Essen. Viele Eigentümer erleben dieser Tage ihr blaues Wunder mit der Grundsteuer. Was den Kämmerer dazu bringt, Veränderungen am Gesetz zu fordern.
Die neue Grundsteuer hat bei der Stadtverwaltung eine riesige Nachfrage- und Beschwerdewelle ausgelöst. Allein in den ersten beiden Tagen, nachdem die Bescheide an die Haushalte versandt worden waren, zählte die Kämmerei über 3600 Anrufe an der Hotline. Bis Donnerstag (16.1.) summierte sich dies auf fast 5800 Rückmeldungen. „Das ist wirklich eine Menge“, betont Kämmerer Gerhard Grabenkamp. Obwohl die Stadt mit einem hohen Aufkommen gerechnet hatte und dafür das Callcenter von acht auf 14 Mitarbeiter aufgestockt hatte, ist sie dennoch überrannt worden.
Mit den am 7. Januar verschickten Bescheiden sehen die Hauseigentümer jetzt erstmals in Euro und Cent, wie viel Grundsteuer sie ab diesem Jahr bezahlen müssen. Für 43 Prozent sei die Steuerlast kleiner als bislang, für acht Prozent etwa gleich, für 49 Prozent steigt die Belastung, quer verteilt über das gesamte Stadtgebiet, so die Auswertung der Kämmerei. Darunter sind offenbar hunderte Extremfälle, wo die Steuer regelrecht explodiert ist. In der Redaktion haben sich mehrere Betroffene gemeldet, die nun Erhöhungen um 100 oder gar um 2000 Prozent und mehr haben. Besonders schockte das Beispiel eines Essener Ehepaars aus Byfang, das jetzt über 18.000 Euro zahlt und somit 3225 Prozent mehr.
Grundsteuer: Essens Kämmerer fordert Nachbesserungen am Gesetz
Viele, bei denen die Belastung steigt, machen an der städtischen Hotline ihrem Ärger Luft, viele haben Fragen, können die höhere Steuer nicht nachvollziehen. Sie hadern vor allem mit den Bewertungen des Finanzamtes, die den Berechnungen zugrunde liegen. Die Stadt kann in diesen Fällen lediglich ans Finanzamt verweisen, von dem die Daten kommen. „Wir wenden darauf nur den Hebesatz an“, sagt Grabenkamp. Und dennoch: Jetzt, wo die Auswirkungen sichtbar werden, sieht auch der Kämmerer Korrekturbedarf: „Der Gesetzgeber wird sich Gedanken machen müssen, wo er nachbessern muss.“ Besonders die Bewertung einzelner Grundstücke werfe Fragen auf.
Bereits im Herbst 2024 waren der Stadtkämmerei 554 Fälle aufgefallen, in denen der Grundsteuermessbetrag im Vergleich zum bisherigen beträchtlich abwich. Sie meldete diese auch ans Finanzamt. Was daraus geworden ist? Unklar. Die Finanzverwaltung gibt dazu keine Auskunft, verweist auf das Steuergeheimnis.
35.000 Einsprüche gegen die Grundsteuerbescheide in Essen
Für Außenstehende ist die Festlegung der Steuer nur schwer zu durchblicken. Mehrere Parameter fließen dabei ein. Ein Problem aber scheint die pauschale Bewertung eigentlich unterschiedlicher Grundstücke zu sein. So legen die Finanzämter beispielsweise für Gartenland und unbebaubare Grundstücke den gleichen Bodenrichtwert zugrunde wie für bebaute Wohngrundstücke. Diese sind damit auf dem Papier ein Vielfaches ihres eigentlichen Wertes wert, was die Steuern hochtreibt. Ebenfalls pauschal werden auch Mieten in Mehrfamilienhäusern angesetzt, die in der Realität so gar nicht erzielt werden.
In Essen wurden mit der Reform der Grundsteuer rund 160.000 Immobilien neu bewertet. Immobilienbesitzer mussten dafür eine Grundsteuer-Erklärung abgeben. Auf dieser Basis haben die Finanzämter den Grundsteuerwert neu festgesetzt. Gegen diese Bescheide legten rund 35.000 Eigentümer in Essen Einspruch ein. In 4800 Fällen haben die Finanzämter diese bislang korrigiert, in der Regel dann, wenn offensichtliche Fehler vorlagen. Zum Beispiel, wenn von den Eigentümern Flächengrößen falsch übermittelt wurden.
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Die meisten Einsprüche jedoch liegen bei den Finanzämtern noch unbearbeitet. Das sorgt bei den Betroffenen für großen Frust, weil ihre Einsprüche keine aufschiebende Wirkung haben und sie nun trotzdem erstmal die teils erheblichen Summen zahlen müssen. Die Finanzverwaltung hält sich, nach den Gründen gefragt, bedeckt. Ein Sprecher erklärte lediglich: „Die Dauer der Bearbeitung der Einsprüche ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zum Beispiel ist in Fällen ruhender Einsprüche das Ergebnis von anhängigen Mustergerichtsverfahren abzuwarten, ehe eine abschließende Bearbeitung erfolgen kann.“
Essen kassiert im Jahr 137 Millionen Euro aus der Grundsteuer B
Auch wenn der Stadt die Hände gebunden sind, schaut sie mit Sorge auf die Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Schließlich ist die Grundsteuer mit zuletzt 137,8 Millionen Euro im Jahr eine der wichtigsten Einnahmequellen. Allerdings ist ihr nicht daran gelegen, Steuern auf einer rechtlich zumindest fraglichen Basis zu kassieren. „Ich habe kein Interesse an ungerechtfertigten Ausreißern“, sagt Grabenkamp. Gerade bei den Extremfällen müsse daher die Bewertung überprüft werden, fordert er.
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