Essen. Bei vielen Grundstückseigentümern in Essen ist die Grundsteuer mit der Reform exorbitant gestiegen. Fünf Beispiele zeigen den Steuerirrsinn.
Es sind die Tage der Grundsteuer-Wahrheit in Essen. Nun zeigt sich für alle Grundstückseigentümer, wie hoch die Grundsteuer nach der Reform tatsächlich ausfällt. Viele Besitzer erleben dabei gerade ihr blaues Wunder. Nachdem die Redaktion über einen besonders extremen Fall eines Paares aus Essen-Byfang berichtet hatte, das jetzt 18.200 Euro (+3225 Prozent) zahlen soll, haben sich weitere Betroffene bei der Redaktion gemeldet. Auch in den sozialen Medien schildern Hausbesitzer, dass ihre Grundsteuer um ein Vielfaches steigt. Was zeigt: Es handelt sich um keine Einzelfälle.
Gartenland: 2900 Prozent mehr Grundsteuer
Deshalb haben sich auch Marlene Riegel und ihr Mann Wolfgang Lange-Riegel an die Redaktion gewandt. „Das kann man so nicht machen. Das muss öffentlich werden“, sagt Marlene Riegel. Sie hat vor Jahren ein Stück Gartenland im Essener Stadtteil Bochold geerbt. Auf 1000 Quadratmeter hatten sich ihre Eltern auf einer ehemals schadstoffbelasteten Wiese auf eigene Kosten eine kleine grüne Oase angelegt, mit Teich, Gewächshaus und Gartenhütte. Die Riegels pflegen das Idyll, das in einem Häuser-Karree zwischen Germania- und Steegstraße liegt, bis heute liebevoll; auch wenn es dem Rentnerehepaar zunehmend schwerer fällt.
Ihr Garten ist auch als solcher im Grundbuch eingetragen und grenzt in Teilen an die Eigentumswohnung, es ist aber ein separates Grundstück, unerschlossen, kein Bauland. Und dennoch zahlen die Riegels nunmehr soviel Grundsteuern darauf, als wäre es eines. Zu Bewertung hat das Finanzamt einen Bodenrichtwert von 320 Euro pro Quadratmeter angesetzt. Die Grundsteuer steigt damit von 46 Euro auf 1336 Euro, ein Plus von 2900 Prozent. „Das ist doch sittenwidrig“, sagt Wolfgang Lange-Riegel. Der Ärger bricht sich nicht nur über das Finanzamt bei ihm Bahn, auch die Stadt hat auf das Grundstück den höheren Hebesatz von 1290 Prozent anwendet.
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Es war eine politische Abwägung gewesen, den Hebesatz zur Grundsteuer B zu splitten, erinnert Kämmerer Gerhard Grabenkamp an die entscheidende Ratssitzung Ende November 2024. Hätte es einen einheitlichen Hebesatz wie bisher gegeben, „dann hätten wir sehr viel mehr Erhöhungen gehabt, vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser wären extrem teurer geworden“, meint Grabenkamp. Das wollte die Mehrheit im Stadtrat verhindern und machte von einem geteilten Hebesatz Gebrauch. 655 Prozent für Wohngebäude, 1290 Prozent für den Rest.
Das entsprechende Hebesatzgesetz des Landes unterscheidet eben nur nach zwei Grundstücksarten: Wohnen und Nichtwohnen. Zu Letzterem gehören Geschäftsgrundstücke, gemischt genutzte Flächen, aber auch unbebaute Grundstücke und sonstige bebaute Grundstücke. Schon in der ersten Betrachtung im Herbst war der Stadt bewusst, dass unbebaute Flächen durch die Grundsteuerreform stärker belastet würden. Dennoch entschied sich die Politik mehrheitlich für das Hebesatz-Splitting. Mag sein, dass sie bei dem Begriff unbebaute Grundstücke eher Spekulanten im Blick hatte und nicht Rentner wie die Riegels.
Was Wolfgang Lange-Riegel ebenso umtreibt: Auch für seine Garage nimmt die Stadt den höheren Hebesatz von 1290 Prozent. „Ich frage mich, wieso? Diese steht doch auf dem Wohngrundstück.“ Sowohl beim Finanzamt als auch bei der Stadt hat er Einspruch bzw. Widerspruch gegen den jeweiligen Bescheid eingelegt. „Wir hoffen, dass das Ganze gekippt wird“, betonen sie.
Unbebaubares Grundstück: plus 2000 Prozent mehr Grundsteuer
Zu den extremen Grundsteuer-Fällen gehört auch der von Klaus Uecker bzw. der seiner Tochter. Für ein 18.000 Quadratmeter großes Grundstück in Essen-Katernberg soll sie statt 600 nun rund 12.000 Euro (+2000 Prozent) zahlen. „Das kann meine Tochter mit ihrem kleinen Einkommen und zwei Kindern gar nicht leisten“, berichtet Klaus Uecker. Er hatte das Grundstück 2014, das zwischen Bonnekamphöhe und der Straße Auf der Reihe liegt, in einem Paket erworben. Die Vorbesitzerin wollte dieses nur zusammen mit einem Grundstück in Gelsenkirchen veräußern, das Klaus Uecker eigentlich im Auge hatte.
„Ich habe damals gedacht: Kaufe ich es eben für meine Enkel, damit die sich im Wald austoben können oder darauf ein Baumhaus bauen können. 600 Euro Grundsteuer im Jahr waren mir das wert.“ Jetzt aber sieht die Welt anders aus. Klaus Uecker hat das Grundstück schon vor einiger Zeit an seine Tochter verschenkt und die frage nun: „Papa, was hast du mir da angedreht?“
Denn wie Klaus Uecker berichtet, handelt es sich bei dem riesigen Grundstück um eine völlig unbrauchbare, mittlerweile mit Wald bewachsene Hanglage. Weit vor seinem Erwerb gab es in der direkten Nachbarschaft einen Skandal um Schwarzbauten und die Stadt habe in der Folge verfügt, dass die heutige Uecker-Fläche als „öffentliche Grünfläche“ zu behandeln sei. „Man kann dort also gar nichts machen“, betont Klaus Uecker.
Und das ist jetzt im doppelten Sinne zu sehen: Mit der Steuerbelastung ist das Grundstück erst recht unverkäuflich geworden. Im Fernsehen hat Klaus Uecker dieser Tage eine Satire-Sendung gesehen, die die grotesken Auswirkungen der Grundsteuer-Reform aufs Korn genommen hat. Da war von den „Räubern im Wald“ die Rede. Klaus Uecker hat dieses Wortspiel gut gefallen. „Das ist doch alles Willkür und ungerecht.“
Grundstück im Landschaftsschutzgebiet: Plus 1950 Prozent mehr Grundsteuer
Auch bei Burkhard Fahnenbruch hat sich die Grundsteuer deutlich erhöht. Er lebt in Essen-Bedingrade. Seine Grundstücke dort sind Teil eines alten Kotten von 1880 im Landschaftsschutzgebiet Hexbachtal und somit nicht bebaubar. Die 2500 Quadratmeter grenzen als Hinterland an sein Wohngrundstück und dafür soll er nun 2500 Euro an Grundsteuer berappen statt bisher 128 Euro. Auch ihn trifft es doppelt. Denn zum einen wird darauf der höhere Hebesatz von 1290 Prozent fällig. Außerdem hat das Finanzamt dafür den gleichen Bodenrichtwert wie für das Wohngrundstück angesetzt: 230 Euro pro Quadratmeter.
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Überall gibt es also das gleiche Problem: Auch für einen Felshang in Steele sollen die Eigentümer, die anonym bleiben wollen, nun eine saftige Grundsteuer zahlen, weil vom Finanzamt auch dafür der gleiche Bodenrichtwert wie für das angrenzende Wohngrundstück von 330 Euro zugrunde gelegt wurde.
Grundsteuer auf Mietshaus: plus 100 Prozent
Dass die höhere Grundsteuer mit Verzögerung auch die Mieter treffen wird, zeigt das Beispiel von Jürgen Peter Kleinert. Seinen Fall begleitet die Redaktion schon seit längerem. Obwohl er auf Erhöhungen für seine Mietshäuser gefasst war, übertrafen manche Bescheide seine Vorahnungen nun doch bei weitem. In zwei Häusern in der Herkulesstraße verdoppelt sich die Grundsteuer: von 500 auf 980 Euro.
Was Kleinert umtreibt ist, wie er findet, ein Webfehler im Gesetz. Dort hat der Gesetzgeber für die Berechnung der Grundsteuer eine Tabelle mit pauschalen Mieten festgelegt. Diese unterscheidet nur nach Bundesland, Baujahrklassen und Wohnungsgrößen. Es ist also egal, ob Kleinerts Häuser im Ostviertel oder in Bredeney stehen. Das Finanzamt nimmt für alle Häuser in Essen knapp neun Euro Miete pro Quadratmeter an. „Mieten, die ich in meinen Häusern nie im Leben erzielen kann“, schimpfte Kleinert schon 2022 als er den Bescheid des Finanzamtes in Händen hielt. Die Häuser seien mit dieser pauschalen Miete viel zu hoch bewertet.
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