Essen. Weil es in ihrem Wohnhaus in Essen auch Gewerbe gibt, müssen die Mieter den viel höheren Hebesatz zahlen. Der Eigentümer will das nicht hinnehmen.

Die neue Grundsteuer hat in den vergangenen Wochen bei der Stadt für einen regen Posteingang gesorgt. Bis kurz vor Ablauf der Frist am Donnerstag (13. Februar) hatten rund 3700 Bürger und Bürgerinnen gegen ihren Grundsteuer-Bescheid Widerspruch eingelegt. Zieht man die ungültigen ab, bleiben immer noch 3400 übrig, auf die die Stadt nun reagieren muss.

Einer, der Widerspruch eingelegt hat, ist Bernd Quildies. Er lehnt sich unter anderem gegen den gesplitteten Hebesatz auf, den die Stadt Essen seit diesem Jahr zur Berechnung der Grundsteuer anwendet: Für Wohngrundstücke beträgt er 655 Prozent, für Nichtwohngrundstücke 1290 Prozent und somit nahezu das Doppelte. So hat es der Stadtrat im November 2024 mehrheitlich beschlossen.

Ungerecht findet das der Sozialdemokrat Quildies und fügt hinzu: „Ich bin ein Mensch, der ein Problem damit hat, wenn er eine Ungerechtigkeit verspürt.“ Quildies war bis vor etwa zehn Jahren Vorsitzender der SPD Schönebeck/Bedingrade, heute sei er nicht mehr aktiv, aber weiter in der Partei.

Bernd Quildies gehört das Wohnhaus in der Hofterbergstraße 21 in Essen. Im Hinterhof gibt es eine Kampfsportschule und deshalb müssen auch die Wohnungsmieter mehr Grundsteuer zahlen. Quildies findet das nicht gerecht und hat deshalb Widerspruch gegen den Bescheid bei der Stadt eingelegt.
Bernd Quildies gehört das Wohnhaus in der Hofterbergstraße 21 in Essen. Im Hinterhof gibt es eine Kampfsportschule und deshalb müssen auch die Wohnungsmieter mehr Grundsteuer zahlen. Quildies findet das nicht gerecht und hat deshalb Widerspruch gegen den Bescheid bei der Stadt eingelegt. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Grundsteuer: Gewerbe im Haus belastet auch die Wohnungsmieter stärker

Mit seinem Widerstand gegen die Grundsteuer aber ist er in erster Linie Vermieter. Der Essener besitzt im Alfrediviertel (Ostviertel) mehrere Mietshäuser; unter anderem das in der Hofterbergstraße 21. In dem Haus aus den 1950er Jahren befinden sich sechs Wohnungen. Was es zu den unmittelbaren Nachbarliegenschaften aus steuerlicher Sicht besonders macht: Im Hinterhof steht ein ehemaliges Schreinerei-Gebäude, zwei Etagen, Fläche 190 Quadratmeter. Eine Kampfsportschule hat sich dort eingemietet.

Im Hinterhof von Bernd Quildies‘ Haus befindet sich eine Sportschule. Steuerlich gesehen belastet das auch die Mieter im vorderen Wohnhaus.
Im Hinterhof von Bernd Quildies‘ Haus befindet sich eine Sportschule. Steuerlich gesehen belastet das auch die Mieter im vorderen Wohnhaus. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Da es sich bei Wohnhaus und der Sportschule um ein und dasselbe Grundstück handelt, ordnet das Finanzamt Quildies Immobilie zu den gemischt genutzten Grundstücken und somit in die Steuer-Kategorie „Nichtwohngebäude“ ein. Damit wird der höhere Hebesatz von 1290 Prozent fällig; und zwar nicht nur für die gewerbliche Schule, sondern auch für alle sechs Wohnungsmieter. In Zahlen heißt das: 1298 Euro Grundsteuer zahlte Quildies zuletzt für das Haus vor der Grundsteuer-Reform. Nun sind es 2028 Euro. Davon entfallen auf die Wohnungen künftig etwas mehr als 1300 Euro. Beim niedrigeren Hebesatz von 655 Prozent wären es nur 670 Euro Steuern im Jahr, hat er ausgerechnet.

Quildies Immobilie liegt in einer Gegend, in der eher nicht die Spitzenverdiener dieser Stadt ihre Bleibe haben. Die Steigerung kann und wird er dennoch auf seine Mieter umlegen, dass diese nun soviel mehr bezahlen, sei ihm aber nicht egal. „Was können meine Mieter dafür, dass sich in dem Haus Gewerbe befindet?“ Noch dazu, da die Wohnfläche (360 Quadratmeter) die der Sportschule auf dem Grundstück deutlich übertrifft.

Grundsteuer: Etwa 4000 „gemischt genutzte Grundstücke“ sind in Essen vom hohen Hebesatz betroffen

Etwa 4000 solch gemischt genutzter Grundstücke gibt es im Stadtgebiet. Der typische Fall: Im Erdgeschoss befindet sich ein Laden oder eine Gaststätte, in den oberen Etagen Wohnungen. Um in die Kategorie „gemischt genutzt“ und somit unter Nicht-Wohngebäude zu fallen, kann der Wohn-Anteil immerhin bis zu 80 Prozent betragen. Das hat der Gesetzgeber so bestimmt, nicht die Stadt.

Mehr zum Thema Grundsteuer in Essen

Solche Wohn- und Geschäftshäuser gibt es in den Stadtteilen reihenweise, meint Quildies. Die Zahl der Mieterhaushalte, die somit vom höheren Hebesatz betroffen sind, dürfte bei 4000 Grundstücken schnell im fünfstelligen Bereich liegen. „Die Mieter dort haben gar keine Möglichkeit, das zu beeinflussen“, meint er. Aber auch aus der Brille des Vermieters sieht er den hohen Hebesatz auf längere Sicht als Nachteil. Solche Wohnungen könnten für Mieter unattraktiver werden, wegen der höheren Nebenkosten. Schon jetzt hätten solche Häuser für die Bewohner Nachteile, etwa wenn im Erdgeschoss viel Publikumsverkehr herrscht.

Hat die städtische Politik die Tragweite für diese Mieter nicht gesehen oder schlicht ignoriert, als sie den Hebesatz derart splittete?, fragt der Hausbesitzer. In der Beschlussvorlage der Stadtratssitzung gab die Verwaltung durchaus zu bedenken, dass ein geteilter Hebesatz eine „negative Außenwirkung“ haben könnte. Betroffene könnten den deutlichen Anstieg als „ungerecht empfinden“, hieß es darin.

Grund für geteilten Hebesatz: Essener Politik wollte Wohnen nicht noch mehr belasten

Am Ende war es dann eine Abwägung, wie etwa jüngst der CDU-Ratsherr Dirk Kalweit offenbarte. Der Rahmen war vorher gesteckt und hieß „Aufkommensneutralität“. Die Stadt sollte nach der Steuerreform nicht mehr, aber auch nicht weniger Geld einnehmen. 137 Millionen Euro spülte die Grundsteuer B im Jahr 2024 in die Stadtkasse. Um das zu erreichen, hätte die Stadt einen einheitlichen Hebesatz von etwa 840 Prozent gebraucht. In diesem Fall aber, so zeigten es Vorausberechnungen, wären Ein- und Zweifamilienhäuser besonders stark belastet worden, weil sie schon bei den Bewertungen des Finanzamtes kräftige Aufschläge erfahren hatten. Dagegen kamen Gewerbegrundstücke besser weg.

Um das Wohnen nicht noch stärker zu belasten, stimmten CDU, Grüne und auch Bernd Quildies‘ SPD schließlich für einen gesplitteten Hebesatz. Für die gemischt genutzten Häuser bedeutete das gegenüber 2024 eine Mehrbelastung von rund 20 Prozent im Mittel. Im konkreten Fall Hofterbergstraße 21 sind es 56 Prozent mehr.

Mehr zum Thema Grundsteuer in Essen

Mit 3700 Widersprüchen bei 160.000 Bescheiden insgesamt ist die Gegenwehr gegen die Entscheidung der städtischen Politik allerdings überschaubar. Zumal sich herausstellt, dass die meisten Widersprüche eigentlich das Finanzamt betreffen und sich nicht gegen den gesplitteten Hebesatz der Stadt richten. Von den 3700 Widersprüchen hat die Stadt 1900 bislang ausgewertet, 900 davon betrifft das. Diese wird die Stadt, weil sie nicht zuständig ist, ablehnen. In der nächsten Woche sollen die ersten Schreiben dazu versendet werden. Bis Ende April will die Verwaltung alle Widersprüche bearbeitet haben.

Gerade einmal 160 Widersprüche greifen den Hebesatz und die Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells an, 114 sind ohne Begründung eingereicht worden. 82 seien Mischfälle. Unter die genannten 160 dürfte auch der von Bernd Quildies fallen. Denn nicht nur der geteilte Hebesatz ist ihm ein Dorn im Auge. Er wehrt sich auch gegen die im Bewertungsgesetz festgelegte Formel, dass bereits bei 20 Prozent Gewerbe im Haus dieses unter „gemischt genutzt“ fällt. „Warum nicht bei 50 Prozent? Das klingt für mich gegriffen“, meint er. Gegen den entsprechenden Bescheid des Finanzamtes hat Quildies deshalb längst Einspruch erhoben. Eine Reaktion gab es bis heute nicht.

Vermieter will vor dem Verwaltungsgericht gegen geteilten Hebesatz klagen

Nun will er erst einmal die Hebesatzsatzung der Stadt vor das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bringen. Um Erfolg zu haben, müsste er notfalls durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Dieses müsste entscheiden, ob mit einem derart geteilten Hebesatz der Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes verletzt ist.

Bis es eine solche Entscheidung gäbe, würden Jahre vergehen. Was aber wäre die Folge? Sollte die Stadt unterliegen, müsste sie den Hebesatz auf den niedrigeren Satz für alle senken. Dann würden ihr rund 27 Millionen Euro im Jahr fehlen, hat die Kämmerei ausgerechnet. Damit dürfte auch klar sein, dass eine solche Absenkung nicht lange Bestand hätte und schon im Jahr darauf der Stadtrat einen entsprechend höheren, einheitlichen Hebesatz für alle beschließen müsste. Aus Sicht von Quildies wäre dies gerechter: „Warum sollen meine Mieter stärker belastet werden, damit andere weniger zahlen?“

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]