Herne. Tausende Kinder durften bei Monika Müller einiges lernen, was über Mathe und Deutsch hinausgeht. 31 Jahre war sie Lehrerin – und das mit viel Herz.
Wenn Monika Müller von ihrem bevorstehenden Abschied von Kindern und Kollegen an der Grundschule Kunterbunt spricht, treten ihr unweigerlich Tränen in die Augen. Im Gespräch mit der langjährigen Schulleiterin ist förmlich zu spüren, mit wie viel Liebe und Herzblut sie all die Jahre bei der Arbeit war. Sie wollte etwas bewegen, den Kindern Halt und ein offenes Ohr geben – und die haben das offensichtlich auch gespürt.
„Es gab die Zeit, da haben mich Kinder nicht mehr ,Du und Frau Müller‘ genannt, sondern ,Mama‘“, erinnert sich die Schulleiterin. „Das hat mich sehr erschrocken.“ Diese spontane Anrede zeigt aber auch, welche Zuneigung und Bindung viele Kinder in all den Jahren für Monika Müller empfanden. Einige dieser Schülerinnen und Schüler würden es vom eigenen Elternhaus nicht kennen, Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu erfahren, erläutert sie. „Man merkt oft an Kindern, dass ihnen eine Person fehlt, die für das Kind da ist.“
Denn viele Kinder der Grundschule Kunterbunt leben in schwierigen sozialen Verhältnissen. Die Zusammensetzung ist – wie schon der Name sagt – kunterbunt. Derzeit lernen hier 436 Kinder aus 22 Nationen unter einem Dach. Viele der Kinder können kein Deutsch, wenn sie in die Schule kommen und waren noch nie in einer Kita, sagt Müller. „Diese Kinder sollen künftig vor der Einschulung zweimal in der Woche zu uns kommen, um schon mal die deutsche Sprache zu lernen“, so die Schulleiterin weiter. Außerdem werde so schonmal geübt, wie Schule und das soziale Lernen funktioniere. Durch den hohen Sozialindex 8 und die Aufnahme in das Startchancen-Programm (die WAZ berichtete), erhofft sie sich vor allem zusätzliches Personal.
Bochumerin wechselte 2009 als Schulleiterin nach Herne
Im Jahr 2009 wechselte Monika Müller aus Bochum zunächst an die Grundschule am Berliner Platz. „Wir mussten dort viel aushalten“, erinnert sich die Schulleiterin. Wegen Hausschwamm musste sie mit ihrem Team und der Schülerschaft 2012 vorübergehend in die VHS umziehen, dann sei es zurück ins renovierte Gebäude gegangen. Aber nur für sieben Jahre. Dann schloss sich die Schule mit der Grundschule Schulstraße zusammen und zog schließlich als Grundschule Kunterbunt an den neuen Standort an der Neustraße. „Das war ein schwieriger Schritt, weil wir plötzlich nicht mehr 240, sondern 430 Kinder hatten.“ Vorher habe sie noch jedes Kind beim Namen gekannt, das sei dann nicht mehr möglich gewesen.
Aber der Umzug hatte auch gute Seiten. So sei im jetzigen Gebäude viel Platz – der auf dem Schulhof aber leider fehle. Während die Toiletten am Berliner Platz regelmäßig abgezogen werden mussten, da sie so stanken, gebe es nun sogar selbst reinigende Urinale. Und auch die technische Ausstattung sei mit der Zeit besser geworden. „Seit zwei Monaten haben wir interaktive Tafeln“, freut sich Müller. Leider sei die Schule immer noch nicht mit dem Internet verbunden, so dass die Schülerinnen und Schüler nicht mit ihren Tablets arbeiten könnten.
Einiges habe sich in den mehr als 30 Jahren, in denen sie bereits als Lehrerin arbeitet, geändert. „Früher ist der Schulhof zum Spielen genutzt worden. Es gab nicht viele Spielgeräte, aber es war immer eine nette Atmosphäre“, erinnert sich die 66-Jährige. „Heute kennen die Kinder keine Spiele mehr. Springseil und Gummitwist sind ihnen nicht bekannt.“ Sie versuchten stattdessen immer, dem anderen näher zu kommen. „Sie sagen es sei ,Spaß-Kloppe‘, aber meistens wird aus dem Spaß ernst.“ Als Lehrer müssten sie immer wieder regulierend eingreifen.
„Wir bräuchten Menschen, die sich in den Pausen angeleitet mit den Kindern beschäftigen“, so die erfahrene Pädagogin. Das würde die Kinder beschäftigen und die Atmosphäre verbessern. Früher hätten die Lehrer häufig in den Pausen mit den Kindern gespielt, aber das sei angesichts von 436 Kindern nicht mehr möglich. Auch sei es schwieriger, einen engen Kontakt zu den Eltern zu halten, der so wichtig sei: „In Herne gibt es viele Angebote, aber man muss die Eltern an die Hand nehmen und persönlich ansprechen.“
Nachrichten aus Herne – Lesen Sie auch:
- Genickbruch bei Motorradcrash: „Für meine Söhne überlebt“
- U3-Plätze für Kinder gibt es in Herne fast nur in Kitas
- Python und Känguru: Tierquälerei in Herner Hüpfburgenpark?
Auch der Unterricht habe sich sehr gewandelt: „Es gibt nicht mehr den Lehrer, der vorne steht und seinen Unterricht macht“, sagt Müller. Die Voraussetzungen bei den Schülerinnen und Schülern seien heute zu unterschiedlich. Früher seien die Kinder zudem ausgeglichener gewesen. „Der Montag ist für uns oft ein schwieriger Tag“, erläutert sie. Denn viele Kinder hätten fast das ganze Wochenende vor dem Fernseher oder Computer verbracht und das wirke sich auf ihr Verhalten aus.
In der Schule sei alles sehr getaktet: Mathe, Deutsch, Bio – und die Schulklingel sage, wann das eine endet und das nächste beginnt. Dabei sei das Leben doch auch fließend. Deshalb sagt sie: „Die Schule der Zukunft soll sich von standardisierten Tests lösen, um Kindern den Frust zu nehmen.“ Denn mit Frust ließe es sich schwer lernen. Zudem sollten die Klassen kleiner sein, wie früher, als 24 bis 27 Kinder in einer Klasse waren. Heute seien es fast durchweg 30 Kinder. „Da mussten wir Lehrer uns ganz schön umstellen.“ Aber dennoch, so betont Müller: „Auch heute ist es toll, Lehrer zu sein und in die Schule zu gehen.“
Wer die Nachfolge übernehmen könnte
- Monika Müller hofft, dass ihre bisherige Stellvertreterin, Claudia Huhmann-Rohkämper (48), die Leitung der Grundschule Kunterbunt übernehmen kann. Das Bewerbungsverfahren laufe aber noch.
- Sie selbst freut sich, im Ruhestand mehr Zeit mit ihren drei Enkelkindern verbringen zu können. Außerdem habe sie bereits vor vielen Jahren mal ein Kinderbuch zusammen mit ihrer Nachbarin geschrieben. „Vielleicht entsteht noch ein Kinderbuch. Ich liebe Bücher“, sagt die 66-Jährige.