Mülheim. Die Mülheimer Grüne Britta Stalleicken ist neue Bezirksbürgermeisterin für die Bezirksvertretung Rechtsruhr Süd. Welche Akzente will sie setzen?
Die Grünen haben mit ihrem Höhenflug in der Kommunalwahl 2020 auch neue Verantwortung in den Gremien übernommen. Britta Stalleicken ist im November zur Bezirksbürgermeisterin für die Bezirksvertretung 1, also Altstadt, Heißen, Menden-Holthausen, gewählt worden. Manche haben sie noch als wortstarke Aktivistin für die Bürgerinitiative "Frische Luft" in Erinnerung, die im Clinch mit Teilen der Verwaltung und Politik lag. Wie lebt es sich auf der anderen Seite des Tisches? Im Gespräch mit Dennis Vollmer.
Frau Stalleicken, wie hat Ihr politisches Engagement angefangen? Mit der Initiative „Frische Luft für Mülheim“?
Ja – 2008 habe ich die Bürgerinitiative, später dann die Interessengemeinschaft Rumbachtal mitinitiiert. Der Anlass unserer Gründung 2008 war der aufgelegte Einleitungsbeschluss zur Bebauung eines Feldes an der Tilsiter Straße und Haustadtsfeld in Holthausen.
Das Gebiet gehört zum bestehenden Frischluftentstehungsgebiet „Rumbachtal“. Das ist damals elementar für die Frischluftzufuhr der Innenstadt gewesen, und das ist auch heute noch so. Messdaten zeigen, dass es eine Differenz von sieben Grad Celsius zwischen Innenstadtklima und Außenbereichstemperaturen gibt.
Es ging uns damals um eine grundsätzliche Abwägung zwischen Ökonomie und Ökologie, um das Grundrecht auf ökologische Lebensgrundlagen für alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Für uns war die BI eine Form der politischen Beteiligungsmöglichkeit mit der wir auf Akzeptanz- und Legitimationsprobleme der geplanten politischen Vorhaben hingewiesen haben – sofern Entscheidungsträger gewillt sind, Sachargumente in ihre Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.
Inzwischen setzen sich immer mehr Anwohner für den Erhalt der Freiflächen ein – und mittlerweile wird das auch gehört. Ich finde das erfreulich.
Was nervt: Die Macht der lautesten Stimmen
Sie packen Dinge gerne persönlich an: Sie sind geehrt worden für Ihre Kurkonzerte an der Freilichtbühne (2019, „Menschen machen's möglich“), an der Aktienstraße haben Sie Anwohner animiert, Blumenkübel zu bepflanzen. Warum sind Sie in die parlamentarische Demokratie eingestiegen?
Ich bin sehr gerne mit Menschen zusammen und ich schätze es sehr, Projekte gemeinsam zu gestalten. Ich habe außerdem durch meine BI-Erfahrungen und meine aktuelle Gremienarbeit erfahren, wie wichtig es ist, beim Bürger genau hinzuhören und die Perspektive zu wechseln. Das will ich in die Politik einbringen.
Schwierig ist dabei, dass die Interessen in unserer Gesellschaft immer kleinteiliger werden, die Sachfragen werden dadurch immer komplexer. Wie schafft man es, dass etwa alle Generationen in einem Stadtteil zusammenleben können? Politische Entscheidungen zur Zufriedenheit aller zu treffen, ist nicht einfach, wenn man gleichzeitig das Gemeinwohl im Blick hat.
Ich denke aber, es ist wichtig, dass man gegenüber Bürgern und Kollegen in der Politik transparent ist, Vertrauen aufbaut und trotz unterschiedlicher Meinung einen respektvollen Umgang miteinander pflegt.
Welche Erfahrung haben Sie mit dem politischen Betrieb im Vergleich zur außerparlamentarischen Opposition gemacht? Wo liegen Vorteile, was nervt vielleicht?
Was nervt? Eine Art Macht der lautesten Stimmen. Deshalb finde ich es richtig, wenn die Politik, Wirtschaft und Verwaltung in der Verantwortung sind, diese Entscheidungsräume zu gestalten. Die außerparlamentarische Opposition funktioniert vor allem sinnvoll und zielführend, wenn Bürgerinnen und Bürger gut organisiert und sachdienlich definiert auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen. Mehr Beteiligung gezielt eingesetzt leistet immer seinen konstruktiven Beitrag, auch wenn Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern nicht, oder nur zu Teilen, Umsetzung finden.
Hätten Sie diese Antwort auch akzeptiert, wenn Sie noch Teil einer Bürgerinitiative wären?
Ja. Leider führt dies manchmal zu Frustration und dem Eindruck, übergangen zu werden, obwohl Vorgaben der repräsentativen Demokratie oder die Gesetzeslage eine solche umstandslose Umsetzung nicht selten einschränkt.
"Ich will Brücken bauen, Ökologie und Wirtschaft zusammen denken"
Als Bezirksbürgermeisterin können Sie Themen setzen: Welche liegen Ihnen am Herzen? Was wollen Sie als erstes angehen?
Ich will Brücken bauen, Hass und Hetze keinen Raum geben, eine sachorientierte, breitgefächerte Politik fördern, Fraktionsübergreifend kooperieren. Ich wünsche mir ein Mülheim, in dem für jede und jeden Platz ist, in dem Ökologie und Wirtschaft zusammen gedacht werden. Das heißt, die Stadt klimaresilient aufzubauen, Freiflächen und Frischluftschneisen zu schützen, Grünanlagen ökologisch zu gestalten, Bäume zu erhalten und nachzupflanzen. Bei der Vergabe und Planung von Bauprojekten sollen ökologische hohe Standards verwirklicht, der öffentliche Verkehrsraum und ÖPNV neu geplant werden.
Im Bezirk drücken die schon lange währenden Querelen Anwohnerparken und der Autoverkehr insgesamt. Wie soll das bewältigt werden?
Das „Anwohnerparken“ schwelt noch in der BV1. Hier sind noch juristische Prüfungsverfahren auf Umsetzung anhängig. Aktuell laufen Gespräche zwischen Mitgliedern der Verwaltung und den Fachpolitikern. Als Bezirksbürgermeisterin bin ich dabei. Ich hoffe, wir bekommen mit Bürgern und Verwaltung eine gute Lösung hin. Das Thema ist ein gutes Beispiel dafür, wie schwer politischer Lösungswille, Bürgerbelange und gesetzliche Machbarkeit zusammenzubringen sind. Ich bin als Bezirksbürgermeisterin auch dabei.
Parkflächen insgesamt, auch die für emissionsfrei betriebene Autos und Carsharingfahrzeuge sind in unserer stark PKW-orientierten Stadt ein akutes Thema. Es gibt nun einen eigenständigen Mobilitätsausschuss. Ich glaube, dass das dazu beiträgt, Verkehrsplanung ganzheitlich zu sehen und zu planen.
Einige wenige verhalten sich rechtswidrig in unserer Stadtgesellschaft
Sauberkeit und Wohnen sind in der Innenstadt und rund um die Eppinghofer Straße ein großes Thema: Was wollen Sie anders machen als Ihre Vorgänger?
Ich bekomme dazu sehr viele Bürger-Anfragen und Beschwerden. Das ist ein gesamtstädtisches Problem. Die illegale Müllentsorgung an öffentlichen Plätzen und gerade in Landschafts- und Naturschutzgebieten nimmt zu, und ich finde es unerträglich, dass sich einige wenige rechtswidrig in unserer Stadtgesellschaft verhalten.
Andererseits ist die Entsorgung von Hausmüll für manche zu teuer. Unser Ansatz ist daher, die Annahme von Restmüll am Heifeskamp ein Mal wöchentlich unentgeltlich anzubieten und den käuflichen Restmüllsackpreis von 5,50 Euro pro Stück zu reduzieren.
In unserer letzten Umweltausschusssitzung und der Ratssitzung konnten wir mehrheitlich das Maßnahmenpaket durchbringen, welches die wilde Müllentsorgung hoffentlich nachhaltig reduziert. Die Umsetzungsfähigkeit wird aktuell noch von der Verwaltung geprüft. Ich hoffe das Beste.
Dazu haben wir eine Müllmeldeapp mit QR- Code bei der Verwaltung in Auftrag gegeben. Das soll Meldungen einfacher gestalten. Zusätzlich werden Teams aus Mülldetektiven und Sicherheitspersonal 24 Stunden im Stadtgebiet aktiv sein, um genau solche „Müllsünder“ zu stellen. Weiterhin werden Müllentsorgungsmöglichkeiten (mehrsprachig) gedruckt und verteilt, um ein eventuell bestehendes Wissensdefizit auszuräumen.
Wenn Sie auf das Ende der Legislaturperiode schauen: Welche Schlagzeile würden Sie am liebsten über sich lesen?
„Gemeinsam haben wir viel Gutes auf den Weg gebracht.“