Mülheim. Die Kritik an der beschlossenen Streichung der drei Mülheimer Stadtteilbibliotheken wächst. Ärger kriegt jedoch nur einer zu spüren: die Grünen.
Die Luft ist merklich dick zwischen Vertretern von Bildungseinrichtungen, Schulleitern, -pflegschaften und der schwarz-grünen Koalition. Seit sie das Ende der Stadtteilbibliotheken per Haushaltsbeschluss auf den Weg gebracht hat, fokussiert sich der Unmut überraschend auf nur einen Teil der Koalitionäre – die Grünen. „Ich weiß nicht, wie Ihr in der Koalition fünf Jahre durchhalten wollt?“, kritisiert ein bekennender grüner Sympathisant offen in der Styrumer Stadtviertelkonferenz zuletzt. Die Zukunft der Stadtteilbibliothek könnte zur ersten Zerreißprobe für Schwarz-Grün werden.
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Ein PR-Desaster hauptsächlich für die Grünen
Ein PR-Desaster ist die Nachricht der im Februar beschlossenen Streichung schon jetzt: Etliche Nutzer der Stadtteilbibliotheken fühlen sich davon überrumpelt, sie mobilisieren derzeit ein Bürgerbegehren. CDU-Oberbürgermeister Marc Buchholz ist es offenbar bewusst: Auf Anfragen von Eltern in einer Videokonferenz vor dem Bildungsausschuss soll dieser „extrem gereizt“ reagiert haben, berichtet eine Schulleiterin und Teilnehmerin der Styrumer Stadtviertelkonferenz: „Worüber wir uns eigentlich aufregten? Die Bibliotheken werden nicht geschlossen, sondern ehrenamtlich weitergeführt“ – gibt sie den Standpunkt des OB wider.
Dass jedoch die Kürzung kommen wird, ist für etliche Teilnehmer der Stadtviertelkonferenz am Dienstagabend keine Frage: „Es ist ein Unding, dass so eine wertvolle Einrichtung gekürzt wird. Mein Eindruck ist, dass gerade ganz bewusst Stillschweigen darüber bewahrt werden soll, damit kein Bürgerbegehren oder sonst eine Aktion gestartet wird.“
Simone Müller-Dausel, Schulleiterin der Gemeinschaftsgrundschule Styrum, kennt den Kiez und geht einen Schritt weiter: „Wir reden von Kinderarmut, wir reden von einem abgehängten Stadtteil in Styrum – und gleichzeitig werden hier Mittel in der Bildung und Kultur gestrichen. Ich kann doch nicht im OGS-Bereich kürzen und dafür Kindern und Jugendlichen so etwas Wichtiges wegnehmen. Da muss ich an andere Bereiche gehen.“
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Vorwurf: Eine Streichung ohne inhaltliches Konzept
Sind die Stadtteilbibliotheken ohne Konzept gestrichen worden? Der Eindruck steht im Raum. Müller-Dausel: „Die Grünen haben uns als Reaktion auf unseren offenen Brief einen Arbeitsauftrag gegeben: Wir sollen uns im Stadtteil zusammensetzen und an einem Konzept arbeiten. Da frag ich mich: Warum sollen wir etwas erarbeiten, was bereits da ist und funktioniert, damit das gekürzt wird?“
Peter Behmenburg vom Familiennetzwerk Heißen ärgert, wie der Meinungsbildungsprozess über die Schließung offenbar zustande gekommen ist: „Es muss jedem klar sein, dass diese Arbeit in den Stadtteilbibliotheken unersetzbar ist.“ Doch offenbar stellte sich in Gesprächen mit der Politik ein anderer Eindruck ein: So habe man der grünen Bezirksbürgermeisterin Britta Stalleicken die „zahlreichen Kooperationen mit der Stadtteilbibliothek“ erst erläutern müssen, schildert Behmenburg, „dass sie Stadtteilzentren sind, in denen Bildung und Begegnung stattfindet, und die man eben nicht ehrenamtlich auffangen kann“. Es werde durch Ehrenamtliche kaum billiger, glaubt dieser, denn diese zu organisieren und zu betreuen, koste auch Geld und Personal – „das wird häufig unterschätzt“.
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Hat die Politik die Konsequenzen ihrer Streichung ausreichend abgewogen? Inzwischen tauchen Zweifel auf. „Man hat also gekürzt ohne ein Konzept – und gibt die Entwicklung nun an andere weiter“, wirft Udo Balzer, der als ehemaliger Mitarbeiter der Stadt ein Stadtentwicklungskonzept für Styrum entwickelte, der Koalition vor: „Mit welchem Recht glaubt man, die professionelle Arbeit in Bildung und Kultur ehrenamtlich leisten zu können? Man stelle sich vor, man käme auf die Idee, dass ein Dezernent viel zu teuer sei, den setzt man nun ehrenamtlich ein. Dass ausgerechnet die Grünen in ihrem ersten Aufschlag als Regierungspartei an Bildung und Kultur rangehen. . .“
Grüne Sprecherin räumt ein: „Es war eine mathematische Aufgabe“
Die Enttäuschung scheint gegenüber den Grünen groß, von der CDU habe man das ja schon erwartet, heißt es im Anschluss an die Konferenz. Grünen-Parteivorsitzende Kathrin Rosa Rose stellt sich in der Konferenz dennoch mutig der „schwierigen Situation: Es ging um einen Haushaltsentwurf, der zwei Millionen Kürzung im OGS- und eine im Kita-Bereich vorsah. Es ist nicht schön, aber eine einfache mathematische Aufgabe: Ich musste eine Summe einsparen. In der Abwägung waren mir die OGS- und Kita-Zuschläge wichtiger.“
Doch die Befürchtung, dass die Politik die Folgen nur fiskalisch betrachtete, erhärtet sich zunehmend. Offenbar folgte man lediglich den Spar-Vorgaben der Stadtverwaltung und Kämmerei: Inhaltlich, so Rose, sei es nicht darum gegangen, „dass wir die Bibliotheken schließen wollten. Wir mussten uns an einer GPA-Liste orientieren – und da standen sie seit Jahren mit drin“. Man könne nur an freiwillige Leistungen gehen, Mülheim sei zudem fast die einzige Kommune, die noch drei Stadtteilbibliotheken habe.
Auffällig schweigsam: die CDU
Auffällig zurückhaltend hat die CDU den Grünen das Verhandeln im Minenfeld überlassen. Die CDU-Fraktionsvorsitzende der BV 2, Petra Seidemann-Matschulla, meldet lediglich an: „Wenn gekürzt wird, geht es immer um freiwillige Ausgaben. Dazu gehört die Kultur.“ Man kämpfe aber für das integrierte Stadtteilkonzept für Styrum, „damit endlich Fördermittel in den Stadtteil fließen“, will die Kommunalpolitikerin beschwichtigen. Die Kürzung sei ja „nur ein Arbeitsauftrag an Verwaltung. Es ist nichts entschieden.“
Das allerdings scheint mehr als fraglich. Denn in der Hauptausschusssitzung im Februar 2021 beschloss die Mehrheit aus CDU, Grünen und FDP die „Zusammenführung und Modernisierung der städtischen Bibliotheksdienste im Medienhaus und Prüfung der zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten“. Die weitere Nutzung ist demnach keine Bedingung für die Zusammenführung der Bibliotheksdienste, sondern nur ein mögliches Ergebnis.
Kiez-Kenner Schürmann: Man darf Stadtteilbibliotheken nicht rein monetär betrachten
Fehlt der Koalition die Gestaltungsfantasie, der Mut oder gar die gemeinsame Linie, den komplizierten Haushalt der Kämmerei auf den Kopf zu stellen? An der CDU scheint die massive Kritik jedoch kaum zu verhaften, die Grünen müssen hingegen aufschultern, was Schwarz bereits in der Vergangenheit mit Anträgen etwa zur „Neukonzeptionierung der Stadtteilbibliotheken“ initiieren wollte: Einsparen.
Max Schürmann, Leiter der Stadtviertelkonferenz und seit Jahrzehnten eng im Stadtteil vernetzt, dagegen unterstreicht: „Wir brauchen diese Qualität der Bibliotheken. Man darf sie nicht rein monetär betrachten, sondern was sie für die Bildung in den Stadtteilen bedeuten.“