Mülheim. Für Mitte 2020 hat die Stadt ein Handlungskonzept für Styrum zugesagt. Abermals ist das verschoben. Warum es für das Viertel nicht weitergeht.

Wie soll das Styrum der Zukunft aussehen? Wie geht man die im Viertel übermäßig drängenden Fragen der Armut, des Wohnens, Verkehrs und der Umweltbelastung an? Die schnelle Antwort: Offenbar gar nicht, denn ein Handlungskonzept, mit dem wertvolle Fördermittel für Styrum und damit Lösungen möglich sind , bleibt die Verwaltung der Politik und vor allem den Bürgern seit Jahren schuldig. Warum Styrum dort nicht weiterkommt, obwohl das Viertel mehr bieten könnte.

Die lange Antwort klingt nicht besser: Seit 2017 liegt der Verwaltung die Grundlage für ein solches Konzept vor. Erstellt von dem städtischen Mitarbeiter Udo Balzer. Eine Goldader, die leicht gehoben werden könnte. Doch: „Das Konzept wurde dieses Jahr begonnen, konnte aber nicht zu Ende bearbeitet werden, da der damit beauftragte Mitarbeiter aufgrund einer Stellenbefristung gekündigt hat“, antwortet die Verwaltung auf Anfrage der Redaktion. Bislang sei kein Ersatz gefunden. Bis wann sich das ändern wird, könne die Verwaltung derzeit nicht sagen.

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Beobachter sehen mit Sorge auf den Aufstieg der Rechtspopulisten im Viertel

Der Styrumer Sportpark ist eines der wenigen auch sozialen Projekte, die das Viertel gestärkt haben.
Der Styrumer Sportpark ist eines der wenigen auch sozialen Projekte, die das Viertel gestärkt haben. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

So schiebt die Verwaltung das Konzept seit Jahren als sich weiter auftürmende Bugwelle vor sich her (siehe Info-Kasten). Doch kann der Stadtteil so lange warten? Mancher Beobachter sieht Signale, dass sich die Lage im Kiez zuspitzt, polarisiert. In Styrum-Süd und Nord schnitt die AfD am stärksten ab und holte mit knapp 12 Prozent fast doppelt so viele Prozentpunkte wie im Stadtdurchschnitt (7,18 %). Und auch doppelt so viele wie noch zur Kommunalwahl 2014.

Populisten haben das Viertel längst für sich entdeckt, initiierten Debatten um Sicherheit und eine Polizeiwache. Dabei ist Styrum bisher gegen Einflüsse besonders von Rechts stark gewesen: Zur Reichstagswahl am 6. November 1932 etwa holte die NSDAP hier gerade einmal 11 Prozent – nicht einmal die Hälfte dessen übrigens, was sie stadtweit erzielte.

Die Kinderarmut liegt in Styrum deutlich über dem Durchschnitt

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Die Felder, die es in Styrum zu beackern gilt, sind auch ohne Handlungskonzept offenkundig. Zum Beispiel die Armut und besonders die Kinderarmut . Mülheim ist „eine sozial gespaltene Stadt. Von Armut betroffene Menschen leben oftmals räumlich konzentriert in mehrfach belasteten Stadtteilen im Norden der Stadt“, antwortete der ehemalige Sozialdezernent Marc Buchholz der Zeitung .

Konkret ist zum Beispiel der Anteil an Sozialhilfeempfängern unter sechs Jahren in Styrum-Süd bei rund 54 Prozent (Nord: 52) mit deutlichem Abstand zu anderen Stadtteilen (im Durchschnitt 30 %). Nur die Altstadt-Stadtmitte und -Südwest liegen noch darüber (67 bzw. 64 %). Der ehemalige Sozialdezernent Buchholz ist der heutige Oberbürgermeister, er könnte nun die Armutsbekämpfung im Viertel zur Chefsache machen .

Wohnen: Styrum zählt mit zu den schlechtesten Wohnlagen

Massive Bebauung, sehr wenig Grün- und Freiflächen, starke bis sehr starke Lärm- und Immissionsbelastung – diese Faktoren gelten im aktuellen Mietspiegel als Wohnlage 5. Das ist die schlechteste, und Styrum hat reichlich davon. Es fehlt günstiger Wohnraum, der zudem energetisch modern ist. Häuser ließen sich, wie es die Basisanalyse von Balzer vorschlägt – etwa aufstocken, um mehr Wohnungen ohne zusätzliche Verdichtung von Grünflächen zu schaffen.

Viele Häuser in Styrum aber werden mit fossilen Brennstoffen beheizt, sie müssten modernisiert werden, schlägt die Analyse ebenfalls vor. Doch während in Dümpten und Heißen bereits energetische Sanierungen im größeren Stil vorangetrieben worden sind, fehlen solche Maßnahmen gerade hier, wo verkehrsreiche Straßen, Autobahn und viel Gewerbe stark belasten. Ein energetisches Wohn-Projekt kann neben Wohnqualität und viel Prestige vor allem Umwelt und Gesundheit verbessern.

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Stadtteilmanager spielt eine zentrale Rolle

Solche Sanierungsprojekte allerdings etablieren sich zuerst in Vierteln, in denen möglichst zusammenhängende und ähnlich alte Wohnbestände zu finden sind. Es würde deshalb ein begründetes Handlungskonzept für Styrum benötigen, um entsprechende Förderungen von Bund und Land anzapfen zu können.

Zähes Ringen um das Integrierte Handlungskonzept

Schon in der Bezirksvertretung 2 im September 2018 hatte die Politik einstimmig die Verwaltung mit einem Handlungskonzept für Styrum beauftragt und 10.000 Euro dafür locker gemacht .

Im September 2019 war die Verwaltung keinen Schritt weiter . Die Erstellung sei an fehlenden personellen Ressourcen in der Abteilung Stadtentwicklung gescheitert. Bis Mitte 2020 aber wolle man nun das Handlungskonzept fertig haben – so die damalige Zusage von Planungsdezernent Peter Vermeulen und Sozialdezernent Marc Buchholz .

In der Bezirksvertretung 2 am Donnerstag, 26. November, wollen CDU und Grüne von der Verwaltung den aktuellen Sachstand und zeitlichen Ablauf der Erstellung wissen.

Ein Hexenwerk wäre das nicht: Acht Handlungsfelder sind in der Vorlage von Balzer schon beschrieben, auch könnte man sich am bestehenden Konzept für Eppinghofen orientieren. Und auch eine Art Stadtteilmanagement, das die Akteure im Kiez zu Netzwerken zusammenbindet und beteiligt, Probleme benennt und lösen könnte, hat Styrum bereits: Seit 26 Jahren haben die Feldmann-Stiftung und ihr Leiter Max Schürmann die „Stadtviertelkonferenz“ moderiert, in der solche Akteure aus Bildung, Kirchen/Moscheen, Vereinen und Gewerbe zusammenkommen .

Längst ist die Feldmann-Stiftung in den vergangenen Jahren zunehmend als „Stadtteilmanagement“ von zahlreichen Personen empfunden worden, bestätigt Schürmann. Sein künftiges Ausscheiden und damit ein drohendes Ende der Stadtviertelkonferenz hat somit auch die verschlafene Debatte um das Handlungskonzept wiedererweckt. Grüne, SPD und CDU haben mit Anträgen in der Bezirksvertretung und im Kulturausschuss reagiert, um die Konferenz zu retten – und dann hoffentlich das dringend benötigte Handlungskonzept schnell voranzutreiben.