Hattingen. Der Adventskalender am Alten Rathaus in Hattingen wird für Werbung verkauft. Skandal, findet nicht nur Frau Holle. Ihr Auftritt steht in Frage.

Kaufen Sie sich Ihre Frau Holle. Oder: Das heutige Adventskalender-Türchen wird präsentiert von xy. Das Vorhaben des Stadtmarketingvereins, die Türchen des riesigen Adventskalender am Alten Rathaus an Sponsoren zu verkaufen, stößt auf wenig Gegenliebe. Hattingens Ur-Frau-Holle selbst ist geschockt und stellt ihre Teilnahme in Frage.

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Ursula Keuth ist seit mehr als 25 Jahren Frau Holle in Hattingen. Jeden Tag im Advent ein Fenster des Alten Rathauses zu öffnen, Geschichten zu erzählen, zu singen und Schnee und Schokotaler regnen zu lassen, das war ihr stets eine Herzensangelegenheit. So sehr sogar, dass sie im vergangenen Jahr den Rücktritt vom altersbedingten Rücktritt wagte und - unterstützt von drei weiteren Frau Holles - wieder in ihre Paraderolle schlüpfte. Das war auch für den Advent 2024 geplant. Doch jetzt zweifelt Frau Holle.

„Ich will nicht hinter einer solchen Sache stehen. Ich weiß nicht, ob die Menschen dann nicht auch enttäuscht sind.““

Ursula Keuth
„Frau Holle“ in Hattingen

Der Grund ist eine Idee des Vorstandes des Stadtmarketingvereins: Für 200 Euro sollen sich Firmen, aber auch Privatleute Türchen „kaufen“ können. Heißt: Zu Beginn soll die jeweilige Frau Holle verkünden, von wem das heutige Türchen präsentiert wird. Die Aktion soll Geld einbringen, um das Fortbestehen des Adventskalenders zu sichern, erklärt Stadtmarketing-Geschäftsführer Georg Hartmann. Erste Sponsoren haben schnell zugeschlagen.

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Allerdings hat der Stadtmarketingverein nicht mit Frau Holle gesprochen, bevor er seine Mitglieder zum Türchenkauf aufrief. Und die reagiert überrascht und distanziert sich von dem Plan. „Kommerzielle Werbebotschaften sind nicht das Ding von Frau Holle“, betont Ursula Keuth. Und auch, wenn sie noch nicht „mit sich im Reinen“ sei, wird sie deutlich: „Ich will nicht hinter einer solchen Sache stehen. Ich weiß nicht, ob die Menschen dann nicht auch enttäuscht sind. Ich möchte das eingentlich nicht machen.“

Frau Holle in Hattingen

1998 startete der Adventskalender am Alten Rathaus mit Ursula Keuth als Frau Holle. Auch in diesem Jahr sollen im Dezember wieder täglich um 17 Uhr die Fenster am Untermarkt geöffnet werden. Am 24. Dezember schon um 11 Uhr. Dann gibt es Geschichten, Lieder, Schnee und Schokotaler.

Im Wechsel mit Ursula Keuth sollen, wie im vergangenen Jahr, Tabea Dornbach, Anja Jarofski und Mechtild Pietsch als Frau Holle auftreten. Die große Weihnachtsparade zum Einzug von Frau Holle am 1. Dezember gibt es nicht mehr.

Auch bei anderen stößt der Plan nicht auf Gegenliebe. Ortsheimatpfleger Lars Friedrich ist entsetzt: „Nein, das geht gar nicht! Seit 1998 ist das Adventskalender-Spektakel am Alten Rathaus ein Magnet für Eltern und Großeltern mit ihren Kindern oder Enkeln. Diese Familientradition nun in einen werblichen Rahmen zu pressen, beraubt Frau Holle ihrer märchenhaften Aura. Da drehen sich wahrscheinlich selbst die Brüder Grimm im Grab noch um“, schreibt er an die Redaktion. Er mahnt: „Also bitte: Finger weg von Frau Holle!“

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Auch im vergangenen Advent zog der Adventskalender mit Frau Holle täglich viele Kinder und Erwachsene auf den Untermarkt in Hattingen.
Auch im vergangenen Advent zog der Adventskalender mit Frau Holle täglich viele Kinder und Erwachsene auf den Untermarkt in Hattingen. © Funke Foto Services | Walter Fischer

Ähnlich sieht das WAZ-Leser Dietmar Fritze: „Es ist durchaus recht peinlich, dass sich bestimmte Firmen oder Einzelpersonen für 200 Euro ein Fenster zusichern lassen wollen, damit ihr Name erwähnt wird. Erinnert mich ein bisschen an den Ablasshandel, welcher einst Martin Luther in Rage brachte. Zwar wird hier wohl kein Platz im Himmel reservierbar sein, aber eine Nennung in der Liste der Wohlhabenden. Frau Holle hatte damals keinen Pakt mit den Besserverdienenden eingehen müssen.“

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„Die gute alte Zeit ist damit vorbei“, fasst Ursula Keuth zusammen. Und bezieht das auch auf den Plan der Verantwortlichen, neue Kalender-Türchen anfertigen zu lassen, die mehr den heutigen Sehgewohnheiten entsprechen. „Warum? Die haben wir damals mit den Kindern im Kindergarten gemalt. Mit neuen Bildern zieht man nicht neue Menschen an“, ist sie überzeugt.

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Es ging ihr um Tradition, um die Erinnerung: „Alter wieder zu entdecken ist doch viel schöner, als mit Macht Neues zu wollen“, sagt sie. Wie es weitergeht mit Frau Holle, da ist Ursula Keuth unsicher. Werbefigur möchte sie aber definitiv nicht sein.