Essen. Das Maß aller Dinge für die Kulturhauptstadt 2010 sind die ehemaligen Industriestädte Liverpool und Glasgow - am Freitag gibt die Ruhr.2010 GmbH in der Essener Philharmonie ihr Programm für das Kulturhauptstadtjahr bekannt. Ein Rückblick auf Tops und Flops der Kulturhauptstädte seit 1988.

Liverpool, die einstige Industriemetropole erlebt eine neue Blüte. (c) AFP
Liverpool, die einstige Industriemetropole erlebt eine neue Blüte. (c) AFP © AFP | AFP





Berlin war übrigens auch mal Europäische Kulturhauptstadt. Das war 1988 – und damals ein derart lokales Ereignis, dass kaum etwas davon über die Stadtgrenzen hinaus drang, von einer Sonderbriefmarke einmal abgesehen. Wenn die Macher der Kulturhauptstadt Ruhr, die morgen in der Essener Philharmonie erstmals ihr gesamtes Programm fürs kommende Jahr vorstellen, am 31. Dezember 2010 eine solche Bilanz ziehen müssten, sie wäre verheerend.

Die Maßstäbe für Ruhr.2010 heißen Liverpool und Glasgow. Als einstige Industriemetropolen brachten sie ganz ähnliche Voraussetzungen mit wie das Revier mit, und als Kulturhauptstädte stiegen sie wie Phönix aus der Asche: Glasgow, die alte Kohle- und Eisen-Stadt Schottlands, verwandelte sich 1990 in eine Kultur- und Kongress-Metropole, etliche Museen entstanden – heute ist Glasgow sogar als Einkaufsstadt ein Renner, fast wie London.

Liverpool - eine Stadt im Aufschwung




Liverpool wiederum bekam in den Mersey Docks ein neues Museum und einen Ableger des Londoner Tate-Museums, setzte aber vor allem auf ein fulminantes Event-Programm voller Stars: 10 000 Künstler zählte man in der Beatles-Stadt – und 15 Millionen Besucher von Kulturereignissen. Touristen sorgten für eine Million Übernachtungen, internationale Reiseführer empfahlen Liverpool an dritter Stelle, gleich nach London und Edinburgh. Und auch die Einheimischen ließen sich locken, drei von vieren hatten am Ende des Jahres ein Museum besucht. Das wichtigste Ergebnis aber war, dass am Ende 80 Prozent aller Befragten Liverpool für eine Stadt im Aufschwung hielten. Der wirtschaftliche Nutzen für die Region Liverpoll wurde auf 800 Millionen Pfund geschätzt – von Liverpool lernen heißt siegen lernen, befand EU-Kommissions-Chef Manuel Barroso: „Es war eines der erfolgreichsten Kulturhauptstadtprogramme, das wir je hatten.”

Importierte Edelkunst

Importierte Edelkunst und Goethe verhalfen Weimar im Kulturhauptstadtjahr nicht zum Durchbruch. (c) ddp
Importierte Edelkunst und Goethe verhalfen Weimar im Kulturhauptstadtjahr nicht zum Durchbruch. (c) ddp © ddp | ddp





Weimar, bislang die kleinste Kulturhauptstadt Europas, wird man nicht unbedingt dazu zählen. Bevor man dort zur Kulturhauptstadt 1999 ein Event-Feuerwerk mit importierter Edel-Kunst abbrannte, wurden zwar der Bahnhof und viele Fassaden der Stadt für Abermillionen restauriert. Einen neuen Namen hat sich Weimar damit aber nicht gemacht. Und trotz eines 60-Millionen-Mark-Etats blieben am Ende 13 Millionen Schulden übrig. Und aus dem zur Eröffnung pompös eingeweihten Neuen Museum zog der Sammler Paul Maenz fünf Jahre später die Kunst wieder ab.

Wahrscheinlich hängt der Erfolg einer Kulturhauptstadt auch am Überraschungseffekt, der in klassischen Kultur-Städten gar nicht gelingen kann – wohl aber in der Provinz oder in Regionen, die zuvor als eher kulturfern galten. Das würde erklären, warum etwa in Luxemburg 2007 trotz eines exzellenten Programms die Zahl der Übernachtungen nur um sechs bis sieben Prozent stieg. Vier Jahre zuvor war dem österreichischen Graz, das nicht ganz so groß wie Gelsenkirchen ist, ein echter touristischer Coup gelungen: mit einem 57-Millionen-Euro-Etat für Groß-Ausstellungen und Auftragswerke von Kulturpromis wie Henning Mankell oder der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid. Der Image- und Besuchergewinn wurde 2003 unterm Strich mit einer „schwarzen Null” im Etat erzielt.

Auf kleiner Flamme




Man kann eine Kulturhauptstadt allerdings auch auf kleiner Flamme fahren wie etwas das irische Cork, in dem nach der Eröffnungsfeier das ganze Jahr 2005 über nichts Spektakuläres geschah. Oder wie das norwegische Stavanger, das 2008 fand, man müsse keine Stars in die Stadt importieren, die 120 Veranstaltungen, aus denen die europäische Blechblasmeisterschaft herausragte, bekam man überwiegend mit eigenen Kulturkräften über die Bühne gebracht – kein Wunder, dass im Etat von umgerechnet 30 Millionen Euro am Ende noch so manche Krone übrigblieb. Der Effekt war allerdings, dass sich selbst im eigenen Land kaum jemand für die Kulturhauptstadt interessierte.

Aber das kann für Ruhr.2010 wohl kaum der Maßstab sein.