Bochum. Sie war ein süßes Baby, kam mit fünf Wochen in ihre Pflegefamilie. Luisa ist noch immer ein „Sonnenscheinkind“. Trotz des schweren Schicksals.

Fast sieben Jahre hat es gedauert, bis Cornelia Fornefeld eine Diagnose für ihre Pflegetochter bekommen hat. Fast sieben Jahre wusste sie nicht, was ihre Tochter hat, wieso sie sich anders entwickelt als andere Kinder. Als Luisa (Name zum Schutz des Kindes geändert) in die Schule kam, haben Fornefeld und ihr Mann Gewissheit: Ihre Tochter, die als Pflegekind zu ihnen kam, hat die fetale Alkoholspektrumstörung (FASD).

Luisa kam im Alter von fünf Wochen zu dem Bochumer Ehepaar. „Sie wurde uns als gesundes, süßes Baby vermittelt“, erinnert sich Fornefeld. Schnell sei aber klar gewesen, dass etwas nicht stimmt. „Wir haben relativ schnell gemerkt, dass da etwas im Argen liegt“, sagt die Mutter. So fing Luisa beispielsweise nicht mit einem oder eineinhalb Jahren an zu laufen, wie es andere Kinder tun. „Die Kinderärztin hat immer nur gesagt, dass sich das herauswächst und man Geduld haben muss.“ Doch das hatte andere Gründe.

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Bochumer Pflegeeltern unterstützen ihre Tochter

Vor allem die Anfangszeit, als sie noch nicht wussten, was und ob Luisa eine Krankheit hat, sei für die Familie belastend gewesen. Ihre Tochter sei oft unruhig gewesen, habe alle fünf Minuten ein neues Spielzeug gebraucht. Ein- und Durchschlafen sei ebenfalls ein Problem gewesen. „Es war zum Beispiel ganz früh klar, dass sie wahrscheinlich ADHS hat“, sagt Fornefeld.

Selbsthilfegruppen  in Bochum
Dürfen bei Familie Fornefeld nicht fehlen: Bügelperlen. Tochter Luisa sortiert diese manchmal stundenlang nach Farben. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Das sei auch einer der Gründe gewesen, wieso es schwierig war, eine Diagnose zu bekommen. „Die Symptome ähneln denen von ADHS und Autismus. Deswegen werden sie häufig verwechselt“, sagt Cornelia Fornefeld. Die Symptome seien nur stärker. Der Großteil von FASD-Erkrankten kann kein eigenständiges Leben führen. Auch in einem Autismus-Zentrum sei die Familie für eine Diagnose.

Mutter schloss FASD zunächst aus – bis Tochter in die Schule kam

FASD schloss die Mutter zunächst aus. „Sie war damals kognitiv total normal und ganz fit“, sagt Cornelia Fornefeld. Eine Intelligenzminderung, die ihr bei der Suche im Internet als eines der ersten Symptome von FASD angezeigt wurde, habe ihre Tochter nicht. „Deswegen dachten wir auch immer, dass es das nicht sein kann.“

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Erst als Luisa in die Schule kam, habe sie die Diagnose bekommen. „Davor waren wir bei 18 verschiedenen Stationen. Nicht einmal stand im Raum, dass unsere Tochter FASD hat“, sagt Fornefeld. Eine Frau vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse kam zu ihnen nach Hause. „Sie hat sich hingesetzt und gesagt: Ihr Kind hat FASD, das sehe ich auf den ersten Blick.“ Sie habe Fornefeld und ihren Mann direkt konfrontiert. „Sie sagte uns, dass unsere Tochter niemals ein eigenständiges Leben führen wird und wir die Pflegestufe eins beantragen.“

„FASD ist keine Modeerscheinung, es ist komplex und es braucht Wissen. Macht euch schlau, bildet euch weiter, besucht Veranstaltungen, damit unsere Kinder die Unterstützung bekommen, die sie wirklich brauchen und ihr den Rollstuhl im Kopf seht, denn Ablehnung und Ausgrenzung erleben sie schon genug.“

Cornelia Fornefeld, Pflegemutter

Die Mitarbeiterin der Krankenkasse habe das an den optischen Merkmalen erkannt. Diese sind beispielsweise: ein weiter Augenabstand, eine flache Mittelrinne zwischen Nase und Mund sowie eine dünne Oberlippe. „Da habe ich das nochmal mit anderen Augen gesehen. Meine Tochter hat alle typischen Gesichtsmerkmale“, sagt Fornefeld: „Eigentlich hätte man das also schon mit ihrer Geburt vermuten können.“ Diese Auffälligkeiten haben nur circa zehn Prozent der Kinder mit FASD, erklärt sie. „Häufig bekommen diese viel Raum, denn das ist greif- und messbar, alles andere ist so schwierig und komplex.“ Im Jugendalter verwachsen sie sich.

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Dann wäre auch die Unterstützung für die junge Familie von Beginn an eine andere gewesen. „Man muss ganz neu denken, wenn man so ein Kind hat. Es wäre uns viel Frust erspart geblieben, wenn es mehr Aufklärung gegeben hätte“, sagt die Mutter.

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„Flausen im Kopf“: Damit hat sich die Sozialpädagogin Cornelia Fornefeld selbstständig gemacht. Sie klärt andere betroffene Eltern über die fetale Alkoholspektrumstörung auf. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Auch das sei ein Grund gewesen, weswegen sich die gelernte Sozialpädagogin, die früher in der Jugendhilfe gearbeitet hat, sich mit „Flausen im Kopf“ selbstständig gemacht hat. Sie klärt unter anderem über die fetale Alkoholspektrumstörung auf. In Seminaren klärt sie Eltern, Fachkräften und Interessierten über die Besonderheiten sowie Bedürfnisse von Betroffenen auf. Etwas, das ihr früher gefehlt hat. Was sie den Fachkräften im Nachhinein sagen wollen würde? „FASD ist keine Modeerscheinung, es ist komplex und es braucht Wissen. Macht euch schlau, bildet euch weiter, besucht Veranstaltungen, damit unsere Kinder die Unterstützung bekommen, die sie wirklich brauchen und ihr den Rollstuhl im Kopf seht, denn Ablehnung und Ausgrenzung erleben sie schon genug.“

Bochumer Familie hält weiter zusammen

Die Familie Fornefeld hält weiter zusammen. Ihre Tochter nennt sie ein „Sonnenscheinkind“, sie könne gut positive Energien verstärken. „Ihr fehlt aber der Filter, um die Dinge einordnen zu können.“ Das zu wissen sei wichtig, um das Verhalten ihrer Tochter zu verstehen, wenn sie beispielsweise mal aggressiv ist.

„Uns hilft es eine klare Struktur im Tag zu haben“, so die Mutter. Sie und ihr Mann achten beispielsweise darauf, die Talente zu fördern, sodass Luisa diese weiterentwickeln und später eventuell auch einer Berufstätigkeit oder etwas, „dass sie mit Freude tut“ nachgehen kann. „Denn das möchte jede Mutter für ihr Kind“, sagt Cornelia Fornefeld, „ein möglichst selbstbestimmtes Leben.“

Selbsthilfe-Gruppe für betroffene Eltern

Vor rund acht Jahren ist durch Cornelia Fornefelds Impuls eine Selbsthilfe-Gruppe für Eltern von FASD-Kindern entstanden. Dem Mitarbeiter des Pflegekinder-Dienstes des Jugendamts habe sie gebeten, ihre Kontaktdaten an andere betroffene Eltern weiterzugeben. Ein paar haben sich zurückgemeldet. „Wir waren zu Beginn nur vier Personen und haben uns alle vier Wochen ungefähr in einem Café getroffen“, sagt Fornefeld. Es sei ein Elternnetzwerk gewesen. Sie unterstützen einander, stehen sich bei Fragen zur Seite und geben sich Kraft. Dieser Austausch sei besonders wichtig, um sich in schwierigen Phasen weiterzuhelfen und sich gegenseitig Tipps zu geben.

Seit circa zwei Jahren bekomme die Selbsthilfe-Gruppe eine Pauschalförderung von der Krankenkasse. Die Gruppe ist stetig gewachsen. Einen festen Tag, an dem sie sich treffen, gebe es aber nicht. Das sprechen die Teilnehmer immer von Termin zu Termin ab. „Wir treffen uns dann beispielsweise im Haus der Begegnung oder auch privat“, sagt die Mutter. Betroffene Eltern können direkt mit Cornelia Fornefeld Kontakt aufnehmen per E-Mail an info@flausen.online oder telefonisch unter 0177-6458297. Am Samstag, 28. Juni, von elf bis 18 Uhr findet zudem ein FASD-Fachtag in Münster statt.

Weitere Informationen über Selbsthilfe-Gruppen in Bochum erfahren Interessierte unter bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle online unter selbsthilfe-bochum.de, per E-Mail an selbsthilfe-bochum@paritaet-nrw.org oder telefonisch unter 0234 23 99 1111.

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