Gladbeck. Stadt Gladbeck zahlt Millionensummen für Sozialhilfen. Stadt und Land erstatten dafür nur einen Bruchteil. Gladbeck legt Zahlen auf den Tisch.

Da verschlug es kurzzeitig auch erfahrenen Kommunalpolitikern im Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschuss die Sprache. Die Kämmerei hatte gerade einen Konnexitätsbericht vorgestellt. Dafür haben die Finanzfachleute für einen Zeitraum von 15 Jahren – 2008 bis 2022 – ausgewertet und berechnet, wie viel Geld die Stadt Gladbeck aufgrund von Landes- oder Bundesgesetzen ausgegeben hat, gerade im sozialen Bereich, und wie wenig ihr davon am Ende eigentlich erstattet wurde.

Am Ende klafft in der Rechnung ein dickes Loch in Höhe von 572,3 Millionen Euro für den gesamten Zeitraum. Nach Auswertung der städtischen Finanzfachleute musste die Stadt Gladbeck in den 15 Jahren insgesamt 845,9 Millionen Euro etwa für Hilfen zur Erziehung, Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung oder Kosten für Unterkünfte zahlen. Demgegenüber standen direkte oder indirekte Erstattungen in Höhe von gerade einmal 273,6 Millionen Euro durch Bund und Land.

Kämen Bund und Land ihren Verpflichtungen nach, stünde Gladbeck besser da

Dagegen stellte die Kämmerei das negative Eigenkapital der Stadt, sprich die Überschuldung. Die lag zum Ende des Jahres 2022 bei 88,4 Millionen Euro. Was die Stadt also mit dem aufwändigen Zahlenwerk darlegen will: Würden Bund und Land ihren Verpflichtungen nachkommen und die Kommunen ausreichend finanziell ausstatten, stünde Gladbeck wesentlich besser da. Und man darf davon ausgehen, dass das eben nicht nur für Gladbeck gilt. Die Forderung der Kommunen über den Städtetag oder auch das Aktionsbündnis für die Würde der Städte ist schließlich seit Jahren bekannt und lässt sich auf eine einfache Formel herunterbrechen: Wer die Musik bestellt, der soll sie auch bezahlen. Nichts anderes verbirgt sich auch hinter dem Fachbegriff Konnexität.

Diese Forderung hat die Stadt Gladbeck nun mit Zahlen untermauert. Kein leichtes Unterfangen, wie Sebastian Mai, Leiter des Amts für kommunale Finanzen und Kämmerin Silke Ehrbar-Wulfen im Ausschuss deutlich machten. Denn die Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Gemeinden seien sehr intransparent, ein Teil der Finanzierung von Leistungen erfolge auch indirekt über Schlüsselzuweisungen, also nicht zweckgebundene Mittel. In dem Fall, so Mai, habe man für den Konnexitätsbericht mit Annahmen rechnen müssen. Ein fiktives Rechenbeispiel: Wenn auf Sozialausgaben etwa 30 Prozent des Haushalts entfielen, so habe man auch 30 Prozent der Schlüsselzuweisungen dafür eingerechnet. Umgekehrt zahlt Gladbeck auch an den Kreis und den Landschaftsverband, die wiederum einen Teil dieser Umlagen für Sozialausgaben verwenden.

Bürgermeisterin Bettina Weist, seit zwei Monaten im Amt, gibt am Freitag, 18. Dezember 2020, einen Rückblick auf das Jahr in Gladbeck. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services

„Der Verzehr von Vermögen und Infrastruktur ist in den Bericht nicht eingeflossen“

Bettina Weist
Bürgermeisterin Gladbeck

In ihrem Bericht haben die städtischen Finanzfachleute das Minus für jedes der betrachteten Jahre aufgeführt. „Allein im Jahr 2022 betrug der nicht gedeckte Mehraufwand für Sozialaufgaben, die Bund und Land auf die Stadt Gladbeck übertragen haben, 38,8 Millionen Euro“, heißt es da. Das Ergebnis aus ihrer Sicht: Mit Ausnahme von zwei Jahren hätte eine auskömmliche Finanzierung dafür gesorgt, dass der Haushalt am Ende ausgeglichen gewesen wäre, oder gar mit einem Plus abgeschlossen hätte. Stattdessen aber habe man vor Ort sparen müssen, freiwillige Leistungen einschränken und notwendige Sanierungen oder Instandsetzungen auf ein Minimum beschränken müssen. In der Konsequenz, so Bürgermeisterin Bettina Weist, seien die Verluste an Vermögen und Substanz also noch größer. „Der Verzehr von Vermögen und Infrastruktur ist in den Bericht nicht eingeflossen.“

Parteiübergreifend zeigten sich die Ausschussmitglieder angesichts der nun vorgelegten Zahlen dankbar, dass an dieser Stelle Klarheit geschaffen worden sei. „Der Bericht bringt große Klarheit und zeigt die strukturelle Überforderung der Stadt“, so SPD-Fraktionschef Wolfgang Wedekind. Es werde letztlich deutlich, dass die Konnexitätsverletzung ein Dauerzustand geworden sei, so der DKP-Ratsherr Gerhard Dorka.

Fraktionsvorsitzender Wolfgang Wedekind bei der Jubilarehrung beim SPD-Ortsverein Mitte in Gladbeck am Sonntag, 23. Oktober 2022. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services

„Der Bericht bringt große Klarheit und zeigt die strukturelle Überforderung der Stadt“

Wolfgang Wedekind
SPD-Fraktionsvorsitzender

Was man dagegen tun könne, diese Frage lässt sich so leicht nicht beantworten. Kurzerhand die Zahlungen einstellen, wie es AfD-Vertreter Marco Gräber vorschlug, komme jedenfalls nicht infrage, machte Rechtsdezernentin Marie-Antoinette Breil deutlich. Die Betroffenen hätten einen rechtlichen Anspruch auf die Unterstützung, und der richte sich nun einmal gegen die Stadt. Würde diese die Zahlungen einstellen, so könnten die Betroffenen klagen.

Kämmerin Silke Ehrbar-Wulfen wies darauf hin, dass die Gladbecker Aufstellung ihres Wissens nach die erste dieser Art sei. Noch keine andere Stadt habe bisher versucht, diese intransparenten Finanzströme auszuwerten. Sie schlug daher vor, den Bericht dem Aktionsbündnis sowie dem Städtetag und dem Land zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Antrag der Grünen wurde dann auch einstimmig angenommen. Gleichzeitig versicherten die Parteien, das Gladbecker Zahlenwerk auch an ihre Fraktionen in Land und Bund zu geben.

Gladbecks Kämmerin bringt auch eine Klage ins Spiel

Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Kämmerin auch vor einer rechtlichen Auseinandersetzung nicht zurückschreckt. Womöglich müsse man klagen, entsprechende Überlegungen gebe es seitens der Kommunen durchaus, machte sie klar. Es habe auch bereits einige Anläufe gegeben, doch seien die Städte bisher damit gescheitert, die Konnexität vor Gericht durchzusetzen. Aber womöglich müsse man es weiter auch auf diesem Weg versuchen.

Im Bundestagswahlkampf spielen die Kommunalfinanzen bisher allenfalls eine Nebenrolle. Das Thema Altschuldenregelung taucht, wenn überhaupt, nur am Rande auf. Doch die Zahlen machen eben auch deutlich, dass es allein damit auch nicht getan ist. Zugleich müsste aber, so das Fazit des Berichts, die Finanzierung der Gemeinden dringend und grundlegend überarbeitet werden. Denn: Hauptursache für die erheblichen finanziellen Belastungen seien „unzureichende Finanzierungsmechanismen und stetig steigende Qualitätsanforderungen, die nicht adäquat gegenfinanziert werden“. Mit anderen Worten: Gibt es lediglich eine Regelung für die Altschulden, aber keine grundlegenden Veränderungen, beginnt die Schuldenspirale von vorn. Das zeigen die Gladbecker Zahlen.

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