Ruhrgebiet. Applaus oder Buh, leeres Parkett oder volle Hütte: Wie war die Saison in den Theatern des Ruhrgebiets? Unsere Tops und Flops auf der Bühne.

Bochum, national gefeiert - mit Lücken im Parkett

Eine der besten Produktionen des Schauspiel-Jahrgangs an der Ruhr: „Trauer ist das Ding mit Federn.“ Unser Bild zeigt Risto Kübar, Alexander Wertmann und Jing Xiang.
Eine der besten Produktionen des Schauspiel-Jahrgangs an der Ruhr: „Trauer ist das Ding mit Federn.“ Unser Bild zeigt Risto Kübar, Alexander Wertmann und Jing Xiang. © @ Joerg Brueggemann / OSTKREUZ | Joerg Brueggemann / OSTKREUZ

Von Bochum zu berichten, heißt nur begrenzt Neues aufzuschreiben. Zwar scheint der Kurs Richtung Publikum etwas zugewandter, aber die Kluft zwischen national zuverlässig applaudierender Kritiker-Kaste und den besetzen Plätzen allabendlicher Aufführungen bleibt.

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Das betrifft selbst die warmherzigsten Regie-Arbeiten dieser Schauspiel-Saison, zu denen man „Trauer ist das Ding mit den Federn“ gewiss zählen darf. Da klafften kräftig Lücken im Parkett. Dass er nicht aufhört zu testen, was geht an diesem Traditionshaus, sollte man Intendant Johan Simons nicht vorwerfen, auch wenn ihm bis heute das letzte Fingerspitzengefühl dafür fehlt, wie Bochum tickt. Er begeisterte auf seine Weise mindestens zwei Mal. Raumübergreifend kühn durchs ganze Theater beim Marathon zu den Brüdern Karamasow und charmant in schwerelosem Nonsens mit Ionesco. Doch auch schwache Abende musste man in Bochum nicht mit der Lupe suchen, ein fader Don Juan liegt weit vorn und die Produktion „100 Prozent peruanisch-amazonisches Haar“  war szenisch die reine Überflüssigkeit.

Essen: Nicht nur Goldfunde auf der Baustelle Grillo-Theater

Überladen und  kaum gelungen: „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Liebe“ von Bertolt Brecht, zählte 2023/24 nicht zu den Glanzstücken des neuen Leitungsgespanns am Grillo-Theater.
Überladen und kaum gelungen: „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Liebe“ von Bertolt Brecht, zählte 2023/24 nicht zu den Glanzstücken des neuen Leitungsgespanns am Grillo-Theater. © TuP Essen / Nils Heck | Nils Heck

Essens erstes Intendantinnen-Duo hat seine Eröffnungs-Spielzeit bekanntlich selbst eine Baustelle („under construction“) genannt. Da wird es Christina Zintl und Selen Kara vielleicht nicht einmal wundern, dass sie nicht mit jedem Bühnen-Bagger auf eine Goldader funkelnder Kunst gestoßen sind. Die ganz große Offenbarung blieb aus in einer Stadt, die stolz sein kann auf ihr extrem theatertreues Publikum. Aber die Auffälligkeit (oder nennen wir es Markenzeichen?), den Originalen wenig zu trauen und in extremen Neudeutungen oder Überschreibungen sein Heil zu suchen, hat sich von Goethe (Doktormutter Faust) über Büchner bis Brecht (Der gute Mensch von Sezuan) in der endenden Spielzeit nicht als der ganz große Coup erwiesen. Ob da ein „weiter so!“ gut ist? Auch 24/25 planen die Intendantinnen sehr eigene Zugriffe auf Klassiker wie „Peer Gynt“ und „Hamlet“. Im Gegenzug holt Kara einen zehn Jahre alten Blockbuster zurück, der die gefährdete Auslastung speisen dürfte wie das Weihnachtsmärchen: Ihre alte Bochumer Inszenierung von „Istanbul“ wird als Multikulti-Boulevard mit Tiefgang und Musik reichlich Plätze im Grillo-Theater füllen.

Dortmund: Im tiefen Tal der Erfolglosigkeit

Theater Dortmund, So sah die Saalbuchungvon Ibsens „Volksfeind“ aus, unser Screenshot enstand nur wenige Tage vor einer Aufführung. Allein die grauen Plätze sind verkauft!
Theater Dortmund, So sah die Saalbuchungvon Ibsens „Volksfeind“ aus, unser Screenshot enstand nur wenige Tage vor einer Aufführung. Allein die grauen Plätze sind verkauft! © Theater Dortmund | Screenshot

Dortmund Schauspiel hält sein niederschmetterndes Alleinstellungsmerkmal: Leergespieltes Theater erhält von irrenden Politikern Szenen-Applaus. Das selbst bei Shakespeares „Was ihr wollt“ an vielen Abenden das kleinste Schauspielhaus des Ruhrgebiets seine Sitze nicht einmal zur Hälfte gefüllt bekommt, hat für Intendantin Julia Wissert keine Konsequenzen. Man fudelt künstlerisch halbgar vor sich hin, von Ibsens „Volksfeind“ nicht ein Haar an Qualität übrig zu lassen, bringt der Produktion unsererseits den Titel „Flop der Saison“.

Tiefpunkt der Schauspiel-Saison an der Ruhr: die Keimparade in „Ein Volksfeind“ am Schauspiel Dortmund. Regie führte Babett Grube.
Tiefpunkt der Schauspiel-Saison an der Ruhr: die Keimparade in „Ein Volksfeind“ am Schauspiel Dortmund. Regie führte Babett Grube. © Theater Dortmund / Birgit Hupfeld | Birgit Hupfeld

Lichtblicke sind rar, nicht einmal das Etikett Musical zog über die Spielzeit, in der die Hausherrin einmal mehr kein Vorbild war: Wisserts großtönend angepriesene Neufassung vom „Ring des Nibelungen“ ließ den Zuschauerraum an vielen Abend vor Leere gähnen. Selbst national wird das Elend registriert: Die Süddeutsche Zeitung widmete der grausigen Lage unlängst eine große Geschichte - und machte kürzlich einen Stichprobenbesuch in Wisserts „Ring“. An dem Abend verloren sich laut SZ „36 Zuschauerinnen und Zuschauer in einem Auditorium, dass 500 Leuten Platz böte - eine Auslastung von 7,2%“. Stadtdirektor und Kulturdezernent Stüdemann aber preist seine Intendantinnen-Entdeckung unverdrossen. Dortmunds größte Tragikomödie findet eindeutig nicht auf der Bühne statt, sondern im Rathaus.

Oberhausen, Zaubern mit Gegenwartsdramatik

Oberhausen überraschte mit einem deftigen Gender-Schwank. Bild aus der Trans-Revue „The Legend of Georgia McBride“.
Oberhausen überraschte mit einem deftigen Gender-Schwank. Bild aus der Trans-Revue „The Legend of Georgia McBride“. © Karl Forster | karl forster

Zum Abschiedsinterview mit uns hatte Florian Fiedler, Intendant von Oberhausen, 2022 nebenbei so etwas gesagt wie: Dieses Schauspiel deutlich erfolgreicher zu machen, das könne vermutlich nur ein Zauberer. Nicht, dass wir Kathrin Mädler hier schon als Copperfield aus dem Hut ziehen, aber mit der Nachfolgerin ist in den letzten zwei Jahren klar ein Ruck durchs schwächelnde Haus gegangen. Die ganze Atmosphäre, die freudige Erwartung im Publikum in einer ganz normalen Repertoire-Aufführung, das sind gute Zeichen. Rappelvoll ist das Stadttheater immer noch nicht, aber es läuft deutlich besser. Das ist umso beeindruckender, da Mädler in charmanter Dickköpfigkeit nicht abweicht, auf lauter zeitgenössische Dramatik zu setzen. Da waren von „Die Brücke von Mostar“ bis zum „Antrag auf größtmögliche Entfernung von Gewalt“ starke Stücke unterwegs, aber auch kunstvoll in der kleinen Form zeigte sich das Haus am Quadflieg-Platz, etwa mit Gerburg Jahnkes „Zwei halbe Leben“. Und Boulevard ist auch nicht verboten, wie die deftige Trans-Revue „The Legend of Georgia McBride“ zeigte. Unser ceterum censeo, dass so einem (respektablen) Ensemble auch ein Kleist oder Schiller mal gut täte, wird eventuell bis zum Ende der Ära Mädler ungehört verhallen. Auf dem aktuellen Niveau des Theaters wäre das auszuhalten.

Mülheim: Festspiel-Konstrukt statt Grundversorger

Alter Meister: Mit gleich zwei beeindruckenden Regie-Arbeiten glänzte der Gründer des Theaters an der Ruhr, Roberto Ciulli. Szene aus „Der wilde Harlekin“.
Alter Meister: Mit gleich zwei beeindruckenden Regie-Arbeiten glänzte der Gründer des Theaters an der Ruhr, Roberto Ciulli. Szene aus „Der wilde Harlekin“. © Franziska Götzen | Franziska Götzen

Wer sich je mit Statistik beschäftigt hat, weiß, wie wenig sie über Theaterauslastungen sagt. Da zählt die gut besuchte Kunst-Party bei freiem Eintritt gleich viel wie ein möglicherweise schwach besuchter Abend mit höchsten Ansprüchen. Von sich selbst sagt Mülheims Theater an der Ruhr, sein völlig neues Konzept sei in der ersten Spielzeit der reine Erfolg gewesen. Es wäre diesem besonderen Haus zu wünschen. Dort hatte man 2023/24 vom regelmäßigen Repertoirebetrieb auf zeitlich begrenzte Festspiele umgeschaltet. Ein Kulturbruch. Die „drei interdisziplinären Theaterinseln“ zum Thema Rausch waren „zu knapp 80%“ ausgelastet, heißt es vom Raffelberg, wo Altmeister Roberto Ciulli (nunmehr 90 Jahre alt) mit Variationen zu Antonin Artaud begeisterte. Dass das Haus traditionell mehr Fragen als Antworten bietet und bildersatte Inszenierungen durchaus als Rätsel versteht, wird von Theaterchef Philipp Preuss lustvoll weiterverfolgt, wie nicht zuletzt sein Amphitryon zeigte.