Essen. Schluss mit Rauchen, Fleisch und Alkohol: Unter dem Vorwand, die Frage zu diskutieren: „Will der Staat uns umerziehen?“ sitzen am Dienstagabend bei Sandra Maischberger Gäste, die extrem konservativ uralte Fragen wälzen über die Auswirkungen von Passivrauchen und Alkoholismus im Filmgeschäft und ausführlich über ihre Lieblingslaster sprechen. Das Problem des regulierten Bürgers bekommt die Runde nicht zu fassen.

Ist der mündige Bürger eine Illusion, der für sich selbst entscheiden kann, der weiß, was für ihn gut ist und was er sich selbst und seiner Umwelt antut zum Beispiel mit dem Genuss von Zigaretten, Unmengen von Fleisch oder Alkohol? Muss der Staat deshalb eingreifen, seine Bewohner vor sich selbst schützen und ihnen mit Gesetzen den Weg weisen?

Es ist die Frage nach dem Sinn und Unsinn von Regulierungen des Alltags. Doch bei Sandra Maischbergers Talkshow mit dem Titel „Will der Staat uns umerziehen“ wutplappert die Gruppe am Thema immer knapp vorbei. Stattdessen geht es um uralte Fragen und Befindlichkeiten wie: Wie cool ist eigentlich Rauchen?

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Als erste Amtshandlung schaltet die Moderatorin live ins Wohnzimmer des aktuell berühmtesten Rauchers Friedhelm Adolfs, eines Rentners aus Düsseldorf, der wegen seines massiven Rauchens per Amtsgerichts-Urteil aus seiner Wohnung geklagt werden soll. Der Fall von Adolfs und seinen Nachbarn, die er mit exzessiver Qualmerei belästigen soll, wird schon seit etwas mehr als drei Wochen in der Öffentlichkeit diskutiert, einen neuen Aspekt gibt es aber trotzdem nicht: Der Mann wird nur als kurzes Schreckgespenst hergezeigt und darf mit der glimmenden Kippe in der Hand kurz erklären, wie luftdurchlässig seine Wohnungstür ist.

„Das Land ist mal wieder gespalten in Raucher und Nichtraucher“

„Gemütliches Rauchen im Wohnzimmer ist gefährdet“, sagt Maischberger und will damit den Zuschauer bei seiner Grundangst packen: In den eigenen vier Wänden nicht mehr tun und lassen zu dürfen, was er will. „Das Land ist mal wieder gespalten in Raucher und Nichtraucher“, sagt sie, nachdem die Kamera Adolfs wieder alleingelassen hat – und auf dieser Erkenntnis verweilt der Talk sehr lange.

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Dafür sorgen uninspirierte Grabenkämpfe: Bürgermeister Herbert Napp, genannt „Vesuv von Neuss“ und der Nichtraucher-Aktivist Helmut Weber sitzen nebeneinander und arbeiten sich aneinander ab. „Menschen, die passiv rauchen müssen, werden nicht nur belästigt, sondern geschädigt“, sagt Weber vom Nichtraucherschutzbund. „Es ist wichtig, dass kein Mensch zwangsberaucht wird, vor allem nicht an seinem Arbeitsplatz, vor allem nicht Kinder“, schließlich seien im Zigarettenrauch 4800 Stoffe enthalten, davon mindestens 90 krebserzeugend, die innerhalb von sieben Sekunden das Gehirn erreichen.

Vergleich von Tabakrauch mit Chemiewaffe bei Maischberger

Aber wo soll er dann hin, der Raucher? Ganz einfache Hardliner-Antwort: Am besten soll er aufhören, sagt Weber. „Oder irgendwo hingehen, wo er keinen mit seinem Rauch tangiert.“ Napp, der bundesweit von sich reden machte, als er sich weigerte, trotz öffentlichen Rauchverbots in seinem Dienstzimmer auf das Rauchen zu verzichten ist empört: „Wenn Rauchen wirklich so gefährlich wäre, wie Sie sagen, wäre Tabakrauch ja eine Chemiewaffe.“

Die TV-Ärztin Marianna Koch erklärt ruhig, dass Rauchen tatsächlich ungesund sei – wie sie auch über den Rest des Abends auch ruhig erklärt, dass Alkoholkonsum ungesund sei, dass Autofahren ohne Sicherheitsgurt ungesünder sei als Autofahren mit Sicherheitsgurt. Der Talk mutet an wie eine verkappte Gesundheitssendung aus einem vergangenen Jahrzehnt, als man noch verdrängte, dass Rauchen und Krebserkrankungen ursächlich zusammenhängen könnten.

Koch darf außerdem erklären, wie eine E-Zigarette funktioniert, die sich bisher auf dem Markt nicht durchgesetzt hat, auf dem Tisch vor sich ein hoher Glaszylinder voller Zigaretten – 1000 Stück, sagt Maischberger, „so viele raucht durchschnittlich jeder Bundesbürger im Jahr“. Das sieht beeindruckend aus, ist aber ein krummes Bild, wie die Moderatorin auch gleich hinterhererklärt, in dieser Rechnung sind nämlich alle deutschen Bürger enthalten, auch Babys und Rentner.

„Mein Recht endet aber da, wo ich einem anderen schade"

Der Bild-Kolumnist Hugo Müller-Fogg bringt die Unterhaltung zurück auf einen wackligen Bevormundungs-Kurs: Er wolle nicht in einem Staat leben, der ihm vorschreibe, wie viel Wein er trinken dürfe. „Mein Recht endet aber da, wo ich einem anderen schade. Aber wenn ich sage, jedes Fitzelchen Rauch führt zu Krebs, dann darf ich mich zum Beispiel nicht neben Sie setzen, in Ihrem Anzug ist sicher noch was enthalten.“

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Helmut Weber erklärt dazu: „Jeder Bürger hat die Pflicht, sich gesund zu halten für den Staat – und der Staat hat sich darum zu kümmern, dass der Bürger das kann.“ Deshalb fordert er, jede Schachtel Zigaretten solle 43 Euro kosten, weil auch die Folgekosten des Rauchens für das Gesundheitssystem im Preis beinhaltet sein müssten.

Ines Pohl, Chefredakteurin der Berliner Tageszeitung taz, will den gesetzlichen Rahmen dazu nutzen, junge Menschen davor zu bewahren, in diese Süchte einzusteigen“. Koch beruhigt etwas: Kinder und Jugendliche rauchten wirklich weniger als früher, und auch der Mythos Zigarette habe sich aufgelöst, wie zum Beispiel aus dem Schwarzweißfilm „Casablanca“ kannte: „Rauchen ist unter den Jugendlichen nicht mehr cool.“

Schnaps in der Wärmflasche eines Babys

Also her mit dem nächsten Laster: Schauspielerin Karin Baal („Berlin Alexanderplatz“) erzählt von ihrer Alkoholsucht, seit ihrem letzten Entzug im Jahr 2000 trinkt sie keinen Alkohol mehr. Maischberger: „Sie haben das mit Willenskraft geschafft. Wäre Ihnen geholfen gewesen, wenn der Staat sich da mehr gekümmert hätte, wenn es mehr Verbote gegeben hätte?“ Baal: „Ach, meine Familie hat ja auch Zuhause auf mich aufpassen wollen – aber dann habe ich in die Wärmflasche von meinem Baby Schnaps reingefüllt.“

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Die Gruppe bekommt das Problem des regulierten Bürgers nicht zu fassen. Müller-Vogg fordert ein „Grundrecht auf unvernünftiges Verhalten“ und in dem Alkohol-Zigaretten-Komplex steht die am Ende noch eingeschobene Diskussion über den Vorstoß der Grünen, einen fleischlosen Tag – einen „Veggie Day“ – in öffentlichen Kantinen einzuführen, noch schräger da. Es geht auch wieder um die Soja-Produktion in Südamerika und den hohen Wasserverbrauch bei der Tierzucht, Müller-Vogg lobt die liberalen katholischen Bischöfe, die irgendwann einmal beschlossen, das kirchliche Fleischverbot am Freitag zu lockern.

Eine der letzten markanten Aussagen der Talkgäste an diesem Abend kommt dann noch einmal von Nichtraucher-Aktivist Weber: Man solle die Idee doch nicht „Veggie Day“ nennen, sondern Gemüsetag. „Das sollte man lieber auf Deutsch sagen.“

Was nun aus dem mündigen Bürger wurde? Nach den Reaktionen im Kurznachrichtendienst Twitter auf die Sendung zu urteilen, langweilte ihn die Unterhaltung so sehr, dass er sich ein Steak briet, ein Bier trank und dabei eine Zigarette rauchte.