Essen. Das Ehepaar sollte 18.200 Euro Grundsteuer pro Jahr zahlen. Nun stellt sich heraus: Das Finanzamt hatte wohl einiges übersehen.

Hinter Bodo und Stephanie Glaser liegen aufreibende Wochen. Das Ehepaar aus dem Essener Stadtteil Byfang hatte mit seinem extremen Grundsteuerfall öffentlich für Schlagzeilen gesorgt. Statt bisher 550 Euro sollten sie nun pro Jahr über 18.200 Euro für ihre Grundstücke zahlen, eine Steigerung um 3225 Prozent. Die Summe schockierte. WAZ und NRZ Essen berichteten als erste Anfang Januar darüber.

Einen Monat später kann Bodo Glaser aufatmen. Sein Einspruch beim Finanzamt Essen Süd hatte Erfolg. „Die existenzbedrohende Lage ist weg“, erzählt er. Die Glasers werden künftig eine deutlich geringere Grundsteuer für zwei ihrer drei Grundstücke zahlen müssen. Bis das Finanzamt diese neu bewertet hat, ist die Zahlung der Steuer dafür außer Vollzug gesetzt worden. „Ich denke, die Kuh ist vom Eis“, berichtet Bodo Glaser hörbar erleichtert am Telefon.

Bodo Glaser
Bodo und Stephanie Glaser stehen in Essen-Byfang in ihrem Waldgrundstück. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Finanzamt behandelte Waldgrundstücke wie Bauland

In seinem ersten Bescheid hatte das Finanzamt die großen Waldgrundstücke von Familie Glaser wie Bauland behandelt und entsprechend hoch bewertet. Allerdings liegen diese im Landschaftsschutzgebiet, können gar nicht bebaut werden, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Dass es sich um unbebaute reine Wald- und Grünflächen handelt, hatte schon die Steuerberaterin der Glasers im Januar 2023 in der Grundsteuererklärung angegeben. Außerdem hatte sie beim Finanzamt beantragt, die Waldgrundstücke als land- und forstwirtschaftliche Flächen entsprechend in die Grundsteuer A umzuschreiben.

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Nur: Beim Finanzamt hatte diese Angaben im Freitext des Antrags offenbar niemand zur Kenntnis genommen. Genauso wenig, wie den ausführlich begründeten Einspruch, den Bodo Glaser über einen Anwalt ans Finanzamt im Anfang Oktober 2024 schickte. Und ebenfalls nicht den jüngst versendeten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Warum, bleibt offen. Ein Sprecher der übergeordneten Oberfinanzdirektion erklärte, dass man sich zu Einzelfällen nicht äußere.

Erst als Bodo und Stephanie Glaser ihren Fall in der WAZ und NRZ öffentlich machten, wurde das Finanzamt rege. Es gab nach der Prüfung der Grundsteuererklärung dem Einspruch statt und schickte für die beiden Waldgrundstücke neue Aktenzeichen. Unter diesen kann Bodo Glaser jetzt eine neue Erklärung abgeben. Dafür wird dann die Grundsteuer A fällig.

Essener Paar zahlt künftig für Waldgrundstücke Grundsteuer A

Damit wird künftig nicht nur die Bewertung der Grundstücke durch das Finanzamt deutlich geringer ausfallen, auch der Hebesatz, mit dem die Stadt letztlich die Grundsteuer berechnet. In der Grundsteuer B hatte die Stadt für das unbebaute Grundstück einen Hebesatz von 1290 Prozent angesetzt. In der Grundsteuer A beträgt der Satz gerade einmal 390 Prozent. Nachdem sein Fall ein gutes Ende genommen hat, meint Bodo Glaser: „Vielleicht zeigt er auch eine Lösung für andere Eigentümer auf, deren Grundstücke im Außenbereich liegen.“

Das sieht auch Hans-Ulrich Liebern vom Bund der Steuerzahler NRW so, schränkt aber ein: „Jeder Fall muss am Ende individuell betrachtet werden.“ Gerade aber bei großen, unbebaubaren Grundstücken, die wie die der Glasers im Außenbereich, noch dazu in Landschaftsschutzgebieten liegen, könne sich das lohnen. Glasers hatten den Vorteil, dass ihre Wald-Grundstücke vom eigentlichen Wohngrundstück bereits geteilt waren. Andernfalls hätten sie diese erst einmal mithilfe eines Notars trennen müssen.

Nach der Berichterstattung über Stephanie und Bodo Glaser hatten sich in der Redaktion auch andere Betroffene gemeldet. Schnell war damit klar: Familie Glaser ist bei Weitem kein Einzelfall. Auch andere Essener und Essenerinnen berichteten, dass das Finanzamt nahezu wertlosen Boden wie teures Bauland bewertet habe, sie nun enorme Steigerungen bei der Grundsteuer zu zahlen haben. Liebern fordert deshalb vom Gesetzgeber Korrekturen: „Das Bewertungsgesetz muss spezifiziert werden.“

Viele Essener empört: Finanzamt reagiere nicht auf Einsprüche

Die Empörung über das neue Grundsteuergesetz ist nur das eine. Viele Betroffene warten bis heute vergebens, dass das Finanzamt auf ihre Einsprüche reagiert. Ihre Zahl dürfte allein in Essen in die zehntausende gehen. Zahlen müssen sie die Steuer trotzdem, ein Einspruch hat keine aufschiebende Wirkung.

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Die einzige Möglichkeit besteht darin, beim Finanzamt einen Antrag auf die Aussetzung der Vollziehung zu stellen. Das setzt laut Steuerzahlerbund aber zwei Dinge voraus, um Erfolg zu haben: Der vom Finanzamt festgestellte Grundsteuerwert muss mindestens 40 Prozent über dem tatsächlichen Wert des Grundstücks liegen. Den niedrigeren Wert muss der Eigentümer belegen können. Außerdem muss der Haus- oder Grundstücksbesitzer fristgerecht gegen den Grundsteuerwertbescheid des Finanzamtes Einspruch eingelegt haben. Dafür blieb nur ein Monat Zeit. Die Frist dürfte bei den meisten damit längst abgelaufen sein.

Liebern rät denjenigen, die die Bewertung ihres Grundstückes als zu hoch erachten, Folgendes: Wer seinen Einspruch bislang nur auf die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes gestützt habe, der solle dem Finanzamt einen individuell begründeten Einspruch hinterherschicken. Denn ob das Gesetz tatsächlich gegen die Verfassung verstößt, wird sich erst in den laufenden Musterverfahren herausstellen. Das kann noch dauern. Auch ein Antrag auf „fehlerbeseitigende Fortschreibung“ könnte eine Lösung sein, vor allem für all diejenigen, die bislang keinen Einspruch eingelegt oder sich eben nur auf die Verfassungswidrigkeit berufen haben.

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