagsabgeordneten im Wahlkreis Bochum I.
Politisch aktiv sei sie schon als Jugendliche gewesen, sagt di Bari im Gespräch mit der WAZ. In die Partei sei sie kurz nach der Europawahl 2019 eingetreten. Sie habe sich zwar auch mit Umweltthemen befasst, aber besonders wichtig sei ihr immer das Thema „Flucht“ und das Ziel einer modernen Einwanderungsgesellschaft gewesen. Das soll so bleiben: Sozialpolitik und Migrationspolitik will sie im Falle einer Nominierung im Bundestagswahlkampf in den Fokus rücken.
Das Thema Migration hat für Anna di Bari auch eine persönliche Komponente. In ihrem Bewerbungsschreiben berichtet sie, dass ihr Großvater vor mehr als sechs Jahrzehnten aus Süditalien ins Ruhrgebiet gekommen sei. „Er kam, um zu arbeiten. Er blieb, weil er hier heiratete, sich später selbstständig machte und seine Kinder hier zur Welt kamen.“ In vielen Fällen sei Einwanderung aber keine Geschichte des wirklichen Ankommens - so auch in ihrer Familie: „Mein Opa blieb nicht für immer, auch, weil es in dieser Gesellschaft für ihn und viele andere keinen Platz gab.“
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Und was sagt Anna di Bari zum parteiintern umstrittenen Asyl-Kurs der Grünen in der Ampelregierung? Es gebe zwar auch positive Aspekte wie zum Beispiel die Aufhebung von Arbeitsverboten, erklärt sie. Aber unterm Strich sei festzustellen, dass sich ihre Partei „einem politisch erzeugten Druck“ hingegeben habe. Dahinter habe wohl der Wunsch gestanden, das rechte Lager nicht weiter zu stärken: „Diese Einschätzung war falsch.“
Bundestagswahl: Und das ist der Stand bei anderen Herner Parteien
- Eine Gegenkandidatur ist für Anna di Bari bei den Herner Grünen derzeit nicht in Sicht. Ganz anders ist die Lage bei der SPD, wo von Parteichef Hendrik Bollmann und Gewerkschafterin Sarah Jansen bereits zwei Bewerbungen vorliegen. Voraussichtlich am 14. September kommt es bei einem Herner SPD-Parteitag zur (Vor-)Entscheidung. Die amtierende SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering - seit 2013 im Bundestag - tritt bekanntlich nicht mehr an.
- Der CDU-Kreisvorstand hat sich bereits für eine erneute Kandidatur von Parteichef Christoph Bußmann ausgesprochen, der bereits 2021 ins Rennen gegangen war. Die Nominierung steht noch aus; weitere Bewerbungen sind derzeit nicht bekannt.
- Nicht mit Namen dienen können FDP, Linkspartei und AfD: In allen Parteien steht die Entscheidungsfindung noch an. FDP-Chef Thomas Bloch schließt zumindest für sich eine Bewerbung aus, Linken-Vorsitzender Patrick Gawliczek will sich auch dazu derzeit nicht äußern.
- Nicht vor 2025 wird wohl beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Kandidaten-Frage in Herne geklärt. Zunächst müsse sich im Herbst/Winter in NRW ein BSW-Landesverband und anschließend ein Kreisverband konstituieren, erklärt BSW-Gründungsmitglied Norbert Arndt.
- Bei der Bundestagswahl 2021 siegte im Wahlkreis Herne - Bochum II die Sozialdemokratin Michelle Müntefering mit 43,4 Prozent der Erststimmen vor Christoph Bußmann (CDU) mit 19,8 Prozent und Jacob Liedtke (Grüne) mit 11,7 Prozent.