Bottrop. Zu sehen sind im Museum für Ur- und Ortsgeschichte nur die Spitzen eines riesigen Eisbergs. In Depots lagern Zehntausende unentdeckte Schätze.

Ins Depot des Museums für Ur- und Ortsgeschichte gelangen Interessierte kaum. Dabei gäbe es für Bottroperinnen und Bottroper vieles zu entdecken. Als Museumsdirektorin Linda Walther und der neue Leiter der ur- und ortsgeschichtlichen Sammlung, Dr. Charalampos Kevrekidis, die Türen öffnen, fällt der Blick zunächst auf eine uralte Personenwaage.

Diese mannshohen mechanischen Monster waren einst an vielen öffentlichen Orten zu finden. „Dieses Exemplar stammt aus dem alten Bottroper Hauptbahnhof“, wissen die Museumsleute. Charalampos Kevrekidis öffnet sogar das Gehäuse und lässt uns einen Blick auf die alte Technik werfen. Ältere werden sich auch noch an das „Knusperhäuschen“ erinnern. So hieß im Volksmund der Stationsbau aus Fachwerk, der eher an einen Haltepunkt irgendwo auf dem Land als an einen Stadtbahnhof erinnerte.

Charalampos Kevrekidis öffnet im Museumsdepot die alte Personenwaage aus dem früheren Bottroper Hauptbahnhof und zeigt die Technik.
Charalampos Kevrekidis öffnet im Museumsdepot die alte Personenwaage aus dem früheren Bottroper Hauptbahnhof und zeigt die Technik. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Vorbei an einem reich verzierten so genannten Gussmantelofen aus dem 19. Jahrhundert geht es in einen der Depoträume im Keller. „Über uns ist die Eiszeithalle mit dem Mammut“, sagt der Sammlungsleiter und lächelt. Als Paläontologe ist der urgeschichtliche Bereich sein eigentliches wissenschaftliches „Zuhause“. Aber die Struktur sehe vor, ergänzt Linda Walther, dass beide Bereich in einer Hand liegen. Sicher überstrahlen das Josef-Albers-Museum und die eiszeitliche Sammlung unter dem Dach des Museumszentrums mit ihrer internationalen Bedeutung immer wieder den kleinteiligeren ortsgeschichtlichen Bereich.

Dr. Linda Walther.

„Der Bereich Ortsgeschichte ist wesentlicher Bestandteil des Museumszentrums Quadrat, nicht nur Beiwerk.“

Dr. Linda Walther, Museumsdirektorin

Aber: „Bottrop hat nicht zuletzt mit der Sanierung der alten Villa neben den modernen Museumsbauten und der Neupräsentation der Ortsgeschichte dort gezeigt, dass auch dieser Bereich wesentlicher Bestandteil des Hauses ist, nicht nur Beiwerk“, so die Direktorin. So finden sich auch wichtige Zeugnisse der vorindustriellen Geschichte des Ortes in der ständigen Ausstellung.

Anderes der Bottroper Sammlung, wie zum Beispiel Plakate aus dem Konvolut der Gaststättenbetreiber Beulmann, in deren Saal sich auch Bottrops erstes Kino befand, sind derzeit in der Ausstellung „Glückauf - Film ab! Kinogeschichte des Ruhrgebiets“ im Essener Ruhr Museum zu sehen. In den Beulmann-Kartons findet sich so genannte „Flachware“, Unterlagen, Varieté-Programme (auch das gab‘s bis in die 1920er Jahre in Bottrop) bis zu Bierdeckeln mit dem Logo „Bottroper Bier“ und der alten Westfalia-Brauerei.

Auch interessant

Über 23.000 Exponate des Museums wurden bislang inventarisiert. Noch einmal soviel muss gesichtet werden

Etwa 23.000 Exponate von alten Küchenmaschinen, Lampen, bis hin sogar zu Kinder- und Puppenwagen, die mindestes 100 Jahre auf dem Buckel haben dürften, warten hinter Metallschiebetüren darauf, dass sie ihre Geschichte „erzählen“ dürfen. „Dazu kommen mindestens noch einmal so viele noch nicht inventarisierte Gegenstände. Sie alle stehen für Bau-, Kirchen- oder Vereinsgeschichte in der Stadt, aber auch für den ganz normalen Alltag der alten bäuerlichen Familien, der recht kleinen bürgerlichen Oberschicht und vor allem der unzähligen Bergarbeiterfamilien, die Bottrop erst zur Stadt, später Großstadt machten.

Vielleicht ließe sich sogar ein Schau „Kindheit und Jugend früher in Bottrop“ mit Dingen aus dem Museumsdepot auf die Beine stellen.
Vielleicht ließe sich sogar ein Schau „Kindheit und Jugend früher in Bottrop“ mit Dingen aus dem Museumsdepot auf die Beine stellen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Die Sammlung wächst ständig“, sagt Charalampos Kevrekidis. Fast jede Woche kämen neue Dinge hinzu oder Menschen, die anfragten, ob dieses oder jenes nicht für das Museum interessant sei. Auf einem Tisch liegt gerade eine grüne Fahne des Schützenvereins Andreas Hofer von 1952. Daneben eine Kiste mit Glasarbeiten. „Künstlerisch gestaltete Glasfenster aus dem alten Kolpinghaus, die zeigen Symbole einzelner Berufsgruppen“, erläutert der Sammlungsleiter. Die seien dem Museum kürzlich von der Cyriakusschule übergeben worden. „Bis jetzt noch nicht korrekt inventarisiert, das kommt jetzt“, so Kevrekidis.

Ganz neu im Museumsdepot: Glasbilder aus dem alten Kolpinghaus an der Osterfelder Straße. Sie lagen lange in der Cyriakusschule.
Ganz neu im Museumsdepot: Glasbilder aus dem alten Kolpinghaus an der Osterfelder Straße. Sie lagen lange in der Cyriakusschule. © DA

Ziel sei es, das Depot auf neuen wissenschaftlichen und konservatorischen Standard zu bringen. Das dürfte angesichts der zum Teil ungeordneten Fülle des Materials eine Sisyphos-Arbeit auf Jahre werden. Bei vielen älteren Stücken dürfte eine lückenlose Nachverfolgung der Geschichte oder auch der Besitzer nicht mehr möglich sein. Man habe fast alles gesammelt.

Wichtig ist auch die Geschichte und der lokale Bezug, der hinter einem Museumsexponat steht

„Eigentlich ist das auch gut so, denn manchmal wird eine lokalhistorische Bedeutung erst später erkannt“, sagt der Wissenschaftler, der sich längst schon auf das 50-jährige Jubiläum des Museumszentrums 2026 vorbereitet. Da gebe es bereits eine enge Zusammenarbeit mit Akteuren wie dem Stadtarchiv. Aber auch das Gedenken an den Gründungsdirektor des Museums, Arno Heinrich, soll dann eine Rolle spielen.

Es gibt auch Überlegungen, Papierbestände wie Urkunden, Fotos oder Plakate ins Stadtarchiv zu geben, um sich im Museumsdepot auf die dreidimensionalen Exponate zu konzentrieren. Sinnvoll wäre das, heißt es aus beiden Häusern. Aber im Archiv sind längst nicht alle Depotprobleme gelöst.

Unterdessen wachsen die Depotbestände der Ur- und Ortsgeschichte weiter. „Kürzlich bekamen wir aus einer Krefelder Privatsammlung ein Konvolut mit Knochen und Schädeln von Tieren aus der Eiszeit“, beschreibt Charalampos Kevrekidis die Dynamik. Grundsätzlich lautet die Devise des Sammlungsleiters: „Wir weisen niemanden ab, der glaubt, etwas Interessantes zur Bottroper Geschichte zur Verfügung stellen zu können.“ Aber Herkunft und die Geschichte zum Exponat sollten nachvollziehbar sein. Denn manchmal sei die Geschichte hinter einem Gegenstand vielleicht sogar bedeutender, als der Gegenstand selbst.

Das Museumszentrum Quadrat, Anni Albers-Platz 1, mit seinen drei Sammlungen ist ab 1. Januar Mi bis So von 11 bis 17, Do bis 19 Uhr geöffnet. Di nur für Gruppen mit vorheriger Buchung. Am 24., 25. & 31. Dezember sowie am 1. Januar geschlossen. Die ständigen Sammlung sind kostenfrei zugänglich. Alle Infos auf: quadrat.bottrop.de.