Oberhausen. Charly Hübner spielt am 10. Juni seine letzte Show mit den Beckmann-Geschwistern. Das starke Quartalsprogramm eröffnen Roman-Debüts von Format.
„Unser Radar ist beständig unterwegs.“ Damit meint Hartmut Kowsky-Kawelke als Vorsitzender des Literaturhauses nicht nur die gut gepflegten Kontakte zu namhaften Verlagen. Auch in Sachen des wohl wichtigsten Oberhausener Literaten, Ralf Rothmann, bleiben die Literaturhäusler auf ihre verbindliche Art hartnäckig. Und sie vergessen dabei nicht, ihren Radar auch auf vielversprechende Debüts zu richten.
Das galt zum Auftakt des Frühjahrs-Quartals für Hendrik Bolz und seinen ostdeutschen Rückblick auf die „Nullerjahre“ – ein voller Erfolg im Gdanska als noch neuem Vereinsdomizil. Mirjam Wittig, noch etwas jünger als der hauptberuflich als „Testo“ rappende Bolz, liest am Freitag, 22. April, um 19 Uhr im Gdanska-Theater (Eingang im Hof, Zugang von der Gutenbergstraße 8) aus ihrem Debütroman „An der Grasnarbe“. Im Kulturbetrieb ist die 30-Jährige bereits erfahren: vom Festival-Management bis zur Arbeit an einer Literaturzeitschrift. Mirjam Wittig erzählt von einer jungen Städterin, die im ländlichen Südfrankreich hofft, zur Ruhe zu kommen. Doch das „neue Leben“ ist nicht nur beschwerlicher als erwartet – die Natur selbst scheint aufzubegehren.
An die frische Luft wagen sich auch die Literaturhäusler wieder mit der nächsten ihrer beliebten „Literadtouren“ am Freitag, 6. Mai, um 15 Uhr: Vom Altmarkt aus geht’s nordwärts zu einer ausgedehnten „Buchhandlungs-Tour“ – die jedoch zum großen Bedauern von Hartmut Kowsky-Kawelke nun etwas kürzer gerät als vorgesehen: Schließlich musste Lars Baumann am 1. April seine Schmachtendorfer „Zweitbuch“-Handlung schließen. Nun ist Waltraud Krauses kleines Buchgeschäft am Höhenweg in Königshardt das nördlichste Ziel der Radler, die natürlich unterwegs kundige Leseempfehlungen erwarten dürfen.
Ein toxisches Verhältnis: Liebe als Machtspiel
Die 55-jährige Jenny Erpenbeck aus Berlin hat sich längst mit einer meisterlichen Reihe von Romanen empfohlen – und liest am Freitag, 20. Mai, im Gdanska-Theater. „Kairos“, so der Titel ihres neuesten Werks, bezeichnet im Altgriechischen den „entscheidenden Augenblick“, den es sofort zu erfassen gilt. „Kairos“ beleuchtet eine Partnerschaft im Ostberliner Intellektuellen-Milieu der 1980er Jahre, unmittelbar vor der Wende. Jenny Erpenbeck erzählt aus der Perspektive der gerade volljährigen Studentin Katharina, die mit dem 34 Jahre älteren, verheirateten und vom Nazi zum Kommunisten gewendeten Hans ein geradezu toxisches Verhältnis hat: Liebe als Machtspiel.
Apropos Spiel: Die unvergleichlichen „Spielkinder“ in Gestalt der Herner Geschwister Lina, Nils, Maja und Till Beckmann rockten mit ihrem wilden Ritt durch Ralf Rothmanns „Sterkrade-Romane“ schon das tausend Plätze bietende Ruhrfestspielhaus. Die tolldreiste Collage über Kindheit und Jugend im Revier bringen sie am Freitag, 10. Juni, zum krönenden Abschluss des Literaturhaus-Quartals auf die Bühne des Gdanska-Saals – nachdem sie sich vom Charme dieser eigentlich viel zu kleinen Spielstätte überzeugt hatten.
Audiowalk zu Rothmanns Romanschauplätzen
Diese großen Kinder mit höchsten Schauspiel-Referenzen (Lina Beckmann am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Maja am Zürcher Schauspielhaus) toben dann über abgewetztes Polstermobiliar, drängeln, knuffen und fallen sich ins Dichterwort. Und der Literaturhaus-Vorsitzende bestätigt: Auch Charly Hübner, Ehemann von Lina Beckmann und der unter Tage schuftende Vater in der Rothmann-Verfilmung „Junges Licht“, wird letztmals bei dieser Aufführung von „Groß, größer, am kleinsten“ dabei sein.
Eine weitere Großtat nimmt sich der Literaturhaus-Verein mit einem weiteren „Spielkinder“-Projekt vor: Für „den größten Schriftsteller dieser Stadt“, wie Hartmut Kowsky-Kawelke sagt, will man einen Audiowalk zu den Romanschauplätzen auflegen: An markanten Orten – vom Sterkrader Hallenbad bis zur Halde Haniel – sollen QR-Codes für Ausflügler mit Smartphone Szenen aus Rothmanns Romanen wie „Milch und Kohle“ aufblättern, vorgetragen von den Beckmann-Geschwistern. Die Finanzierung des in jeder Hinsicht klangvollen Projekts sieht der Literaturhaus-Chef bereits gesichert: „Es geht jetzt noch um kleinere Beträge.“
Vom zweiten hinein ins dritte Quartal steigt dann noch ein gleich fünffaches Jubiläumsfestival vom 30. Juni bis 2. Juli im Gdanska: Zu feiern gibt es 22 Jahre Gdanska, 22 Jahre Jazzkarussell, 18 Jahre Gitarrissimo, fünf Jahre Literaturhaus und nicht zuletzt zwei Jahre Indie Radar Ruhr – noch so ein feinsinnig ausgerichteter Kulturwellen-Empfänger.
Große Lesestunden zum kleinen Preis
Die allumfassende Teuerung hat das Literaturhaus noch nicht ereilt: Im Gdanska gibt’s große Lesestunden zum kleinen Preis. Der Abend mit Mirjam Wittigs „An der Grasnarbe“ kostet 10 Euro, ermäßigt 5 Euro; gleiches gilt für die „Literadtour“ zu Oberhausens Buchhandlungen. Die Lesung mit Jenny Erpenbeck kostet 15 Euro, der „Spielkinder“-Abend mit Rothmann-Texten 20 Euro. Und beim Jubiläumsfestival ist der Eintritt frei.Vorverkaufsstellen sind neben dem Gdanska am Altmarkt auch die Buchhandlung Wiebus, Steinbrinkstraße 249 in Sterkrade, und Tabakwaren Brinkmann, Dudelerstraße 7 in Schmachtendorf. Online informiert literaturhaus-oberhausen.de