Essen-Frillendorf. Auch wenn die Schutzengelkirche in Essen nur noch zwei Weihnachten feiern wird: Abgerissen wird das Gebäude nicht. Es steht unter Denkmalschutz.
Am zweiten Weihnachtstag, 26. Dezember, haben die Gläubigen in Essen-Frillendorf Grund zum Feiern: Vor 100 Jahren wurde in der Gemeindekirche Heilige Schutzengel, auch Schutzengelkirche genannt, die erste Messe gefeiert.
Nach der festlichen Messe am zweiten Weihnachtstag um 10.30 Uhr können die Gläubigen bei Kaffee und Gebäck zusammenbleiben und Erinnerungen austauschen. Allzu viele Weihnachtsmessen wird es in dem imposanten Kirchbau an der Straße Auf der Litten 67 nicht mehr geben. „Unsere Kirche wird im Oktober 2026 außer Dienst gestellt“, erklärt Evelyn Valerius (68) vom Gemeindeteam St. Nikolaus.
Dem Tag des Abschieds sieht sie mit Wehmut entgegen. Die Wahl-Frillendorferin stammt eigentlich aus dem nördlichen Ruhrgebiet, lebt aber seit vielen Jahrzehnten in Essen. Dort hat sie ihren Mann, den aktuellen Bezirksbürgermeister Peter Valerius, kennengelernt. In der Schutzengelkirche haben sie geheiratet, in dieser wurden die beiden Kinder getauft. An den Abschied von der katholischen Kirche, die für sie irgendwie auch Heimat bedeutet, mag Evelyn Valerius aber heute noch nicht denken. Erst einmal steht das Jubiläum auf dem Programm.
In der Kirche in Essen-Frillendorf wurde Weihnachten 1924 die erste Messe gefeiert
„Einfach abreißen kann man die Kirche ja nicht, sie steht unter Denkmalschutz“, sagt Jörg Pohlig (67) von der Kolpingfamilie, der auch Aufgaben als ehrenamtlicher Küster übernimmt. Was allerdings mit dem riesigen Gebäude nach der letzten Messe geschehen soll, ist noch offen. Die besondere Akustik und das fehlende Tageslicht würden denkbare Nachnutzungen wie Kita oder Seniorenheim wohl ausschließen, glaubt Evelyn Valerius. Der Prozess der Ideenfindung laufe.
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Die Kirche Heilige Schutzengel gehört zur Pfarrei Cosmas und Damian und zur Gemeinde St. Nikolaus. In Frillendorf finden derzeit noch die Vorabendmessen am Samstag und Gottesdienste am Mittwochvormittag statt.
Auf ihre ungewöhnliche Kirche mit dem großen Vorplatz sind die Gemeindemitglieder durchaus stolz. Entworfen wurde sie von dem bekannten Baumeister Edmund Körner (1874-1940). Auch die Synagoge, das Haus der Technik und viele weitere Gebäude in Essen tragen seine Handschrift. Das Frillendorfer Bauwerk hat einen elliptischen Grundriss und eine Kuppel, deren tragende Pfeiler kranzförmig außen herum angeordnet sind. Dadurch wird der freie Blick in den bewusst schlicht gehaltenen Kircheninnenraum und auf den Altar ermöglicht. An den Pfeilern sind die Stationen des Kreuzwegs zu sehen, an den Seitenwänden gibt es sechs große Schutzengelfiguren. Außen herum sind kleine Seitenkapellen für Beichtstühle, Werktagskapelle, Taufbecken, Marienfigur und Tabernakel angeordnet.
Der Bergbau prägte das Leben im Essener Norden
Der Stadtteil war früher vom Bergbau geprägt. „Eigentlich sollte die Kirche an anderer Stelle entstehen, aber da lagen die Flöze ungünstig“, erklärt Jörg Pohlig. Die Kirche ist im Stil des sogenannten Backstein-Expressionismus gebaut, einer im Ruhrgebiet vor rund 100 Jahren für kurze Zeit angesagten Bauweise. „Hier in der Nähe gab es Tongruben, aus denen die Backsteine stammten“, erzählt Pohlig. „Ziegel waren als Baumaterial nicht nur gut verfügbar, sondern auch relativ unempfindlich gegen den Industrieschmutz“, so Evelyn Valerius. Durch die Anordnung der Steine entstanden Muster im Mauerwerk. Sogar defekte Ziegel habe man teils als Deko-Elemente verwendet.
Die Malereien an den Wänden entstanden dagegen erst bei der letzten großen Renovierung 1988. Danach wurde der Bau unter Denkmalschutz gestellt. Die Kirche entstand kurz nach dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit der Ruhrbesetzung, teils unter Mitarbeit der Gläubigen, die trotz hoher Inflation auch Geld dafür gaben. „Es ist schon erstaunlich, wie viel Energie und Arbeit die Menschen in das Projekt steckten, obwohl sie sicherlich andere Probleme hatten“, wundert sich die 68-Jährige.
Damals sei man offenbar davon ausgegangen, dass Frillendorf weiter wachsen werde und man deshalb ein Gotteshaus benötige. Als an Weihnachten 1924 die erste Messe in der Schutzengelkirche stattfand, sei noch längst nicht alles fertig gewesen. „Man hat die Stellen einfach mit Vorhängen zugehängt“, sagt Evelyn Valerius. Das ist auf alten Fotos, wie dem Bild einer Hochzeit vor dem Hochaltar 1928, deutlich zu sehen. Wenn wieder Geld vorhanden war, wurde an der Kirche weitergebaut.
So wurde der Turm erst 1958 vollendet, einige geplante Gebäude des Ensembles wurden gar nicht realisiert. „Die Kirche ist zwar Weihnachten 1924 gesegnet und in Betrieb genommen, aber wegen der noch ausstehenden Arbeiten nicht geweiht worden. Das fand tatsächlich erst 1989 nach der Renovierung statt. Eine Kirche soll ja auch erst geweiht werden, wenn keine Schulden mehr darauf liegen“, so Evelyn Valerius.
Die Essener Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt, aber nicht zerstört
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Schutzengelkirche zwar beschädigt, aber nicht zerstört. Die Grundidee bei der Kirchengestaltung war, dass sich alles auf Christus konzentrierte, weshalb man den Altarraum hell erleuchtete. Der Hochaltar wurde später abgeschafft und nachträglich eine Akustikdecke installiert. Evelyn Valerius und Jörg Pohlig können sich an drei Umbaumaßnahmen erinnern, davon eine gravierende, bei der die bergbaubedingte, massive Schieflage des Bauwerks ausgeglichen werden musste. „Damals drohte ein Teil der Kirche abzusacken“, blickt die Frillendorferin zurück.
Wenn 100 Jahre nach der ersten Messe jetzt an Weihnachten die Orgel erklingt, kommen die Töne aus dem Instrument am Altar. Die alten Orgelpfeifen auf der Empore haben keine Funktion mehr, mussten aber aus Denkmalschutzgründen erhalten bleiben. Die vier schmalen, bunten „Drachenfenster“ hat der bekannte Künstler Johan Thorn Prikker (1868-1932) der Kirche gestiftet. Ob er sie auch selbst geschaffen hat, sei unklar, sagt Evelyn Valerius. „Vielleicht kommen sie auch aus seiner Schule.“
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