Duisburg. Einserschülerin Sara lebt mit ihrer Familie in einer Duisburger Flüchtlingsunterkunft. Einen Schreibtisch hat sie nicht, aber einen Wunsch: eine Wohnung.

„So eine intelligente und zielstrebige, zugleich sehr offene, reflektierte, emanzipierte und hilfsbereite Schülerin hatten wir noch nicht.“ Klassenlehrer Kosta Drossos vom Kaufmännischen Berufskolleg (KBM) in Duisburg-Neudorf ist voll des Lobes. Er spricht von Sara Osmani. So eine Schülerin wie sie hat er noch nie unterrichtet. Die 20-Jährige ist mit der gesamten Familie aus Afghanistan geflohen. Bereits in der Türkei trennten sich Sara, die Mutter und ihre beiden Brüder allerdings. Sara floh mit ihrem jüngeren Bruder allein nach Italien und schließlich nach Deutschland – zunächst nach Bochum. Von dort ging es nach Minden-Lübbecke, wo ein Onkel wohnte. Ein Jahr blieben sie dort, bevor sie nach Duisburg zogen. Hier trafen die Geschwister ihre Mutter und den anderen Bruder wieder. Seit dieser Zeit leben die Vier wieder unter einem Dach.

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Eigentlich hatte Sara großes Glück. Zum Start in Duisburg besuchte die junge Erwachsene eine internationale Förderklasse des KBM. Hier lernte sie Deutsch und fiel zum ersten Mal durch große Wissbegierde und Lernbereitschaft auf. „Ich hatte Sara am Anfang in Sport und selbst da konnte man schon merken, wie gut sie Deutsch sprach und dass sie ihren Weg machen wird“, erzählt Drossos. Weil sie so gut war, wechselte sie bald in die Höhere Handelsschule, absolvierte auch diese als Jahrgangsbeste und sitzt nun in der zwölften Klasse des Wirtschaftsgymnasiums.

Duisburger Berufskolleg bietet „durchlässiges System“

„Wirtschaft und Mathe finde ich am besten. Eigentlich habe ich immer 13 bis 15 Punkte“, berichtet Sara nicht ohne Stolz. Nur in Englisch stand zuletzt eine 2+ auf dem Zeugnis. „Sara möchte immer Extra-Aufgaben lösen. Aber das Schöne ist, dass sie auch den anderen hilft und den Stoff erklärt“, betont Bildungsgangleiterin Antje Minrath. „Der Vorteil des Berufskollegs ist, dass diese Schulform sehr durchlässig ist und wir individuell auf die Talente der Schülerinnen und Schüler reagieren können“, sagt auch Philip Dziuba, stellvertretender Schulleiter des Berufskollegs.

Gestartet ist Sara Osmani (20) in einer internationalen Förderklasse am Berufskolleg. Nun besucht sie die zwölfte Klasse des Wirtschaftsgymnasiums.
Gestartet ist Sara Osmani (20) in einer internationalen Förderklasse am Berufskolleg. Nun besucht sie die zwölfte Klasse des Wirtschaftsgymnasiums. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Etwa 70 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund, etliche Pädagogen ebenfalls. Klassenlehrer Kosta Drossos ist zum Beispiel als Kind von griechischen Gastarbeitern in Hochfeld aufgewachsen. „Das war damals nicht leicht, aber kein Vergleich zu den Startchancen, die Sara hat.“ Drossos ahnt: „Vielen Familien ist Bildung wichtig, doch es ist gar nicht so leicht, durch das deutsche Schulsystem durchzublicken.“

Familie teilt sich zu viert ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft

Während es in der Schule nicht besser laufen könnte, drücken Sara und ihre Familie dennoch ein paar Sorgen. Denn die Bedingungen hier sind alles andere als leicht. Sie wohnen in der Flüchtlingsunterkunft an der Memelstraße, teilen sich zu viert ein Zimmer und schlafen in Doppelstockbetten. Gekocht wird in der Gemeinschaftsküche der Einrichtung. Auch das Bad wird geteilt. Laut Stadt Duisburg waren zum Jahresende an der Memelstraße 249 Personen untergebracht, vorwiegend Familien.

In der Unterkunft an der Memelstraße leben, Stand Ende 2024, laut Stadt vorwiegend Familien.
In der Unterkunft an der Memelstraße leben, Stand Ende 2024, laut Stadt vorwiegend Familien. © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

„Das ist schon schwierig, wenn einer schlafen möchte und der andere noch liest. Aber wir haben uns daran gewöhnt“, beschreibt sie. Einen Schreibtisch gebe es nicht. „Deshalb mache ich meine Hausaufgaben oft auf dem Boden“, erklärt Sara. Die Sache ist ihr unangenehm – doch sie will sich ausdrücklich nicht beschweren. Schon seit einer Weile sucht die vierköpfige Familie händeringend eine eigene Wohnung und findet partout nichts im Umfeld. Oft werden sie noch nicht einmal zum Besichtigungstermin eingeladen.

Klassenlehrer Kosta Drossos wuchs selbst als Kind von griechischen Gastarbeitern auf.

„So eine intelligente und zielstrebige, zugleich sehr offene, reflektierte, emanzipierte und hilfsbereite Schülerin hatten wir noch nicht.““

Klassenlehrer Kosta Drossos fördert seine Schülerin und wünscht sich, dass sie bald umziehen kann.

„Die Stadt bringt derzeit Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften, Wohnungen und Hotels unter. Die Unterbringung in Hotels und in Wohnungen wird reduziert, sodass aktuell dort keine weitere Unterbringung erfolgt“, erklärt Stadtsprecher Peter Hilbrands auf Nachfrage unserer Redaktion, warum die Familie nicht längst in eine eigene Wohnung ziehen konnte. Die Familienmitglieder haben durchgängig einen Aufenthaltstitel, der sie berechtige, eine Wohnung anzumieten.

Sara blickt bei einem Redewettbewerb auf ihre Reise nach Deutschland

In einem Redewettbewerb, den das Berufskolleg regelmäßig veranstaltet, hat Sara auf ihre Reise nach Deutschland zurückgeblickt und ihre Wünsche für die Zukunft vorgetragen. „Meine Zukunft ist nicht einfach nur ein Traum. Sie ist das Ergebnis einer langen Reise. In jedem der Länder, Iran, Türkei, Italien, habe ich etwas gelernt – über die Kulturen, die Menschen und vor allem über mich selbst.“ Als sie in Deutschland angekommen sei, sei vieles neu gewesen. „Es war nicht einfach, sich zurechtzufinden, aber ich habe gelernt, dass jede Veränderung auch eine Chance ist. In Deutschland habe ich angefangen, an meine Träume zu glauben und Pläne für die Zukunft zu schmieden.“ Sara möchte nach der Schule vielleicht Wirtschaftsinformatik studieren und später „eine Geschäftsfrau werden und eventuell eine Firma gründen.“ In Afghanistan hatte die Familie ein kleines Lebensmittelgeschäft. 

Viele Schüler und auch einige Lehrer, die das Kaufmännische Berufskolleg in Duisburg besuchen, haben einen Migrationshintergrund.
Viele Schüler und auch einige Lehrer, die das Kaufmännische Berufskolleg in Duisburg besuchen, haben einen Migrationshintergrund. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

Aktuell steht sie über die Schule in Kontakt mit einem Talentscout der Uni Duisburg-Essen. Der sichtet regelmäßig am Berufskolleg, wer zur Hochschule wechseln könnte. Nächstes Jahr will Sara Osmani Abitur machen – und hofft, dass die Familie bald eine eigene Wohnung findet, damit die Situation für alle einfacher wird. „Meine Reise hat mich stark gemacht. Ich habe gelernt, nicht aufzugeben, egal, wie schwierig es wird.“

>> Wohnung gesucht

Wer Sara Osmani und ihrer Familie bei der Wohnungssuche helfen kann, kann sich bei Kosta Drossos per E-Mail melden: k.drossos@kbm-duisburg.de.

Die Familie würde die Wohnung vom Amt finanziert bekommen. Bei vier Personen darf diese bis zu 95 Quadratmeter groß sein. Die Bruttokaltmiete darf bei 735,30 Euro liegen.

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