Bochum. Das Leben der Ordensschwester Anand aus Wattenscheid bietet Stoff für einen aufregenden Abenteuerroman. Jetzt ist sie mit 103 Jahren gestorben.

Von Wattenscheid nach Indien, weiter nach Südamerika und wieder zurück: Das Leben der Schwester Anand bietet Stoff für einen prall gefüllten Abenteuerroman. Jetzt ist die älteste Ordensschwester im Bistum Essen im Alter von 103 Jahren gestorben. In der Pfarrei St. Gertrud von Brabant, wo Schwester Anand auf dem benachbarten Friedhof ihre letzte Ruhe fand, ist die Trauer groß: „Sie hatte eine solche Güte und Herzlichkeit. Wir werden sie nie vergessen“, sagt der ehemalige Propst Werner Plantzen.

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Früheres Leben als Kinderärztin in Bochum

Ältere Wattenscheider kennen Dr. Margaretha Hegemann, wie Schwester Anand mit bürgerlichem Namen hieß, noch in ihrem früheren Beruf: als Kinderärztin. Nach ihrem Staatsexamen 1945 öffnete die junge Medizinerin Anfang der 50er Jahre auf der Gertrudisstraße im Schatten der Propsteikirche ihre eigene Praxis. Nach drei Jahren erhielt sie den Brief einer Studienkollegin mit einer offenkundig schicksalhaften Frage: „Kannst du nicht doch nach Indien kommen und hier helfen?“, stand darin. Im November 1954 überließ sie ihre Praxis einer Schulfreundin und stieg auf ein Frachtschiff nach Indien.

Erinnerungen an eine starke Frau: (von links) Bernd Albers, ehemaliger Gemeinderatsvorsitzender, Werner Plantzen, ehemaliger Propst, und Weihbischof Ludger Schepers blättern in alten Fotoalben.
Erinnerungen an eine starke Frau: (von links) Bernd Albers, ehemaliger Gemeinderatsvorsitzender, Werner Plantzen, ehemaliger Propst, und Weihbischof Ludger Schepers blättern in alten Fotoalben. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Was genau sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen hat, sei heute schwer zu sagen, berichtet Weihbischof Ludger Schepers. „Für sie war es eine Lebensentscheidung“, sagt er. „Sie wusste, dass die Not in vielen Ländern der Erde viel, viel größer ist als bei uns, und da wollte sie helfen.“ Hegemann schloss sich einer Schweizerischen Ordensgemeinschaft an und war zunächst in einem Missionskrankenhaus in Kalunga im Nordosten des Landes tätig. Kurz darauf machte sie in Kalkutta eine Begegnung, die ihr Leben verändern sollte.

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Begegnung mit Mutter Teresa

Sie traf Mutter Teresa und schloss sich dem von ihr gegründeten Orden der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ an. „Mutter Teresa war damals noch weit weniger bekannt als heute“, sagt Schepers. „Den Friedensnobelpreis erhielt sie erst 1979.“ Von ihr bekam Hegemann den Namen Anand, was auf Hindi „Freude“ bedeutet.

„Sie wusste, dass die Not in vielen Ländern der Erde viel, viel größer ist als bei uns, und da wollte sie helfen.“

Weihbischof Ludger Schepers über Schwester Anand

22 Jahre blieb Schwester Anand in Indien, bevor sie Mitte der 70er Jahre nach Südamerika geschickt wurde, wo sie sich unter anderem in den Slums von Peru um die Ärmsten der Armen kümmerte. In Argentinien erlebte sie kurz darauf die Diktatur einer Militärjunta hautnah mit, die die Schwestern mit Waffengewalt vertrieb. „Sie war nicht ängstlich, wenn sie mal wieder eines Landes vertrieben wurde, weil den Machthabern die Art der Nächstenliebe zu suspekt war“, hat Gemeindemitglied Angela Feller in langen Gesprächen mit Schwester Anand erfahren. „Immer weitermachen: Das war ihre Devise.“

Schwester Anand fand ihre letzte Ruhe im Grab ihrer Eltern auf dem Propsteifriedhof in Bochum-Wattenscheid.
Schwester Anand fand ihre letzte Ruhe im Grab ihrer Eltern auf dem Propsteifriedhof in Bochum-Wattenscheid. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Mitte der 80er Jahre kehrte Schwester Anand zunächst nach Afrika zurück und kam dann wegen einer schweren Krankheit nach Deutschland. Hier koordinierte sie später die Arbeit von etwa 5000 Ordensschwestern rund um den Globus: „Das hat sie alles allein mit der Schreibmaschine gemacht“, sagt der ehemalige Gemeinderatsvorsitzende Bernd Albers. „Heute unvorstellbar.“

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Ihren Lebensabend verbrachte Schwester Anand in Essen

Dreimal war Mutter Teresa im Bistum Essen zu Besuch und kehrte dann auch regelmäßig bei Hegemanns Eltern in Wattenscheid ein. Ihren Lebensabend verbrachte Schwester Anand in einer Niederlassung des Ordens in Essen, wo sie regelmäßig Besuch aus Wattenscheid bekam. „Im hohen Alter konnte sie schlecht hören und war auf Pflege angewiesen“, erzählt Schepers. „Bis zum Schluss war sie aber hellwach und von eiserner Disziplin.“ Angela Feller schreibt in ihrem rührenden Abschiedsbrief: „Ich verneige mich vor so einer starken, liebenden Frau.“

Beisetzung auf dem Propsteifriedhof

Schwester Anand wurde auf dem Propsteifriedhof im Grab ihrer Eltern beigesetzt. So war es ihr ausdrücklicher Wunsch.

Zahlreiche Briefe, Fotos und Zeitungsausschnitte von und über Schwester Anand hat Bernd Albers in einem dicken Ordner gesammelt. „Eigentlich müsste daraus ein Buch werden“, meint er.

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