Essen. Nölende Skepsis im Pott: dass Ruhr und Kultur zusammengehören, wird von vielen belächelt. Dabei wird die Wichtigkeit des Projektes Ruhr.2010 für die Region nicht verstanden. Die Kulturhauptstadt macht Industriegelände zu Kunst- und Erlebnisräumen. Aber nicht alle Projekte sind gesichert.

Alle reden vom Geld, die Kulturhauptstadt auch. Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig; dabei spricht sie viel lieber über ihre Erfolge.

Das ist nicht einfach, denn getreu der alten Ruhrgebiets-Mentalität, die sich selbst mehr misstraut als anderen, herrschen Zweifel und nölende Skepsis statt aufgekratzter Vorfreude. Dass Kultur und Ruhr zusammengehören, wird mancher noch belachen, wenn die Neujahrsraketen 2011 schon zischen, und ein paar Oberschlaue, die sich um nichts gekümmert haben, werden sagen: Siehste, war nix.

Geist des Aufbruchs, der Zuversicht und der Begeisterung

Die Kulturhauptstadt 2010 hat es schwer: Weil sie einen Geist schaffen will, den sie für ihr Gelingen noch vor dem Start braucht. Einen Geist des Aufbruchs, der Zuversicht und der Begeisterung. Wo er schon da ist, entwickelt er großartige Ideen, und sie sind, so sehr die kulturellen Lager auch jaulen, weder einseitig elitär noch stramm populistisch. Neben dem großartigen Kompositionswerk Hans-Werner Henzes steht die schöne, alle umarmende Idee eines Singtags im Juni, mit Gesangvereinen, Kirchenchören, Laien und Profis.

Neben solchen flüchtigen Projekten gibt es erfreulich viele, die beinhart auf Zukunft kalkuliert sind. Nachhaltigkeit heißt das dann und meint dauerhafte Touristenströme; oder mehr Lebensqualität für diejenigen, die dort wohnen.

„Emscherinsel” ist so ein ehrgeiziges Projekt. Es nennt sich auch, leicht provokant, „Emscherkunst” und bedeutet, dass die Renaturierung des schäbigen Industrieflusses nicht nur für Pflanzen und Tiere Raum schafft, sondern auch für Menschen. Industriebrachen werden zu Wohn- und Grünflächen, und Ruhr 2010 vollendet die Umwandlung mit einer Kunstsammlung unter freiem Himmel – 20 Skulpturen und Installationen entstehen zwischen Oberhausen und Castrop-Rauxel, auf einer Strecke von 34 Kilometern; mit dem Fahrrad erreichbar, kostenlos – ein Projekt vor allem für diejenigen, die hier leben. Und es entsteht Erstaunliches. Der Niederländer Piet Oudolf, der die Gärten für Ground Zero plant, macht aus den Klärbecken in Bottrop-Ebel eine Parklandschaft – einen versunkenen Garten teils auf, teils unter Wasser.

Zweite Stadt unter Tage

Für die Außenhülle des Faulturms am stillgelegten Klärwerk in Herne baut Silke Wagner ein 60 Meter langes Wandmosaik, das die Arbeiterproteste im Ruhrgebiet von 1889 bis 2007 thematisiert. Und für die „Wilde Insel” an der Schleuse Gelsenkirchen entsteht ein „singender Fels” am Wegrand: man hört ihn, wenn man das Ohr daran legt.

„Emscherkunst” ist ein vorbildliches Projekt; es gibt der Region ein neues Gesicht, wo es am nötigsten ist. Und es ist komplett gesichert: Die Finanzierung schafften Emschergenossenschaft und Regionalverband Ruhr, Land NRW und Kulturhauptstadt gemeinsam.

Auf Zukunft angelegt, aber ungleich spektakulärer ist „Die Zweite Stadt”, die unter Tage auf Zeche Zollverein in Essen entstehen soll – wenn die fehlenden 500 000 Euro zusammen kommen. Eine fast lächerliche Summe angesichts der Attraktivität des Plans, Grubenfahrt und Kunsterlebnis zu verbinden: In 1000 Metern Tiefe sollen die Besucher einfahren, einen Rundgang durch den Streckenverlauf machen und eine Installation von Olafur Eliasson erleben.

Projekt der Superlative

Dass sie vor der Einfahrt in der Kaue eingekleidet werden; dass sie im Förderkorb an alten Füllörtern vorbei in die Tiefe sausen – es wird nicht nur Kindern gefallen. Und zum Schluss gibt's Kunst, was auch nicht schaden kann.

Eliassons „Projekt der Superlative”, vier künstliche Wasserfälle im East River in New York im vergangenen Sommer, brachte der Stadt übrigens 55 Mio Dollar durch zusätzliche Touristen ein. Aber das nur nebenbei.

„Die Zweite Stadt” vereint viele Reize: Erstens ist das Weltkulturerbe Zollverein an sich einen Besuch wert. Zweitens kann man nirgendwo sonst 1000 Meter tief in ein Besucherbergwerk einfahren. Und drittens gibt es beim Rundgang unter Tage etwas zum Staunen: eins der größten Wasserpumpwerke Europas.

Genau durchkalkuliert

Das Projekt wurde von einem Expertenbüro durchkalkuliert und für gut befunden: Je nach Künstler werden bis zu 400 000 Besucher jährlich erwartet, bei Eliasson könnten es sogar 600 000 sein.

Die Programmgestalter sind guten Mutes, dass die Eröffnung im Oktober 2010 stattfinden kann. Zur Zeit werden sicherheitstechnische Fragen geklärt, das Land hat finanzielle Hilfe zugesagt, und jetzt werden Gespräche mit der RAG-Stiftung geführt – auch, damit der Betrieb dauerhaft gesichert werden kann.