Bochum. Seit mehr als 100 Jahren wird an der Castroper Straße in Bochum Stahl produziert und verarbeitet. Bald ist Schluss. Und dann? Eine Zeitreise.
Synagoge, Sternwarte, Ruhrstadion, der Knast Krümmede und schließlich die Stahlwerke. Entlang der Castoper Straße in Bochum gibt es einige Gebäude mit Landmarken-Charakter und großer historischer Bedeutung. Eines davon steht gerade wieder einmal in den Schlagzeilen: die Stahlwerke; besser gesagt das aus ihnen hervorgegangene Elektrostahlwerk von Thyssenkrupp Steel (TKS).
Stahlstandort in Bochum wird nach mehr als 100 Jahren geschlossen
2030 wird der Konzern den Standort schließen. So ist es mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft vertraglich vereinbart. Aber weil plötzlich schon früher Schluss sein soll, die Rede ist von 2027, schlägt eine Welle der Empörung unter den Beschäftigten hoch. Überhaupt hat es in der mehr als 100-jährigen Geschichte des Werks an diesem Standort mindestens genauso viele Höhen und Tiefen gegeben wie der VfL Bochum Berg- und Talfahrten durchlebt hat.
Die insgesamt fast 200-jährige Firmengeschichte ist aus Sicht des Bochumer Hobbyhistorikers Rolf Swoboda „wie ein Ritt durch die Geschichte des Ruhrgebiets“. Er hat sich intensiv mit der Historie der Bochumer Stahlwerke und ihrer Eisenbahn beschäftigt, sein Buch darüber ist gerade erschienen. Zu Hochzeiten Anfang der 1960er Jahre standen 6500 Beschäftigte in Lohn und Brot. „Das Werk war damit nach dem Bochumer Gußstahlwerk der zweitgrößte Arbeitgeber in Bochum“, so Swoboda. Heute arbeiten noch etwa 600 Frauen und Männer im Werk und stellen Elektroband her. Ein Job auf Zeit.
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Vor 60 Jahren hatte es noch ganz anders ausgesehen. Damals schien selbst das große Weideareal auf der Vöde vor den Toren der Stadt, auf dem bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch Ziegen, Schafe und Schweineherden gehalten wurden und auf dem eigentlich eine Gartenstadt errichtet werden sollte, zu klein für die Entwicklung der Stahlwerke Bochum zu sein. Ganz in der Nähe kaufte das Unternehmen von der Stadt und umliegenden Bauern ein 180.000 Quadratmeter großes Gelände auf dem Kornharpener Feld. Dort sollte ein eigenes Edelstahlwerk entstehen.
Daraus wurde dann doch nichts, weil schon Mitte der 60er Jahre die Nachfrage nach Elektroblech rapide sank. Nicht nur das. Ende 1967, die Belegschaft war zu diesem Zeitpunkt schon auf 3300 geschrumpft, war es vorbei mit der Selbstständigkeit des Unternehmens. Es stand fortan unter dem Einfluss von Thyssen und der Otto-Wolff-Gruppe. Die Expansionspläne am Standort Bochum waren längst passé, das gekaufte Feld an der Ecke Harpener Hellweg/Scheffieldring (damals NS7) blieb grün. Bis heute. Stattdessen lässt der neue Eigentümer, die Essener Thelen-Gruppe, dort nun das künftige Polizeipräsidium Bochum bauen.
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Dazwischen liegen weitere Höhen und Tiefen. Anfang der 1970er Jahre mauserte sich das Werk an der Castroper Straße zum größten Elektroblechhersteller Europas, der Jahresumsatz allein in dieser Sparte wuchs auf etwa 250 Millionen DM.
Zehn Jahre später war es sogar an einer der spektakulärsten Industrieentwicklungen der jüngeren Vergangenheit in Deutschland beteiligt: dem Bau der Magnetschwebebahn. Für die Transrapid-Versuchsstrecke im Emsland wurden 4000 Tonnen, an der Castroper Straße hergestelltes Spezial-Elektroblech verwendet. Als vor einigen Wochen der Transrapid 07 aus Süddeutschland ins Eisenbahnmuseum nach Dahlhausen transportiert wurde, hat sich also in gewisser Weise ein Kreis geschlossen.
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Spannende Geschichten wurden also an der Castroper Straße geschrieben; glückliche und grausige. So befand sich seit August 1944 eine Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald auf dem Gelände. Die KZ-Häftlinge mussten an der Fertigung von Panzergehäusen arbeiten.
Im Mai 2001 hätte beinahe ein Brand das Werk zerstört. Bei Schweißarbeiten hatte ein Fett- und Ölbecken Feuer gefangen, binnen weniger Minuten stand ein großer Teil des Kaltwalzwerks in Flammen. Mehr als 120 Feuerwehrleute waren damals im Einsatz, um den Brand zu löschen und um noch Schlimmeres zu verhindern. Trotz des Schadens in zweistelliger Millionenhöhe wurde der Standort nicht geschlossen, weil das zentrale Element, das Walzstraßengerüst, sich nicht verformt hatte.
Das Ende des Stahlstandorts ist absehbar
Und heute? Noch ist das Werk zwar nicht Geschichte. Aber sein Ende ist absehbar. Und längst wird über die Nachfolgenutzung des 340.000 Quadratmeter großen Geländes im Viereck von Castroper Straße, Karl-Lange-Straße, Harpener Straße und Sheffieldring nachgedacht. Bochums Stadtrat hat im April eine Resolution verabschiedet, in der gefordert wird, die Fläche „für die kommunale und regionale Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung“ zu sichern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Alter Firmenname lebt wieder auf
Hervorgegangenen sind die Stahlwerke Bochum aus einer Seilerei, die 1820 gegründet wurde und die ihren Sitz nahe der Propsteikirche im Zentrum von Bochum hatte.
Als „Stahlwerke Bochum“ firmierte das Unternehmen von 1947 bis 1989. Dann wurde es zu einer Holding mit mehreren Einzelunternehmen, die wiederum seit 1998 zum damals gegründeten Thyssenkrupp-Konzern gehört. Seit 2001 war der Standort Teil der Thyssenkrupp Electrical Steel GmbH und gehört seit 2020 zu Thyssenkrupp Steel (TKS).
Die Stahlwerke Bochum gibt es seit 2004 wieder an einem benachbarten Standort, der früher auch zu den ursprünglichen Stahlwerken gehörte. Die Eigentümer hatten die bereits 1988 ausgelagerte Thyssen-Gusssparte durch ein Management-by-out übernommen.
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