Duisburg. Freundschaft verboten, aber Sex geduldet – ein Ex-Jesuit kritisiert katholische Heuchelei. Was Johannes Heinrichs der Kirche nie verziehen hat.
„Das Recht nicht zu lügen“ nimmt Philosoph, Ex-Jesuit und Schriftsteller Johannes Heinrichs in seiner umfangreichen Autobiografie für sich in Anspruch. Der Duisburger zieht gegen Heuchelei in der katholischen Kirche und die aus seiner Sicht allzu große Nähe zwischen Kirche und Staat zu Felde – und schont im Dienste der Wahrheit, wie er sie sieht, seine eigene Intimsphäre nicht.
Heinrichs schildert seine Kindheit in einer Bäckerfamilie in Rheinhausen. Kurz bevor er als „ehrgeiziger Klassenprimus“ das Abitur ablegt, schockiert er am Weihnachtsabend seine Eltern mit der Ankündigung, Priester werden und – schlimmer noch – dafür in den Jesuitenorden eintreten zu wollen. Er geht seinen neuen Lebensentwurf gründlich an, verbrennt die kindlichen Tagebücher im Ofen der Bäckerei. Etwas Ähnliches wird er 18 Jahre später noch einmal tun, als er den geistlichen Orden mit einem Paukenschlag wieder verlässt.
Duisburger Ex-Jesuit: „Hälfte aller Priesteramtskandidaten bi- oder homosexuell“
Doch zunächst deuten alle Zeichen auf eine glänzende Karriere für den jungen, begabten Jesuiten. Er studiert nach seinem Noviziat an der Jesuitenhochschule in Pulach, promoviert in Bonn und wird in Frankfurt zum Priester geweiht. In der Studienzeit hat er sexuelle Kontakte mit anderen jungen Männern seines Ordens. „Meines Erachtens ist die Hälfte aller Ordens- und Priesteramtskandidaten mindestens bi-, wenn nicht homosexuell“, lässt er einen Freund wissen.
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Er beginnt, sich mehr und mehr an der „systemischen Unmenschlichkeit“ zu stoßen, die im Orden herrscht. Enge Freundschaften sind offiziell verboten, aber die sexuellen Beziehungen untereinander werden stillschweigend geduldet. „Doch Missbrauch und der Nicht-Gebrauch, die Unterdrückung einer Gottesgabe, hängen zusammen“, empfindet Heinrichs. Und entwickelt eine zunächst innere Gegenwehr gegen diese von ihm empfundene Heuchelei. „Ich will kein Chefideologe der Kirche von gestern werden“, stellt er fest.
Während seine akademische Karriere ihn als den kommenden Denker seines Ordens ausweist und er sich berechtigte Hoffnungen auf einen Lehrstuhl machen kann, beginnt er schrittweise, den Orden zu verlassen. Er ist nicht mehr Jesuit, aber noch Priester, als er ein Kind tauft, mit dessen Vater er ein heimliches Verhältnis hatte.
Nach Ordensausstieg: Johannes Heinrichs hat einen hohen Preis bezahlt
Die Hoffnungen auf einen Lehrstuhl zerschlagen sich nach seinem Ordensausstieg. Trotz unzähliger Bewerbungen und unbestrittener akademischer Qualifikation, will sich keine philosophische Fakultät für den kritischen Kopf entscheiden. Heinrichs sieht kirchliche Strippenzieher am Werk. Er wird arbeitslos und schlägt sich jahrelang als Ghostwriter und freier Schriftsteller durch. Für seine Entscheidung, der „Gesellschaft Jesu“ den Rücken zu kehren, hat er einen hohen Preis bezahlt.
1981 tritt er aus der Kirche aus, seine Suche nach einer geistlichen Heimat ist gescheitert. Inzwischen lebt er, seit über 20 Jahren mit seiner Frau Christel verheiratet, im Duisburger Norden. Das akademische Abseits, in das er geraten ist, hat Johannes Heinrichs der Kirche bis heute nicht verziehen.
Seine zahlreichen Bücher zu religionsphilosophischen und sozialethischen Themen gelten sonst eher als Geheimtipp. Es ist aber möglich, dass die offenherzige Lebensbeichte des inzwischen 80-jährigen Doktors der Philosophie das Potenzial hat, ihm ganz neue Leserkreise zu erschließen.
>>“DAS RECHT NICHT ZU LÜGEN“ VON JOHANNES HEINRICHS
„Das Recht nicht zu lügen“ von Johannes Heinrichs ist im Februar 2023 im Verlag Europa Buch erschienen, der besonders um aufstrebende Nachwuchsautoren wirbt.
Das Buch trägt den Janusbaum als Titelbild. „Der Janusbaum steht nicht allein für zwei Lebensphasen, sondern auch für die unvermeidliche Doppelgesichtigkeit (Ambivalenz) unserer Entscheidungen“, schreibt der Autor.
Die Autobiografie ist unter der ISBN 9791220134088 für 19,95 Euro im Buchhandel erhältlich.