Herne. „Humanitäres Armutszeugnis“: Die Kritik von Grüner Jugend und Jusos in Herne an der EU-Asyleinigung und an der eigenen Partei ist heftig.

Die Einigung zur Asylpolitik in der EU mit Zustimmung der Ampelregierung hat im Bund bei Jusos und Grüner Jugend harsche Kritik und empörte Kommentare ausgelöst. So auch in Herne. Die Grüne Jugend ist bestürzt über das Verhandlungsergebnis, spricht von einem „humanitären Armutszeugnis“ und wirft den Spitzen der eigenen Partei ein beschämendes Verhalten vor. Die Jusos bezeichnen die Einigung auf EU-Ebene als „Schande“. Und ein SPD-Ortsvereinsvorsitzender warnt die Partei vor der „Zerstörung ihres eigenen Milieus“.

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Mit dem Beschluss über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) würden Grenzlager wie in Moria zum politisch gewollten Dauerzustand, erklären Justus Lichau und Anna Schwabe von der Grünen Jugend Herne (GJ), die für ihre Partei auch Mitglied im Rat der Stadt sind. „Wir sind entsetzt über die Ergebnisse der Luxemburger Konferenz, mit denen das Menschenrecht auf Asyl bis zur Unkenntlichkeit entkernt wird“, heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen Jugend.

Mit der geplanten Ausweitung der sogenannten „sicheren Drittstaaten“ sowie die dem Asylverfahren vorgeschaltete Zugangskontrolle, die Menschen das Recht auf eine individuelle Prüfung ihres Asylbegehrens verweigere, würde das Schutzniveau Geflüchteter auf das Level vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sinken. Das sei ein humanitärer Rückfall und ein dramatischer Fehler der Bundesregierung. „Dass Innenministerin Nancy Faeser als Sozialdemokratin nach Verhandlungen, in denen sie keinen positiven Einfluss nehmen konnte und sich rechter Populismus in weiten Teilen durchgesetzt hat, von einem ,historischen Erfolg’ spricht, ist nichts als blanker Hohn: für Menschen mit Fluchtgeschichte und alle, die sich in Beruf oder Ehrenamt für ihren Schutz und ihre Rechte einsetzen.“, kritisiert GJ-Sprecherin Anna Schwabe.

Darüber hinaus müsse die Frage aufgeworfen werden, warum sich die Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung an einem so neuralgischen Punkt faktisch nicht ausgewirkt habe: „Der Beschluss zur GEAS-Reform widerspricht allen Grundwerten der Grünen Partei und der im Koalitionsvertrag ausgehandelten Position.“ Zahlreiche Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger der verschiedenen Gliederungen hätten im Vorfeld die Grünen-Mitglieder in der Bundesregierung sowie die Spitzen in Partei und Fraktion aufgefordert, an diesem Punkt nicht nachzugeben. „Dass nun dennoch zugestimmt wurde, ist schlichtweg beschämend und muss Konsequenzen haben“, fordert Justus Lichau.

Grüne Jugend Herne: Dieser Kampf ist noch nicht verloren

Die Hoffnung liege nun auf den Grünen-Abgeordneten des Europaparlaments, die noch verhindern könnten, dass die Abschottung Europas Gesetz werde. „Die Reaktionen auf den gefassten Beschluss zeigen, dass dieser Kampf noch nicht verloren ist. Nun muss die lautstarke Kritik – gerade auch in Herne als Kommune, die sich zum „sicheren Hafen“ erklärt hat – über die kommenden Monate getragen werden, um den Druck aufrecht zu erhalten“, so Anna Schwabe.

Hintergrund: Der Herner Rat hat im Juni 2021 auf Initiative von Justus Lichau und auf Antrag der Grünen beschlossen, dem kommunalen Bündnis „Städte sicherer Häfen“ beizutreten. Der Beschluss beinhaltet unter anderem den Einsatz für „sichere Fluchtwege, staatliche Seenotrettungsmissionen und eine menschenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden“.

+++ „Sicherer Hafen“: Breite Mehrheit für mehr Schutz von Geflüchteten +++

Protest gibt es auch vom Herner SPD-Nachwuchs. Die Herner Jungsozialisten stünden voll und ganz hinter der Kritik der Bundes-Jusos am Beschluss zur EU-Asylpolitik: „Die neuen Bestimmungen dienen lediglich der Legalisierung von Rechtsbrüchen. Es ist eine absolute Schande und zutiefst beschämend für jeden Sozialdemokraten und jede Sozialdemokratin“, erklärt die Herner Juso-Doppelspitze Amelie Menges und Alexander Stahl auf Anfrage der WAZ. Den 2012 erhaltenen Friedensnobelpreis könne die EU nach Einführung der vereinbarten Praxis im Mittelmeer versenken.

„Wer die Ideen rechter Menschenfeinde kopiert, stärkt sie am Ende nur“, so Menges und Stahl. Bundesinnenministerin Nancy Faeser prognostizierten sie eine „krachende Niederlage“, wenn diese versuche, damit als SPD-Spitzenkandidatin bei der Hessenwahl am 8. Oktober in rechten Milieus auf Stimmenfang zu gehen.

Zu Wort meldet sich auch Flemming Menges, Chef des SPD-Ortsvereins Sodingen. Auch bei Ortsvereinsvorsitzenden und im Herner SPD-Unterbezirksvorstand gebe es Kritik, betont er gegenüber der WAZ. Und diese Kritik sei vor dem Hintergrund, dass die Personaldecke der SPD auch in Herne nicht die dickste sei, relevant. „Denn aktuell sieht es so aus, dass gerade die linkeren Genoss:innen auf der Straße stehen und aktiv im Wahlkampf sind.“, so der Bruder von Amelie Menges, die den Ortsverein Herne-Mitte führt.

Man frage sich mittlerweile schon, ob man nur das Feigenblatt für eine eigentlich konservativere Politik sei: „Wenn man als Parteilinker also eigentlich nur noch dafür gebraucht wird, um im Wahlkampf die linken Wähler:innen ,abzuholen’, dann aber Schuldenbremse, 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr und eine menschenrechtsfeindliche Asylpolitik bekommt, muss man sich schon fragen, ob man echter sozialdemokratischer Politik nicht einen Bärendienst erweist“, so Flemming Menges.

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Man dürfe aber nicht verhehlen, dass ein Teil der Herner Genossinnen und Genossen gar kein Problem mit derlei Beschlüssen habe. Menges: „Wenn die SPD so weiter macht, betreibt sie gesellschaftspolitisch nicht nur das Klima für einen Wahlerfolg der AfD und der CDU, sondern zerstört ihr eigenes Milieu.“