Bottrop. Schon vor 70 Jahren will der Einzelhandel die City beleben - und erklärt Bottrop zur Märchenstadt. Die Figuren kommen jedoch gar nicht gut an.
„Bottrop die Märchenstadt“ - so lautet in diesen Tagen vor genau 70 Jahren das Motto, unter dem Bottroper Kaufleute die Innenstadt beleben wollen. Dieser Auftakt zur Weihnachtswerbung für 1951 sollte zugleich Anstoß zur Gründung einer Werbegemeinschaft geben, deren Notwendigkeit nicht mehr zu übersehen ist“, wie die WAZ damals schrieb. Lokalhistoriker Josef Bucksteeg und Stadtarchivarin Heike Biskup erinnern an diesen historischen Flop.
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Mit einer Presseeinladung sollen in den Novembertagen auch die Bottroper Medien für diese Aktion gewonnen werden. Und die Märchengruppen, die daraufhin alle zentralen Plätze der Stadt bevölkern, sind offenbar nicht zu übersehen und - hier beginnt die Posse - lösen zugleich auch Protest aus. Auch darüber berichten WAZ und die damalige Bottroper Volkszeitung BVZ (später Ruhrnachrichten) fast schon genüsslich - nur leider ohne Fotos. Pferdemarkt, Trappenkamp (heute Berliner Platz), Kreuzkamp, Hochstraße, Prosper-/Ecke Essener Straße und selbst auf den Marktplätzen in der Boy und auf dem Eigen haben sie gestanden, die überlebensgroßen Figuren aus Schneewittchen, Dornröschen, Rotkäppchen, dem gestiefelten Kater oder Hänsel und Gretel.
Groß, klobig, teils aus Holz, teils aus Stroh: So werden die Figuren beschrieben, die auf Podesten thronen. Aber auch die Schaufenster in vielen Geschäften sind damals mit Märchenszenen ausstaffiert. Wer, sagen wir einmal, in den 60er oder frühen 70er Jahren zur Welt kam, erinnert sich vielleicht noch an die dann aber schon aufwändig und detailreich gestalteten Schaufenster großer Kaufhäuser, wie beispielsweise Karstadt. Das war 1951 in Bottrop offensichtlich noch anders. Es hagelt Kritik bis hin zu offenem Protest gegen die Figuren. Das hat man nicht erwartet. Denn immerhin hat die damalige Stadtverwaltung nicht nur Zustimmung geäußert, sondern auch finanzielle Unterstützung für die Aktion gewährt. Sogar Wurfzettel werden verteilt, bis hinein in angrenzende Bezirke der Nachbarstädte.
Aber man macht die Rechnung offensichtlich ohne die Bottroperinnen und Bottroper. Es hagelt Spott und Protest, es gibt Leserbriefe. Nicht gegen die Darstellungen in den Schaufenstern des Einzelhandels, die „oft ausgezeichnet geraten“ sind, wie die BVZ sich beeilt zu erklären. Aber gegen die Großfiguren auf den Plätzen der Stadt. Ein Leser vermisst den Weihnachtsbaum am Kreuzkamp und schreibt: „Nun hat man uns mit Neuem beglückt, mit Märchen. Aber diese Figuren scheinen - so sagt mein Fritzchen, vom Opa mit dem Beil ,geschnitzt’. Wir haben uns daheim noch darüber unterhalten, keinem wollen diese Märchen gefallen, keiner wusste sie irgendwie mit Weihnachten in Verbindung zu bringen.“
Polizei löst 1951 die Bottroper Mädchendemo auf - Die nehmen das mit Humor
Ein Mädchen schreibt an die BVZ: „Am Pferdemarkt bestehen diese Holzfiguren in ihrer grobschlächtigen Art dazu noch zu 50 Prozent aus Stroh. Ist man der Auffassung, daß die Bevölkerung Bottrops und die Jugend an Geschmacksverirrung leide? (...) Die Jugend protestiert.“ Und das tut sie auch. Vor allem offensichtlich die Mädchen. Mindestens zwei Mädchen-Demonstrationen mit großen Schildern gibt es in der Stadt gegen diese Märchendarstellungen. Die Staatsmacht schreitet ein. Eine Gruppe dieser Mädchen, so die Zeitung weiter, wird mit zur Polizeiwache genommen, da „ja bekanntlich jede ,Demonstration’ angemeldet werden muß. Die Mädchen nahmen es mit Humor auf.“ Sie betonen aber auch, dass sich ihr Protest nicht gegen den Einzelhandel, sondern lediglich gegen diese Märchendarstellungen richte.
Wahrscheinlich waren diese Kundgebungen vor 70 Jahren die friedlichsten und harmlosesten, die Bottrop vorher und nachher je erlebt hat. Schade nur, dass weder im Stadtarchiv noch in den Zeitungsarchiven diese Märchenunruhen und deren Auslöser im Bild festgehalten sind.