Gelsenkirchen. Eine Podiumsdiskussion in Gelsenkirchen fragte nach dem „Mythos Ruhr” in der Kulturhauptstadt, und Symbolfiguren sagten ihre Meinung zum Thema Ruhr.2010 - von Sönke Wortmann über Jürgen Lodemann und Anselm Weber bis zu Marie-Luise Marjan.

„ückau” steht auf dem Dia über der Bühne, darüber kreuzen sich Hammer und Schlegel. So verkürzt kann das wackere „Glückauf” schon irritieren: Kulturhauptstadt ohne Anfang und Ende? Die Kulturhauptstadt, soviel steht fest, das muss das ganze Revier sein. Aufklärung und Denkanstöße können da nicht schaden; in Gelsenkirchen diskutierten deshalb Symbolfiguren aller Art. Regisseur Sönke Wortmann, Museumsdirektor Ulrich Borsdorf, Schauspielerin Marie-Luise Marjan, Autor Jürgen Lodemann, Intendant Anselm Weber. Und Fritz Pleitgen fragte nach dem Mythos Ruhr.

Maloche, Feuer und Fußball

"Die Kulturhauptstadt wird ein faszinierendes Angebot für alle, wir müssen nur losmarschieren und es machen!”, findet Marie-Luise Marjan. Foto: Getty Images © Getty Images

Borsdorf macht es wissenschaftlich. „Mythen haben ein beschränktes Verhältnis zur Wirklichkeit.” Maloche, Feuer und Fußball als säkulare Religion seien Facetten dieses Mythos, sagt er, und fügt den hinreißenden Satz hinzu: „In Wirklichkeit wurde die Region im 11. Jahrhundert vom Essener Damenstift wach geküsst.”

Frau Marjan übernimmt den emotionalen Part. „Ach Hanni, datt kann ich nich”, habe ihr Vater geklagt, als er mit dem Rucksack los sollte, hamstern. Er sei scheu gewesen, ihr Vater, ein Ruhrmensch eben, ein Gutmensch; scheu und hilfsbereit.

Jürgen Lodemann poltert vom „Negativmythos Pottsprache” und erinnert daran, dass einer von Xanten hergezogen sei – „das habt ihr ja eingemeindet” – um das Schmieden zu lernen; später sei der verhängnisvollste Schmied der Geschichte an die Ruhr gekommen und habe hier seine bescheidene Villa gebaut.

Ein angenehmer Mangel an Euphorie

Sönke Wortmann mag die Region nicht Pott nennen: „Der Pott stand früher bei uns unterm Bett.”  Foto: Ulrich von Born
Sönke Wortmann mag die Region nicht Pott nennen: „Der Pott stand früher bei uns unterm Bett.” Foto: Ulrich von Born © uvb / NRZ

Es ist ein angenehmer Mangel an Euphorie, den dieses Podium ausstrahlt; stattdessen zeigen sich solide Zuversicht und der handfeste Wille, dass 2010 ein Erfolg wird. Wie steht das Revier da, was muss es werden? Weber sagt: „Wir müssen eine Atmosphäre schaffen wie in Berlin, dass die Leute sagen: Da wollen wir hin, da wollen wir leben.” Lodemann versteigt sich zu der Behauptung, das Ruhrgebiet sei zu komplex, als dass es Literatur hervorbringen könne, pottdreckig sei es zudem; „das schreit nach Kriminalroman, weil hier so viel passiert!”

Pott – da werden Seelen zu Hyänen. Borsdorf akzeptiert das Wort, wenn es von innen kommt, Auf Schalke. Sönke Wortmann mag es nicht: „Der Pott stand früher bei uns unterm Bett.” „Metropole Ruhr”, Lieblingswort der Ruhr.2010, findet er auch nicht gut: „Man muss sich nicht größer machen, als man ist.”

Etwas Neues vornehmen für 2011

Vom Mythos kommt man zwangsläufig aufs Geld. Weber erzählt von den Zumutungen, die die Finanzlage hervorbringt; als künftiger Bochumer Intendant sei er gefragt worden, ob er nicht das Theater Essen mitleiten könne, oder das in Dortmund. Lodemann sagt unter Applaus: „Es fehlt Geld, obwohl hier Weltfirmen ansässig sind. Wenn 2010 scheitern sollte, dann schädigt das auch den Ruf dieser Firmen, das sollten die sich klarmachen.”

Schlussworte? „Die Kulturhauptstadt wird ein faszinierendes Angebot für alle, wir müssen nur losmarschieren und es machen!” ruft Frau Marjan. Weber mahnt Optimismus an: „Wir dürfen nicht rumlaufen wie die Lemuren: Ach, ob das was wird . . .” Borsdorf aber denkt weiter: „Lassen Sie uns in Projekten denken statt in Institutionen. Wir sollten uns etwas Neues vornehmen für 2011.”

„ückau” steht immer noch über der Bühne. Kulturhauptstadt – der Anfang im Dunkel und das Ende weit weg.