Bochum. Regisseur Matthias Hartmann führte das Schauspielhaus Bochum durch erfolgreiche Jahre – und fiel dann tief. Darüber schreibt er in seinem Buch.
Von „Warten auf Godot“ mit Harald Schmidt bis „Der Hauptmann von Köpenick“ mit Otto Sander: Mit dem Regisseur Matthias Hartmann (61) verbinden die Bochumer Theatergänger erfolgreiche Jahre. Von 2000 bis 2005 leitete er als Intendant das Schauspielhaus, das zu Hartmanns Glanzzeit einen wahren Zuschauerboom erlebte. Im Anschluss ging er zunächst nach Zürich und dann weiter ans Wiener Burgtheater, das 2014 von einem Finanzskandal erschüttert wurde, der Hartmanns Rauswurf zur Folge hatte.
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Ex-Intendant Matthias Hartmann bleibt in Bochum unvergessen
Über all dies schreibt er jetzt in einem Buch, das er am Donnerstag, 6. Februar, um 19 Uhr im Musikforum vorstellt. In unserem Gespräch erinnert er sich an goldene Zeiten in Bochum – und schwierige Jahre danach.
Es sind schon so viele Bücher übers Theater geschrieben worden. Warum haben Sie jetzt auch eins gemacht?
Matthias Hartmann: Der Verlag hat ein Sachbuch bestellt, mit der Frage, warum heute das Publikum nicht über den Erfolg eines Theaters entscheidet. Darüber entscheiden andere: etwa Kulturpolitiker, Kritiker und Theater-Insider. Die bedeutendsten Bühnen sind aber alle leer. Einladungen etwa zum renommierten Berliner Theatertreffen bringen für Theaterleute einen höheren Marktwert. Der ist wichtiger, als der Applaus am Abend beim Publikum. Das sogenannte bürgerliche Publikum kommt dabei unter die Räder.
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Jemand hat einen langen Tag im Job, abends will er ein interessantes Stück sehen und wird dann stundenlang gelangweilt und gequält. Über diese Ignoranz vieler Theatermacher gegenüber ihrem Publikum sollte ich schreiben. Es sollte keine Hartmann-Biografie werden. Als Theatermann habe ich zwar eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, aber so eitel bin ich nicht. Warum es dann doch zum Teil eine wurde, erfahrt ihr bei der Lesung am 6. Februar.
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Die Bochumer Leser merken besonders dann auf, wenn Sie von Ihrer Intendanz am Schauspielhaus berichten: von der ersten Fahrt über die Königsallee und das entscheidende Telefonat mit dem damaligen Kulturdezernenten, der Ihnen daraufhin den Job anbot. War das für Sie eine glückliche Zeit?
Zunächst war es für mich eine Zeit der nackten Angst, weil ich mir nicht sicher war, ob wir das Bochumer Publikum wieder zurückerobern würden. Ich war immer unterwegs, von Schulklassen zum Rotary Club. Ich wollte Neugierde erzeugen und Vertrauen schaffen. Mir war klar: Die Bochumer wollen sich direkt angesprochen fühlen. Das ist ihr Haus, auf das sie stolz sein wollen! Darauf musste ich aufbauen.
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Zu langweilig: Klassiker direkt vom Spielplan genommen
Deshalb habe ich direkt im ersten Jahr den Dürrenmatt-Klassiker „Die Physiker“ trotz Starbesetzung vom Spielplan wieder heruntergenommen, weil die Inszenierung vollkommen langweilig war. Das Vertrauen und die Begeisterung der Bochumer haben wir uns langsam erarbeitet. Am Ende war sogar ein Stück mit dem kryptischen Titel „Todesvariationen“ bis zum letzten Tag ausverkauft.
Zu Ihren Spitzenzeiten sollen das Schauspielhaus pro Jahr rund 272.000 Zuschauer besucht haben. Was raten Sie einem Intendanten, der heute weit über 100.000 Besucher weniger hat?
Ich behaupte, dass man das Schauspielhaus in Bochum wieder knallvoll bekommt. Man muss ein Theater machen, von dem die Menschen unmittelbar berührt und ergriffen werden. Das müssen nicht nur Komödien und Musicals sein, auch komplexe Stoffe finden Ihr Publikum, wenn man es richtig anstellt.
„Die Bochumer wollen sich direkt angesprochen fühlen. Das ist ihr Haus, auf das sie stolz sein wollen! Darauf musste ich aufbauen.“
Andererseits sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung heute völlig andere als vor 20 Jahren. Damals gab es noch kein Smartphone und kein Streaming im Wohnzimmer.
Nein, Gegenbeweis: Schaubühne Berlin, Schauspielhaus Hamburg, das Resi in München, die sind alle knallvoll. Das Bochumer Schauspielhaus befindet sich in einem der größten Ballungsräume Europas. Das Publikum kommt aus den umliegenden Städten. Die Menschen haben eine tief eingebaute Sehnsucht nach Theatralischem, das ist Teil unserer Seele. Das geht immer, wenn die Menschen Vertrauen haben.
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Ein berührendes Kapitel widmen Sie dem Schauspieler Michael Maertens, damals ein Star im Bochumer Ensemble. Was bedeutet er Ihnen?
Mit Michi, aber auch mit Schauspielern wie Dörte Lyssewski, Fritz Schediwy und Ernst Stötzner usw. hatten wir damals ein Ensemble auf Großstadtniveau. Michi hatte damals die Chance, fest an die Burg zu wechseln, aber blieb Bochum bis zum Schluss treu. Bei der letzten Vorstellung am 26. Juni 2005 hat er noch einmal „Die Eröffnung“ gespielt, Tausende Zuschauer waren zum Abschied vor dem Theater beim Public Screening, im Saal fiel der Eisernen Vorhang. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.
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Turbulente Jahre als Direktor am Burgtheater
Auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere gingen sie 2009 als Direktor ans Wiener Burgtheater, der später von einem handfesten Finanzskandal erschüttert wurde, der 2014 Ihren Rauswurf zur Folge hatte. Wie denken Sie heute darüber?
2018 wurde ich juristisch vollständig rehabilitiert. Ich habe den Skandal nachweislich aufgedeckt. Die Finanzmanipulationen hatten vor meiner Zeit begonnen. In meinem Buch nenne ich schonungslos Ross und Reiter. Heute schaue ich von außen auf diese Zeit und sehe, in was für eine korrupte Welt ich damals geraten bin.
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Im Jahr 2018 wurde Ihnen von Teilen der Burgtheater-Belegschaft Machtmissbrauch vorgeworfen. Ist Ihnen die Aufgabe, das berühmteste Theater im deutschsprachigen Raum zu leiten, etwas zu Kopf gestiegen?
Bestimmt. An sowas ist auch immer etwas dran. Fast alle Theater-Intendanten hatten in der Zwischenzeit mit solchen Vorwürfen zu kämpfen. Ein gesundes Maß muss wieder gefunden werden. Als Burgtheater-Direktor lebt man in einer Sphäre, die einem auch zu Kopf steigen kann. Und unsere Vorbilder waren andere. Man muss einander Chancen geben, man muss offen bleiben und lernen.
Lesung im Musikforum
Matthias Hartmann lebt mit seiner Familie in Österreich, wo er als Creative Director für die Produktionsgesellschaft Red Bull Media House unter anderem TV-Serien entwickelt. Verheiratet ist er mit der Regisseurin Alexandra Liedtke, die er in Bochum kennenlernte. Sie haben drei Kinder (17 bis 22 Jahre).
Zuletzt inszenierte Hartmann vor allem Opern: etwa „Pique Dame“ an der Mailänder Scala. Derzeit plant er eine Adaption des „Parzival“ im lettischen Riga und kehrt mit „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard nach Wien zurück: ins Theater in der Josefstadt.
Aus seinem Buch „Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt“ (192 Seiten, 26 Euro) liest Hartmann am Donnerstag, 6. Februar, um 19 Uhr im Musikforum, Marienplatz 1 (kleiner Saal). Die Live-Musik kommt von Karsten Riedel. Karten (12, erm. sechs Euro): 0234 910 8666 und bochumer-symphoniker.de