Bottrop. Vor 90 Jahren eröffnete die Bahnstrecke Bottrop - Essen. Vor 85 Jahren hielt der erste D-Zug vom Rheinland nach Berlin in Bottrop-West, dem späteren Hauptbahnhof. 1995 wurde das sogenannte „Knusperhäuschen“ abgerissen.
Als Schandfleck in der Landlandschaft und in beklagenswertem Zustand: So sollen in den 1950er Jahren örtliche Kritiker den alten Hauptbahnhof bezeichnet haben. So ist es jedenfalls in einem Heft nachzulesen, das die Historische Gesellschaft aus Anlass des 125. Bestehens der Eisenbahn in Bottrop herausgab. Dabei war der 1905 nach den Bahnhöfen Süd und Nord als dritter der alten Bottroper Stationen errichtete Bau (Boy folgte erst 1925) ein schmucker Landbahnhof - ganz im Stil der Zeit mit Walmdach und im Schiefer-Fachwerk-Mix.
Fachwerkidylle für die Industriestadt
„Unser Knusperhäuschen nannten wir den Bahnhof, der leider von Anfang zu weit weg von der Innenstadt lag“, sagt Elsbeth Müller von der Historischen Gesellschaft, die 1998 maßgeblich an der kleinen Jubiläumsschrift mitgearbeitet hat. „Selbst wenn wir nach Essen-Borbeck fuhren, wo meine Eltern herstammten, stiegen wir meistens auf die Straßenbahn Linie 3, obwohl Borbeck auch mit der Eisenbahn erreichbar war“, erinnert sich Elsbeth Müller. Sie gehörte auch zu den Enthusiasten, die in den 1980er Jahren noch einmal Hand anlegten, um das „Knusperhäuschen“ optisch etwas zu verjüngen. Aber da war der Zug eigentlich schon abgefahren, die alte Erfrischungshalle - die der Fotograf E. G. Schweizer 1954 noch so stimmungsvoll festhielt - längst Vergangenheit.
1995 ging es dem „Knusperhäuschen“ der Deutschen Bahn an das zuletzt marode Fachwerk. Mit den Baggern verschwand auch die Idylle am Rande der Großstadt. Und Bottrops Hauptbahnhof rutschte etwa 500 Meter weiter nach Westen. Einkaufszentrum mit Gleisanschluss nennen manche das Retortenbaby „Südring-Center“, das ein wenig wie ein Busbahnhof daherkommt. Aber es funktioniert.
Immerhin: Die Bahnstrecke nach Essen, die im Juli vor 90 Jahren ihren Betrieb aufnahm, besteht ebenfalls bis heute. Aber selbst in den Hochzeiten der Eisenbahn - grob gesagt zwischen 1840 und 1950 der Motor der Mobilität - scheint Bottrop, zumindest was den Personenverkehr betrifft, eher geschwächelt zu haben. „Der D-Zug vom Rheinland nach Berlin, der 1927 in Bottrop-West (seit Juni 1933 offiziell in Hauptbahnhof unbenannt) erstmals Halt machte, wurde bereits wenig später wieder eingestellt“, weiß Stadtarchivarin Heike Biskup. Sie hütet nicht nur zahlreiche historische Ansichten aus der Bottroper Eisenbahngeschichte, sondern konzipierte vor einigen Jahren auch die Ausstellung „Zug um Zug“ im Kulturzentrum - eine Schau zur Bottroper Eisenbahngeschichte.
Trotz seiner Randlage entwickelte sich der Hauptbahnhof zur bedeutendsten Station für den Personenverkehr . Die Bahnhöfe Nord und Süd, die älteste Bottroper Station überhaupt, wurden mittlerweile aufgegeben. Der Nordbahnhof in Eigen bietet heute als gehobenes Restaurant gewissermaßen das Kontrastprogramm zu den eher bescheideneren kulinarischen Genüssen, die Bahnhofsbesucher normalerweise vorfinden. Schade nur, dass die Gäste - von historischen Touren einmal abgesehen - nicht ständig auf der Schiene vorfahren können.
An die vergleichsweise große Zeit der Bottroper Eisenbahn erinnern die zahlreichen Fotos im Stadtarchiv oder der Historischen Gesellschaft. Es war einmal ein erster D-Zug nach Berlin . . . vor 85 Jahren.