Bochum. Am Schauspielhaus Bochum erzählt „Grelle Tage“ vom Klimawandel – mutig und ambitioniert, aber nicht ganz überzeugend. So urteilt unser Autor.

Manche Geschichten sind im Theater schwer zu erzählen. Dazu gehört gewiss der Klimawandel. Waldbrände, Hochwasser, Dürre und eine Jugend, die streikt: Wie will man all dies sinnvoll auf die Bühne bringen, ohne in oberlehrerhafte Plattitüden zu verfallen? In „Grelle Tage“ wählt Selma Kay Matter einen besonderen Weg.

Schauspielhaus Bochum: Viel Beifall für „Grelle Tage“-Premiere

Das Stück, im vergangenen Jahr mit dem renommierten Nestroy-Preis geehrt, beschreibt die Verwundbarkeit der Erde aus der Sicht von fünf Figuren, die ohnehin schon jeden Halt im Leben verloren haben – und jetzt verzweifelt versuchen, das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen. Die Premiere in den Kammerspielen stößt auf großen Beifall, obwohl die versponnene Aufführung nicht leicht zu durchblicken ist.

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Die größte Hürde des Abends: Selma Kay Matter schreibt keine Handlung im herkömmlichen Sinne, sondern springt in kurzen, verschachtelten Szenen wie wild von einem Schauplatz zum nächsten. Das sorgt beim Zusehen nicht selten für Verwirrung, obwohl Regisseurin Caroline Kapp in ihrem Bochumer Debüt sogar mit Ortsbeschreibungen auf großen Monitoren arbeitet, um die Zuschauer möglichst verständlich durch den Abend zu führen.

Unterwegs in eine ungewisse Zukunft: Eine Szene aus „Grelle Tage“ mit João d‘Orey und William Cooper in den Kammerspielen Bochum.
Unterwegs in eine ungewisse Zukunft: Eine Szene aus „Grelle Tage“ mit João d‘Orey und William Cooper in den Kammerspielen Bochum. © Schauspielhaus Bochum | p_l_zzo photography

„Grelle Tage“ in Bochum: Das Matterhorn schmilzt bedrohlich dahin

Zwischen dem Schweizer Matterhorn, das bedrohlich dahin schmilzt, über einen ausgetrockneten See in Brandenburg bis zu einem abgelegenen Ort in Sibirien sind es oft nur ein Wimpernschlag. Dazwischen tummeln sich Gestalten, die dem Kollaps unserer gemäßigten Klimazonen entweder schutzlos ausgeliefert sind – oder prächtig Kapital daraus schlagen.

Da wäre etwa der Teenager Jo, der sich mit Lichtschutzfaktor 100 einreibt und nachts nicht mehr schlafen kann, weil der See vor seiner Haustür nur noch aus einem dürftigen Rinnsal besteht. João d’Orey (in seinem ersten Auftritt im Schauspielhaus) macht das gut: Hypernervös stolpert Jo dauernd über seine langen Beine und verfolgt das gespenstische Szenario mit großen, ungläubigen Augen.

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Wunderbar: William Cooper als zerfledderter Hund in „Grelle Tage“

Auf der anderen Seite stehen Mammutjäger und Archäologen (gespielt von Stacyian Jackson, Danai Chatzipetrou und Michael Lippold), die aus dem tauenden Permafrost in Sibirien Skelette von Mammuts befreien und sie wieder zusammensetzen – auf der Jagd nach ihrer DNA. Zum Zentrum der Aufführung wird ein sprechender Wolfshund, der nach 13.000 Jahren im ewigen Eis plötzlich wieder lebendig wird und Freundschaft mit Jo schließt, während er langsam zerbröselt. William Cooper stürzt sich in diese schöne Rolle mit ganzem Herz.

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Caroline Kapp ist sichtlich darum bemüht, möglichst klare, schlüssige Bilder für die verworrene Story zu finden, was ihr ansehnlich gelingt, und längst nicht alles ist so düster und trostlos, wie man es vielleicht erwarten könnte. Die Szenen im Baumarkt haben mitreißenden Witz, manchmal kippt die Szenerie in einen trancehaften Dämmerzustand ab, der bestens choreografiert ist. Dazu hat Teresa Häußler eine Bühne gebaut, deren stolze Bergwelt am Ende nur noch aus einem Gerippe besteht.

„Grelle Tage“ am Schauspielhaus Bochum: Am Ende viele Fragen offen

So ambitioniert und mutig die Aufführung auch daherkommt, so offen bleibt am Ende die Frage, für welche Zielgruppe dieser Abend eigentlich gemacht ist. Für Jugendliche dürfte die Inszenierung zu sperrig und undurchsichtig sein, obwohl das Schauspielhaus ganz offensiv um Schulklassen ab der zehnten Klasse wirbt. Halbwegs gebildete Erwachsene, die offenen Auges durchs Leben gehen, wird das Stück wenig überraschen – und wer den Klimawandel leugnet, dürfte sich von „Grelle Tage“ auch nicht bekehren lassen. Als Theater nah am Puls der Zeit funktioniert der klimabewusste Abend aber ausgezeichnet.

Die nächsten Spieltermine

„Grelle Tage“ in den Kammerspielen Bochum dauert etwa 80 Minuten ohne Pause. Wieder am 27. September und 18. Oktober (mit anschließendem Publikumsgespräch).

Das Schauspielhaus empfiehlt den Besuch der Aufführung für Schulklassen ab der zehnten Klasse und bietet im Vorfeld einen kostenlosen, theaterpädagogischen Workshop von 90 Minuten dazu an. Auch ein Nachgespräch ist möglich. Alle Infos: dramaturgie@schauspielhausbochum.de

Schauspielhaus Bochum: „Alice im Wunderland“ feierte Premiere im Oval Office

Ebenfalls an diesem Wochenende feierte „Alice im Wunderland“ in der Regie der jungen Theatermacherin Anaïs-Manon Mazić Premiere im Oval Office des Schauspielhauses. Gemeinsam mit einer Gruppe von Schauspielstudierenden zeigt sie einen der bekanntesten Stoffe der Weltliteratur, frei nach dem Kinderbuch von Lewis Carroll.

Regisseurin Anaïs-Manon Mazić, Schauspielhaus Bochum

„Bei mir fällt Alice nicht in einen Kaninchenbau, sondern in ihren eigenen Kopf.“

Regisseurin Anaïs-Manon Mazić

Die Geschichte der jungen Alice, die einem weißen Kaninchen in eine bizarre Fantasiewelt folgt, möchte Mazić allerdings nicht brav nacherzählen. Ihre Idee: Vor dem Regie-Studium, das sie mit ihrer „Alice“ abschließt, studierte sie Neurowissenschaften unter anderem in New York und Köln. Diese Erfahrungen sollen in ihre Theaterarbeit mit einfließen: „Bei mir fällt Alice nicht in einen Kaninchenbau, sondern in ihren eigenen Kopf“, verrät sie.

Schauspieler bewegen sich durch Netze

Die Zuschauer sind also eingeladen, Alice auf dieser besonderen Reise zu begleiten. Auch die Bühne ist entsprechend gestaltet: Die Schauspieler bewegen sich durch Netze, die aussehen wie Nervenstränge. „Dabei habe ich an der Vorlage einiges verändert“, sagt die 26-jährige Regisseurin. So erhält Alice‘ ältere Schwester wesentlich mehr Raum als üblich. Doch keine Sorge: „Wer das Original mag, wird vieles wiedererkennen“, meint Dramaturg Moritz Hannemann. „Dazu gehören auch bekannte Figuren wie die Raupe, der Hutmacher und die tyrannische Herzkönigin.“

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Aufführung für Zuschauer ab 14 Jahren

Verkörpert werden sie von sechs Schauspielstudenten aus dem vierten Jahrgang des Folkwang-Theaterzentrums, die zuletzt „Die Fledermaus“ in die Kammerspiele brachten. Dazu gibt es Live-Musik mit Synthesizer und Vibraphon. „Respekt habe ich vor der berühmten Vorlage auf jeden Fall, aber keine Angst“, sagt die Regisseurin, die ihre Aufführung für Zuschauer ab 14 Jahren empfiehlt. Einen unterhaltsamen, schwungvollen Abend verspricht sie. Die erste Vorstellung während des Theaterfestes am vergangenen Sonntag stieß bereits auf viel Beifall. Wieder am 27., 28. und 29. September sowie im Oktober. Dauer: etwa 90 Minuten.

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