Wien/Essen. . Der österreichische Schriftsteller Franzobel vor dem WM-Qualifikationsspiel über das deutsche Team, das früher als der Erzfeind galt, und sich inzwischen auch im Nachbarland einige Sympathien erspielt hat. Und über Diven und natürlich den Wahnsinn im Fußball.

Seine Einsätze für die österreichische Fußball-Nationalmannschaft der Literaten hat er nicht gezählt. „45 oder 50“ werden es für den Ingeborg-Bachmann- und Arthur-Schnitzler-Preisträger mit dem Künstlernamen Franzobel gewesen sein. Aktuell läuft der 46-jährige Österreicher nur noch auf, wenn „die Knie mitmachen“. Sollte Österreich aber zur WM 2014 in Brasilien reisen, will er „wieder ein Buch über Fußball schreiben“. Vor der Qualifikationspartie am Freitag in München gegen Deutschland (20.45 Uhr, live bei uns im Ticker) spricht Franzobel über österreichische Diven, schweizerische Disziplin und den Erzfeind.

Nach großen Ereignissen wird oft gefragt: Wie haben Sie es erlebt? Deshalb die Frage: Wie haben Sie im September des vergangenen Jahres in Wien die 87. Minute des WM-Qualifikationshinspiels Österreich gegen Deutschland erlebt?

Franzobel: Ich war in Griechenland und habe verzweifelt versucht, auf dem Computer einen Live-Stream herzustellen. Was aber nicht geglückt ist. Deshalb habe ich erst im Nachhinein gesehen, dass Marko Arnautovic es nicht geschafft hat, den Ball im Tor zu platzieren.

Franzobel wurde als Franz Stefan Griebl 1967 im österreichischen Vöcklabruck geboren, hat zahlreiche Romane, Theaterstücke und Lyrik verfasst und wurde unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.
Franzobel wurde als Franz Stefan Griebl 1967 im österreichischen Vöcklabruck geboren, hat zahlreiche Romane, Theaterstücke und Lyrik verfasst und wurde unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.

Es stand 2:1 für Deutschland. Es hätte sich nur um das Remis gehandelt. Trotzdem schien es so, als habe das ganze Österreich anschließend furchtbar gelitten…

Franzobel: Na ja, für das Selbstbewusstsein wäre das Tor schon schön gewesen. Deutschland ist ja der sogenannte Erzfeind…

Sie selbst haben geschrieben: Ich mag sie nicht, die Deutschen. Haben Sie da ein privates oder ein Österreich-Gefühl ausgedrückt?

Franzobel: Das ist ein Österreich-Gefühl. Es hat sich geändert, aber meine Generation ist damit aufgewachsen, dass die Deutschen die Bösen sind, die auch in der letzten Minute immer noch das entscheidende Tor schießen.

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Wie wird aktuell die deutsche Nationalmannschaft gesehen? Sie verwandelt mittlerweile ja sogar 4:0-Führungen in ein 4:4, wie gegen Schweden…

Franzobel: Ich glaube, dass die deutsche Nationalmannschaft seit der WM 2006 als viel sympathischer wahrgenommen wird. Es gibt auch viel mehr junge Menschen hier, die Deutschland-Fans sind. Das hat es vor 20 Jahren noch nicht gegeben. Da konnte Deutschland gegen Albanien spielen. Und ganz Österreich war für Albanien. Andererseits: Man freut man sich doch auch immer noch, wenn Deutschland nur Zweiter wird…

Auch in dieser Hinsicht kann sich doch niemand in Österreich beschweren. Kein Titel für die Nationalelf seit der EM 1996…

Franzobel: Ich denke, das kommt nicht unsympathisch rüber…

Trainer Marcel Koller und die österreichische Nationalmannschaft 

Auch Österreich wirkt mittlerweile sehr diszipliniert. Wohl weil der Trainer Ausländer ist, Marcel Koller, ein Schweizer…

Franzobel: Man hat das Gefühl, dass die Spieler jetzt wissen, was sie zu tun haben. Von daher tut Marcel Koller der Mannschaft gut. Auch wenn es eine Weile gedauert hat, bis er sich gegen diesen Klüngel der ehemaligen Cordoba-Nationalspieler durchsetzen konnte.

Diese Helden vom 3:2-Sieg gegen Deutschland bei der WM 1978 in Argentinien spielen in Österreich noch immer eine große Rolle?

Franzobel: Ja. Der Herbert Prohaska ist nach wie vor beim Fernsehen, der Hans Krankl schreibt seine Kolumnen…

Vor dem Spiel im September war in der Zeitung „Kurier“ zu lesen: „Cordoba liegt wie ein vergammelter Knödel in der Vitrine.“ Könnten Sie dieses seltsame österreichische Sprachbild erklären?

Franzobel: Das ist eine Erfindung des Redakteurs. Wahrscheinlich hat er Ball und Knödel verbunden, ein Ding, das man schwer aus der Vitrine herausbekommt. Dabei handelt es sich um den Pawlowschen Reflex in Österreich: Wenn Deutschland kommt, dann ist Cordoba wieder präsent. In Deutschland hat das keinen Stellenwert, aber in Österreich wird das zelebriert. Es wird immer wieder der Held von Cordoba, der Hans Krankl, aus dem Wachsfigurenkabinett geholt.

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Wahrscheinlich war sich Marko Arnautovic der Bedeutung seines Fehlschusses deshalb so bewusst. Er hat gesagt: „Ich will Entschuldigung sagen an das ganze Land.“

Franzobel: Ich glaube, der Marko Arnautovic hat ohnehin einen sehr schweren Stand. Weil er einerseits ein begnadeter Fußballer ist und große Erwartungen weckt, aber andererseits auch eine Diva, die sich immer wieder für Außenstehende unverständliche Eskapaden leistet.

Österreich scheint historisch über eine besonders große Population an Diven zu verfügen…

Franzobel: Etwas sehr eigenes, etwas zum Wahnsinn neigendes ist dem Österreicher wohl nicht abzusprechen. Das gibt es auf allen Ebenen. Im Fußball. In der Literatur.

Sie sind als Literat ein bekennender Freund des Fußballs. Wie kommt das an?

Franzobel: Da hat sich auch viel geändert. Es gibt mittlerweile viele Autoren, die sich zu ihrem Fußballfandasein ausdrücklich bekennen. Früher war das für Intellektuelle ein absolutes No-go, ein Geht-nicht.

Dann können wir weiter machen. Zuletzt gab es für Österreich ein 2:1 gegen Schweden. Die Qualifikation für die WM ist möglich. Wie werden Sie das Spiel am Freitag erleben?

Franzobel: Auf jeden Fall nicht in Griechenland. Ich glaube, wir sollten schnell in Rückstand geraten, um Deutschland in Sicherheit zu wiegen, so, wie die Schweden das gemacht haben. Dann könnten wir in den letzten zehn Minuten zuschlagen.