Essen. Die Grundstückseigentümer aus Essen-Byfang sollen über 18.000 Euro im Jahr zahlen. Es ist ein besonders drastischer Fall der Grundsteuerreform.
- Die Stadt Essen hat jetzt die Bescheide über die neue Grundsteuer 2025 verschickt.
- Für viele Hauseigentümer wird es künftig teurer. Darunter sind Extremfälle, wie der von Familie Glaser aus Essen-Byfang
- Das Finanzamt hat bei den Glasers einfach nicht bebaubare Waldgrundstücke wie Wohnland bewertet, was die Steuer extrem in die Höhe treibt.
Bodo und Stephanie Glaser wollten weg aus dem wuseligen Rüttenscheid und kauften sich 2017 ein Haus im beschaulichen Essener Stadtteil Byfang. Die Ruhr liegt ganz in der Nähe, ringsum ist Wald und Buschwerk, nur der Lärm der unterhalb gelegenen A44 stört diese Idylle zumindest etwas.
In den vergangenen Jahren haben die Glasers viel Geld und Liebe in das stark sanierungsbedürftige, alte Zechenhaus gesteckt. Seit einigen Wochen ist auch die Fassade fertig. Es ist ihr Traumhaus mitten im Grünen geworden. Doch seit dem 8. Januar 2025 erleben die beiden eher einen Albtraum. An jenem Tag lagen drei Schreiben der Stadt Essen im Briefkasten: die Bescheide zu den Grundbesitzabgaben. Darin aufgeführt ist unter anderem, wie viel Grundsteuer Familie Glaser ab diesem Jahr, also mit der Reform des Grundsteuer-Gesetzes, zahlen muss. Als Bodo Glaser die Briefe las, „ist mir schwindelig geworden“.
Bislang zahlten beide für ihr 17.000 Quadratmeter großes Land exakt 549,33 Euro Grundsteuer im Jahr. Ab dem 1. Januar 2025 sollen es laut Bescheid 18.264,62 Euro sein. Das sind über 17.700 Euro oder 3225 Prozent mehr. „Ich stelle Herrn Kufen damit jedes Jahr einen Kleinwagen vor die Tür“, sagt Bodo Glaser hörbar vergrätzt. Die Grundsteuer fließt ins Stadtsäckel.
Finanzamt bewertet Grünland und Wald pauschal wie Wohnland
Doch die Rolle der Stadt, das weiß Bodo Glaser, ist das kleinere Problem. Schon im August 2023 schwante ihm Schlimmes. Damals hatte das Finanzamt für die Berechnung der künftigen Grundsteuer sein Grundstück neu bewertet und ihm dies per Bescheid mitgeteilt. Genaugenommen muss man von drei Grundstücken sprechen, die sich nochmals in 14 Flurstücke gliedern. Da ist das Wohngrundstück, das von den 17.000 Quadratmetern Gesamtfläche gerade einmal 1300 Quadratmeter ausmacht, die Grundsteuer dafür beträgt jetzt 840 statt früher 360 Euro. Der große Rest aber sind Zugangswege, Gartenland, Holzungen, Grünland, Laubwald. So steht es auch in öffentlichen Registern.
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Bodo Glaser kaufte diese Flächen damals mit, weil die Vorbesitzerin gar nicht wusste, was sie damit machen sollte. Denn die Grundstücke liegen im Außenbereich, noch dazu im Landschaftsschutzgebiet. Gebaut werden darf dort nicht, weder jetzt noch künftig. Es ist Brachland. Der Gutachterausschuss der Stadt Essen weist dort entsprechend geringe Bodenrichtwerte zwischen 70 Cent und 3,50 Euro pro Quadratmeter aus.
14 einzelne Grundsteuererklärungen gab die Steuerberaterin der Glasers für die Flurstücke ab, führte die unterschiedlichen Merkmale auf. „Doch das Finanzamt hat das überhaupt nicht interessiert. Die sind in keinster Weise auf unsere Ausführungen eingegangen“, meint Bodo Glaser. Denn die Behörde hat alle Grundstücke wie das Wohngrundstück bewertet und pauschal einen Bodenrichtwert von 250 Euro pro Quadratmeter angesetzt. Auf dem Papier sind die Glasers jetzt Millionäre. Denn ihre Grundstücke sollen in Summe nun 4,4 Millionen Euro wert sein.
Steuerzahlerbund sieht sich in seiner Kritik an der Grundsteuer bestätigt
„Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre“, kommentiert Bodo Glaser das Ergebnis. Der Wert, den das Finanzamt festgesetzt hat, beläuft sich auf ein Vielfaches von dem, was sie vor acht Jahren für Haus und Grundstück bezahlt haben. „Allein daran lässt sich schon erahnen, dass da etwas nicht stimmen kann“, bekräftigt Hans-Ulrich Liebern vom Bund der Steuerzahler NRW.
Für Bodo Glaser liegt hier ein klarer Fehler des Finanzamtes vor. Für Hans-Ulrich Liebern zeigt das extreme Beispiel dagegen, „warum wir als Bund der Steuerzahler das Gesetz für verfassungswidrig halten“. Das Problem nämlich sei, dass der Gesetzgeber das Verfahren „grob pauschalisiert“ habe, ohne auf Besonderheiten von Grundstücken einzugehen. Die Glasers erlebten nun, „wie man mit einem solch pauschalen Vorgehen übers Ziel hinausschießt. Das muss korrigiert werden“, betont Liebern.
Das würde sich auch das Ehepaar wünschen. Doch die beiden warten seit über einem Jahr darauf, dass das Finanzamt überhaupt auf ihren Einspruch reagiert. Bodo Glaser spricht von einer „sehr belastenden Situation momentan“, wirft der Behörde einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein vor. Denn sein Einspruch hat keinerlei aufschiebende Wirkung. Ob Fehler oder nicht: Er muss die neue Grundsteuer erstmal an die Stadt zahlen. Die erste von vier Raten ist am 15. Februar 2025 fällig: 4566 Euro. Das übersteigt ein Monatsgehalt der meisten Menschen. „Hier geht es um existenzielle Beträge“, so Bodo Glaser.
Trotz Einspruch muss Grundsteuer gezahlt werden
Die Stadt aber kann nichts machen: „Wir sind an die Bescheide der Finanzverwaltung gebunden“, sagt deren Sprecherin. Eine generelle Prüfung auf Richtigkeit oder Plausibilität sei nicht möglich. Dennoch fielen der Stadtkämmerei im Vorfeld über 500 deutliche Ausreißer nach oben (im Vergleich zum alten Gesetz) auf. Diese gab sie an die Finanzämter weiter. Ob die Behörden die Fälle überprüft haben, wisse man nicht.
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Doch auch die Stadt hat einen Anteil an der hohen Grundsteuer der Glasers. Denn für die unbebauten Grundstücke von Bodo Glaser gilt der höhere Hebesatz von 1290 Prozent. Die Mehrheit der städtischen Politiker hatte sich dazu entschieden, den Hebesatz für die Grundsteuer B zu splitten. Für Wohngrundstücke werden nur 655 Prozent fällig, für gewerbliche Immobilien und unbebaute Flächen die erwähnten 1290 Prozent. Damit wollten die Parteien die Kostenbelastung fürs Wohnen senken, allerdings zu Lasten anderer Grundstücke.
Doppelt gestraft durch geteilten Hebesatz in Essen
Von dem geteilten Hebesatz profitiert zwar auch Bodo Glaser; nämlich für den Teil seines Wohngrundstücks. Aber eben nicht für den großen Rest. Deshalb kann er das Splitten nicht nachvollziehen. „Wofür will man mich bestrafen? Weil ich Füchsen, Dachsen und Rehen ein Zuhause gebe?“, fragt er.
Um die Steuerzahlung zumindest vorerst abzuwenden, werden die Glasers beim Finanzamt einen Antrag auf Aussetzung des Vollzugs stellen. Sollte dieser abgelehnt werden, dann rät Hans-Ulrich Liebern vor das Finanzgericht zu ziehen und dort den Antrag erneut zu stellen. Er kenne ähnliche Fälle, wo das Gericht sofort die Aussetzung angeordnet habe.
Für die Glasers wäre das aber nur ein Teilerfolg. Denn erst, wenn das Finanzamt den Bescheid tatsächlich korrigieren würde, wären sie ihre Sorgen los. Was ihnen unabhängig davon bleibt, ist die Hoffnung, dass die Grundsteuerreform ganz gekippt wird. Mehrere Musterklagen, unterstützt von Verbänden wie Haus & Grund oder dem Steuerzahlerbund, laufen. Bis diese aber höchstrichterlich entschieden sind, kann es noch dauern.
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