Essen. . “Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ - Mit einem bauernschlauen Kauz, der Weltgeschichte schrieb, überraschte der Schwede Jonas Jonasson den Literaturmarkt. Nun schickt er wieder einen Außenseiter ins Rennen. Sein neuer Roman heißt „Die Analphabetin, die rechnen konnte“.
Jonas Jonasson ist: der Autor, der einen Hundertjährigen zum Romanhelden machte. Der Debütant, der von fünf Verlagen abgelehnt wurde – und vom sechsten mit einer Startauflage von 7000 Exemplaren bedacht wurde. Und er ist der Bestseller-Star, der allein in Deutschland über zwei Millionen Bücher verkauft hat.
Nun erscheint sein zweites Werk, „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ – und dies, versprochen, ist der vorerst letzte Relativsatz über einen Autor, der aus dem Nichts aufstieg und seither von den Bestsellerlisten nicht mehr verschwand.
Verblüffende Ähnlichkeit, aussichtslose Situationen zu meistern
Besagte Analphabetin heißt Nombeko. Einerseits ist sie das exakte Gegenteil des „Hundertjährigen“ Allan Karlsson: eine junge, schwarze Afrikanerin. Andererseits ähnelt sie ihrem Vorgänger ganz verblüffend. Denn auch Nombeko stolpert unversehens ins Weltgeschehen hinein – und versteht mit gewitzter Schläue selbst schier aussichtslose Situationen zu ihren Gunsten zu wenden.
Atombombe und Antilopenfleisch
Die Leser lernen Nombeko als Latrinentonnenträgerin in Südafrikas größtem Slum kennen, wir befinden uns mitten in den 70ern. Mit gerade einmal 14 Jahren beerbt sie ihren Chef, den sie mit verblüffenden Rechenkünsten beeindruckt. Eine Reihe von Zufällen bringt sie in den Besitz etlicher Rohdiamanten. Zudem lernt sie lesen. Als sie sich auf den Weg in die Freiheit macht, für sie gleichbedeutend mit der Nationalbibliothek von Pretoria, wird sie auf dem Bürgersteig von einem weißen Alkoholiker beinahe zu Tode gefahren, vom Gericht aber naturgemäß für schuldig befunden. Ihre Strafe: Sie muss bei dem Alkoholiker putzen. Zufällig ist der, quasi nebenberuflich, als Ingenieur Leiter der südafrikanischen Bestrebungen, Atommacht zu werden.
Vom Königsverehrer zum Königshasser
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In einem zweiten Strang erzählt Jonasson von den schwedischen Zwillingsjungen Holger 1 und Holger 2, deren Vater sich vom Königsverehrer zum Königshasser wandelt und seine Söhne, sagen wir, eigenwillig erzieht. Einen der beiden Holger trifft Nombeko schließlich: Mithilfe ihrer mathematischen Fähigkeiten hatte der besoffene Ingenieur schließlich seinen Auftrag ausgeführt – aber leider eine Atombombe zuviel gebaut. Die hat Nombeko dem israelischen Geheimdienst verkauft. Es würde jetzt zu weit führen, von der Verwechslung eines Päckchens mit Antilopenfleisch zu erzählen. Jedenfalls ist es so, dass Nombeko, die Atombombe und drei Chinesinnen in Schweden landen. Dort ziehen sie gemeinsam mit den beiden Holgers einen florierenden Handel mit echten Vasen aus der Han-Dynastie auf (vielmehr: täuschend echten). Und versuchen immer wieder mal, dem schwedischen Ministerpräsidenten die Bombe zu verkaufen, kommen aber nie weiter als bis zur Vorzimmerdame.
Großes Erzähltalent der Gegenwart
Scharf geschaltete Geschütze, Geheimdienste, der Mord an Olof Palme, die jüngere schwedische Geschichte: Erneut schöpft Jonasson aus dem Vollen. Zwar fehlt seinem zweiten Wurf naturgemäß das Überraschungsmoment – hintergründigen Humor und aberwitzige Szenen hatte man erwartet. Doch steht Nombeko dem „Hundertjährigen“ in nichts nach. Jonasson erweist sich mit seinem zweiten Roman als eines der großen Erzähltalente der Gegenwart, dessen frecher Blick auf die Welt ein neues Genre prägen kann – und den „schwedischen Humor“ zum Markenzeichen seines Landes macht.