Gladbeck. Blechbüchse – den Spitznamen hatte das Ärztehaus in der City schon zur Eröffnung weg. Die Empörung war 1993 groß. Der Architekt erinnert sich.
30 Jahre ist es her, da löste der Neubau eines Ärztehauses in der Gladbecker Innenstadt einen wahren Sturm der Entrüstung aus. Vielen Menschen gefiel gar nicht, was da auf einmal zu sehen war, nachdem in der Bauphase das Gebäude lange mit Planen verhüllt war. Und auch vom Rathaus aus blickten die Bauexperten äußerst skeptisch auf das, was ihnen irgendwie anders angekündigt worden war...
Schnell hatte der Neubau seinen Spitznamen weg: „Blechbüchse“. Und in den meisten Fällen war das gar nicht nett gemeint. Das Haus, dessen Außenhaut zu einem großen Teil aus zinnbeschichtetem Kupferblech besteht, spaltete die Gemüter. Am Glitzern des silbernen Blechs im Sonnenlicht störten sich die Kritiker. Oft wurde das Eckhaus auch als „unfertig“ angesehen. Anklang fand die gewagte Architektur, wenn überhaupt, eher bei den Jüngeren. Auch in der WAZ Gladbeck war die „Blechbüchse“ 1993 das Aufregerthema.
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Zwei Architekten aus Münster haben die Gladbecker „Blechbüchse“ gebaut
Der Münsteraner Architekt Marco Piehl hat das Haus gemeinsam mit seinem damaligen Partner Wolfgang Raatz für einen Gladbecker Geschäftsmann gebaut. Über die Tatsache, dass ihr Neubau damals so viele, auch heftige Emotionen ausgelöst hat, schmunzeln die beiden befreundeten Architekten heute noch. Schließlich war es das erste eigene Projekt – und das hat dann gleich so viel Staub aufgewirbelt. Was Piehl darüber hinaus aber auch noch gerne erwähnt: Das von vielen Gladbeckern als „Blechbüchse“ verhöhnte Ärztehaus findet heute noch Erwähnung im Architekturführer Ruhrgebiet.
Der Blick zurück auf die Zeit Anfang der 90er: Marco Piehl ist gerade 27 Jahre jung und erst seit kurzem in einem Münsteraner Architekturbüro angestellt. An das wandte sich der Gladbecker Geschäftsmann Bernd Küper, als es um die Pläne für seinen Neubau an der Ecke Postallee/Barbarastraße ging. „Der Entwurf, den mein damaliger Chef bei der Stadt Gladbeck einreichte, stieß auf Widerspruch, wurde nicht genehmigt. Die Pläne zu ändern, kam für ihn aber nicht in Frage“, erinnert sich Piehl. Daraufhin habe sich Küper an ihn, Piehl, gewandt mit der Bitte, doch das Projekt zu übernehmen. Für Marco Piehl ein Wendepunkt in seinem noch jungen beruflichen Leben: Er machte sich daraufhin nämlich selbstständig, um den Auftrag gemeinsam mit Raatz übernehmen zu können.
Das waren die Pläne für das moderne Ärztehaus in Gladbecks Innenstadt
„Kein einfaches Haus“
Im Architekturführer Ruhrgebiet heißt es über das 1993 fertig gestellte Ärztehaus: „Das Eckgebäude im bedeutungsvollen Innenstadtbereich Gladbecks gliedert sich in zwei ineinander verkeilte Giebelhäuser, die sich in Fassaden - und Dachgestaltung unterscheiden. (...) Zinnbeschichtetes Kupferblech ist wesentliches Gestaltungselement des Giebelhauses entlang der Postallee.“Und weiter: Aufgrund der in Rundungen um die Traufe gezogenen Kupferbänder entstehe für den Betrachter der Eindruck „einer durchgehenden, das Gebäude umhüllenden Metallhaut.“ Fazit des Artikels in dem Fachmagazin: „Zwei einfache Häuser, kein einfaches Haus.“
„Die Blechbüchse war also tatsächlich unser erstes eigenes Projekt“, sagt Piel und lacht. Die Stadt segnete den Entwurf ab, 1992 wurde der Neubau in Gladbecks Zentrum angegangen. Erdgeschoss, zwei Obergeschosse nebst Spitzboden sahen die Pläne für das moderne Ärztehaus vor. „Dass der Bauherr uns jungen Architekten so freie Hand ließ, hat uns schon ein wenig gewundert. Damals haben wir gedacht, er sei eben so beeindruckt von der Architektur“, erinnert sich Piehl. Beim Blick zurück räumt er ein, dass das Verhalten des Auftraggebers auch der Tatsache geschuldet gewesen sein könnte, dass ihm „die Zeit davon gelaufen ist“. Piehl: „Das Haus musste fertig werden, die Mietverträge mit den Ärzten waren wohl schon unterschrieben.“
Und auch beim Genehmigungsverfahren im Rathaus hatte die Auflistung der für den Bau geplanten Materialien – darunter ebenfalls das zinnbeschichtete Kupferblech – keine Beanstandung ausgelöst. Alles wurde abgenickt. „Wahrscheinlich“, sagt Piehl, „hat man dabei eher an den beispielsweise auch für die Dächer von Kirchtürmen verwendeten roten Kupferton gedacht.“
Das Material war zuvor noch nie in Deutschland verbaut worden, so Architekt Marco Piehl
Dass diesem Gedanken ein Irrtum zugrunde lag, wurde erst klar, als zur Eröffnung die blauen Abdeckfolien vor der Fassade glitten – und so mancher Gladbecker geblendet von dem im Sonnenlicht silbern strahlenden Gebäude die Augen schloss. „An der Ecke stand damals noch eine Ampel, den Kreisverkehr gab’s noch nicht. Ja, man kann schon sagen, wir haben bei der Einweihung fast ein kleines Verkehrschaos ausgelöst“, sagt Marco Piehl. Das verwendete Kupferblech war, erklärt der Architekt, zuvor in Deutschland noch nie verbaut worden, wohl in den USA und in der Schweiz. „Es war also eine architektonische Premiere, die da im kleinen Gladbeck stattgefunden hat!“
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Und heute, 30 Jahre später? Ist das Ärztehaus in Gladbecks Innenstadt immer noch Gesprächsthema, wenn Marco Piehl und Wolfgang Raatz bei einem Glas Wein zusammensitzen. „Der Bau hat uns schon sehr am Herzen gelegen. Wir sind fast täglich von Münster nach Gladbeck gefahren, um selber auch mit anzupacken in der Bauphase“, sagt Marco Piehl. Was ihn traurig stimmt, ist der aktuelle Zustand des Hauses. „Vor allem im Erdgeschoss ist die Optik nicht mehr schön.“ Wenn es nach dem Architekten ginge, müsste da dringend etwas passieren – damit die „Blechbüchse“ wieder zum Gesprächsthema der Gladbecker wird.