Herne. . Lina, Maja, Nils und Till Beckmann & Gäste spielten in den Flottmann-Hallen „Groß, größer, am kleinsten“. Großer Applaus für Ralf-Rothmann-Abend.

Dass eine Riesen-Fangemeinde sich in die Flottmann-Hallen aufmachen würde, war fast zu erwarten. Die Beckmann-Geschwister sind beliebt, zu Recht, und alle vier Schauspieler - Lina, Maja, Nils und Till - auf einmal auf der Bühne zu sehen, ist ein Glücksfall, der zuletzt im Mai dem Ruhrfestspiel-Publikum in Recklinghausen vergönnt war. Dort feierte das Programm „Groß, größer, am kleinsten“ Premiere. Am Samstag war es jetzt noch einmal in den ausverkauften Flottmann-Hallen zu sehen. Danach: langer Applaus.

Revue über die Stationen eines Lebens

Die „Spielkinder“ bringen gerne mal Freunde mit und so war es auch am Samstag. Charly Hübner, wie seine Frau Lina Beckmann Ensemblemitglied in Hamburg und fernsehbekannt, war dabei, außerdem Jennifer Ewert, die dem Theater Kohlenpott seit Jahren verbunden ist. In lustigen Pullovern passten sie perfekt in die Reihe der in Wanne-Eickel aufgewachsenen Schauspielergeschwister, die zumindest auf der Bühne nie ganz erwachsen geworden sind.

Das aktuelle Programm speist sich wieder zu großen Teilen aus Romanen des Schriftstellers Ralf Rothmann, den die Beckmanns verehren und umgekehrt (siehe auch Kasten). Dieses Mal haben sie aus den Texten einen Bogen gespannt über die Stationen eines Lebens, von der Einschulung über die erste Liebe und das LSD bis zum Sterbebett - mal spaßig, mal melancholisch, immer herzerwärmend.

Unverkrampftes Spiel zeichnet alle aus

Lina Beckmann ud Charly Hübner. Ganz links : Jennifer Ewert.
Lina Beckmann ud Charly Hübner. Ganz links : Jennifer Ewert. © Svenja Hanusch

Was alle vier auszeichnet, ist ihr unverkrampftes und facettenreiches Spiel. Wenn Lina Beckmann den kleinen Winni Hiller gibt, spricht aus ihr die ganze Verzweiflung des ärmlich aufwachsenden Kindes, das sich in die Hose pinkelt. Wenig später ist sie die lässig rauchende Mutter, die ihrem Sohn die romantische Fragerei austreibt.

Ähnlich Maja Beckmann, momentan in München am Theater. Einmal die „Sonne“, die jeden Klassenraum zum Leuchten bringt, wie ein Zeugniseintrag verrät, und genauso gut als Oppa Jupp, der den schielenden Enkel zurechtstaucht. Anrührend: die sterbende Mutter, schneeweiß im Gesicht vom wild aufgestreuten Puder.

Aus Zeugnissen und Liebesbriefen zitiert

Biografische Fragmente wie Zeugnisse, auch Liebesbriefe („Du bist schöner als meine Mutter“) und Verkehrssünden montieren die Beckmanns zwischen die Rothmann-Texte, und sie sorgen dafür, dass deren ohnehin gänzlich unsentimentalen Bilder aus dem Leben in den alten Ruhrgebietssiedlungen nicht ins Romantische abrutschen. Dazu trägt auch die gelegentlich einschreitende Besserwisser-Stimme aus dem Off bei und der Strom der flackernden Fotos und Videos im Hintergrund (großartig gemacht von Kay und Jens Schilling) nimmt dem Geschehen ebenfalls jedes Pathos. Dazu wummert relaxt die Musik von Sebastian Maier, und manchmal singen auch alle oder spielen „Bella Ciao“ auf der Blockflöte.

Kindsein ist nicht immer schön, lernen wir, die Pubertät in Gesellschaft großmäuliger Jugendlicher schon gar nicht und das Leben schlägt so manchen Haken. Wie die Beckmanns und ihre Freunde das mit Poesie, Weisheit und Witz erzählen, ist einmalig.

>>> AUTOR IM PUBLIKUM

Der Autor selbst, Ralf Rothmann, saß am Samstagabend unerwartet im Publikum.

Aus seinen Romanen „Stier“, „Wäldernacht“, „Milch und Kohle“ u.a. bedienen sich die „Spielkinder“. Rothmann sah das Programm zum ersten Mal und fand es „ganz toll“ in seinem „eleganten Anarchismus“.

Der heute in Berlin lebende Autor sieht seine Texte in der Bühnenversion sogar aufgewertet: „Die Schauspieler heben sie auf eine höhere Ebene.“