Essen. . Längst hat er das Genre gewechselt, aber auf dem Terrain seiner Afrikaromane ist Schwedens Erfolgsautor Henning Mankell kaum wiederzuerkennen. Sein neuer Roman „Erinnerung an einen schmutzigen Engel“ erzählt ein Frauenschicksal aus der Zeit um 1900. Manches verrutscht Richtung Groschenroman.

Als der alte Schwede das Morden ließ, blieb ein Gefühl zwischen Wehmut und Hoffnung. Wehmut, weil wir Abschied nehmen mussten von Henning Mankells Wallander. Ein Held, der keiner war: geschieden, zuckerkrank, kaputt, aber mit Moral! Hoffnung, weil wir so naiv waren zu glauben, die ahnbaren literarischen Züge der Krimis würden zu gemeißelten Charakterköpfen, wenn er die Polizeiwache in der Provinz verlässt.

„Erinnerung an einen schmutzigen Engel“ ist Mankells neuer Roman und leider kaum mehr als ein weiterer Beleg, wie sehr die Hoffnung trog. Streckenweise tun die Ausmehrungen eines Kitschonkels fast weh. Das erschreckt umso mehr, als Mankell ein erzählerisch starker Einstieg gelingt. Mit bestechend einfühlsamer Nähe beschreibt er das Leben in der ländlichen Einsamkeit Nordschwedens um 1900. Da, wo man sich winters an den tief verschneiten Waldrand stellt und auf einen Schlitten hofft, um mitgenommen zu werden aus Hunger und Kälte.

Mankell begleitet eine Halbwaise auf Weltreise

Es ist Hanna, der es gezwungenermaßen gelingt. Die Not der Halbwaise nötigt das Mädchen, die ihren zu verlassen. Und plötzlich, nach einer Seemanns-Ehe, die der Tod nach 30 Tagen scheidet, setzt sie ihre Füße auf den Boden des schwarzen Kontinents. Die Ahnungslose wankt erschöpft in ein Hotel – und wird es erwachend als erfolgreichstes Bordell der portugiesischen Kolonie erkennen.

Ist es Henning Mankells erklärte Afrika-Liebe, die dazu führt, dass ihm mit dem Wechsel des Schauplatzes auch das souveräne Erzählen abhanden kommt? Es gibt Sätze, die im Groschenroman zu Hause sein könnten: „Hanna dachte enttäuscht, Kapitän Svartmann sei genau wie andere Männer.“ Oje.

Henning Mankell hat eine Chance vertan

Zum Zeitpunkt dieser luziden Einsicht ist Hanna schon zum zweiten Mal Witwe, diesmal vom alten und recht freundlichen Bordellbesitzer. Er hinterließ ihr Esel. Huren und einen Affen, der Smoking trägt. Es ist eigentlich wunderbar zaubersattes Personal (den blinden Klavierstimmer des Freudenhauses nicht zu vergessen), auf das Mankell hier bauen könnte.

Doch die Chance, dem Makabren, Lebenshungrigen, Fantastischen und Brutalen einer untergegangenen Zeit Leben einzuhauchen, vertut der Erfolgsautor trotz üppiger Dramatik über weite Strecken. Eine Geschichte, „wie ich sie noch nie geschrieben habe“ nennt Mankell sie. So kann man es natürlich auch sehen.