Essen. Die Essenerin (76) bricht sich den Arm und muss zweimal operiert werden. Ursache für den Sturz: ein Graben, der nur provisorisch verfüllt war.
Bis zu drei Mal in der Woche läuft Hiltrud Grabsch die etwa anderthalb Kilometer von ihrem Haus in der Schloßstraße in Borbeck ins Fitnessstudio. Zu Fuß ist es bis zu Flurstraße keine halbe Stunde. „Da kann ich mir das Aufwärmen sparen“, meint die 76-Jährige. Auch am Freitag, 29. November, ist Hiltrud Grabsch mit ihrem Mann Hans Bernd (80) dorthin unterwegs. Gegen 8.30 Uhr queren sie die kleine Wohnstraße Wiedbach im Einmündungsbereich Dübbenberg.
In der Siedlung sind schon längere Zeit Bautrupps im Auftrag der Firma Ruhrfibre unterwegs, reißen Fußwege und teilweise auch Straßen auf, um Glasfaserkabel zu verlegen. Die Stelle, die die Eheleute Grabsch an diesem Morgen passieren, ist etwa 14 Tage zuvor, Mitte November, aufgerissen worden.
Zurück blieb ein etwa halber Meter breiter Schacht über die gesamte Straße. Er war zu dem Zeitpunkt nur mit Schotter verfüllt und verdichtet. Allerdings hatten sich Steine durch den Autoverkehr schon wieder gelöst und lagen ringsum den Schacht, in dem sich ein etwas tieferes Loch gebildet hatte. So berichtet es Uwe van Hoorn, der in der direkten Nachbarschaft wohnt und an diesem Tag zum wichtigen Helfer für Hiltrud Grabsch wird.
Als van Hoorn mit seinem Auto vom Lübbenberg in den Wiedbach einbiegt, sieht er die beiden die Straße überqueren. „Ich hab noch gedacht: Hoffentlich sehen sie die Stelle.“ Im selben Moment macht Hans Bernd Grabsch offenbar einen Schritt über die Schotterstelle, rutscht auf den umliegenden Steinen aus und kommt ins Straucheln. Dabei reißt er seine untergehakte Frau mit zu Boden. „Das ging alles so schnell“, werden beide später sagen.
Essenerin bricht sich bei Sturz den Unterarm und schlägt sich das Gesicht blau
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Hiltrud Grabsch schlägt auf dem linken Arm und mit dem Gesicht auf. Sie blutet. Uwe van Hoorn springt aus dem Auto, leistet Erste Hilfe. Hiltrud Grabsch hat schon da starke Schmerzen. Später im Philippusstift wird man feststellen: offener Bruch am Unterarm, Trümmerbruch im Handgelenk. Zweimal muss die 76-Jährige operiert werden, liegt sechs Tage im Krankenhaus. Die Blessuren im Gesicht - eine Schürfwunde an der Stirn und große blaue Flecken unter der Brille - sind auch fast 14 Tage danach noch zu sehen. Hans Bernd Grabsch hat sich das Knie aufgeschlagen, hat aber ansonsten Glück gehabt. Der Schock sitzt bei beiden tief.
Auch Tage danach kommen dem 80-Jährigen die Tränen, wenn sie die Geschichte erzählen. Er fühlt sich schuldig. „Natürlich muss man selbst aufpassen“, sagt er. Und trotzdem wäre es zu diesem Sturz wohl nicht gekommen, wenn die Straße wieder ordnungsgemäß asphaltiert worden wäre. „Die lassen die Gräben einfach zu lange offen“, ärgert sich Hiltrud Grabsch.
Ihr linker Arm ist bis zur Armbeuge in Gips, nachts nimmt sie Schmerzmittel, um überhaupt schlafen zu können. Bis Weihnachten, so hofft sie, werden wenigstens die blauen Stellen im Gesicht nicht mehr zu sehen sein, „damit ich mich wieder unter Leute trauen kann“. Das mit dem Arm wird länger dauern. Vielleicht könne sie im Frühjahr mit der Reha beginnen.
Anwohner berichtet von mehreren Stolperfallen nach Glasfaserarbeiten
Uwe van Hoorn beobachtet die Glasfaserarbeiten in seinem Wohngebiet schon seit längerem skeptisch. „Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, bis etwas passiert“, meint er. Auch auf seiner Straße Neuwiedweg hätten die Bauarbeiter bis zu fünf Zentimeter hohe Kanten auf dem Fußweg hinterlassen. Eine Stolperfalle. „Und hier wohnen viele ältere Leute“, berichtet er.
Wie am Wiedbach wird im Moment das Glasfasernetz in weiten Teilen der Stadt massiv ausgebaut. Allein für das Unternehmen Ruhrfibre sind über 70 Bautrupps unterwegs. Mit den vielen Baustellen mehren sich aber auch die Klagen der Bürger. Sie rügen vor allem, wie die Baustellen verlassen werden. Häufig würden die aufgerissenen Straßen und Fußwege nicht oder erst mit Verspätung wieder so hergestellt, wie sie zuvor waren. Die Beschwerden sind mannigfach im Mängelmelder der Stadt nachzulesen.
Baufirma hat Verkehrssicherungspflicht
Kommt es zu einem Sturz aufgrund eines Baustellenmangels, dann haftet die Baufirma. „Nämlich aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten“, sagt Arndt Kempgens, Anwalt für Versicherungsrecht. In Gerichtsverfahren würde allerdings meist ein Mitverschulden des Gestürzten anteilig bewertet, wenn es beispielsweise um die Zahlung von Schmerzensgeld geht. Wie hoch das Gericht die Mitschuld einschätzt, hänge vom Einzelfall ab.
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Hiltrud Grabsch hat bislang keinen Anwalt eingeschaltet, hat den Vorfall auch nicht Ruhrfibre oder der Polizei angezeigt. Als das Glasfaser-Unternehmen auf Nachfrage der Redaktion davon erfährt, teilte es mit: „Wir bedauern sehr, dass es zu einem Unfall gekommen ist.“ Ob dieser aber tatsächlich auf einen Baustellenmangel zurückzuführen sei, könne Ruhrfibre „bedauerlicherweise nicht mehr rekonstruieren“. Um die Frage zu klären, ob der Generalunternehmer haftbar gemacht werden könne, sei eine vollständige Dokumentation des Unfallhergangs inklusive entsprechender offizieller Dokumente und Meldungen notwendig, betont Ruhrfibre.
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Dass die Straße nicht, wie vorgeschrieben, schnell wieder asphaltiert wurde, erklärt Ruhrfibre mit „Lieferengpässen“. Allerdings seien Sicherheitsbaken aufgestellt worden, um auf die noch laufenden Bauarbeiten hinzuweisen. Die Sicherung der Baustellen werde zudem regelmäßig kontrolliert. Im Fall der Unfallstelle auf der Straße Wiedbach kann sich Nachbar Uwe van Hoorn allerdings an keine Absperrung erinnern. „Da waren keine Baken an der Baustelle“, versichert er.
Anwalt rät Sturzopfern: Noch vor Ort Beweise sichern
Weil sich im Nachhinein vieles nicht mehr oder nur noch schwer belegen lässt, rät Versicherungsanwalt Kempgens Betroffenen, noch vor Ort Beweise zusichern. Das können zum Beispiel Fotos sein, die die Ausmaße der Stolperstelle zeigen. „Wichtig ist es dabei auch, Vergleichsmaße herzustellen“, sagt Kempgens. Da selten ein Zollstock bei der Hand ist, können auch Dinge wie Zigarettenschachteln helfen.
Nachdem die Redaktion im Übrigen Ruhrfibre kontaktiert hatte, wurde der provisorisch gefüllte Schacht in der Straße Wiedbach am Donnerstagmorgen ordnungsgemäß asphaltiert. Die hohen Kanten auf dem Fußweg vor Uwe van Hoorns Haus sind seit diesem Montag Geschichte.
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