Oberhausen. Kathrin Mädler leitet ab dieser Spielzeit das Theater Oberhausen. Sie will neue Werke und „große Geschichten“ präsentieren. Ein Interview.

Der Versuch, ihr einen Steckbrief zu entlocken, endet in herzhaftem Gelächter: „Größe 184, Lieblingstier Pferd, Lieblingsfarbe Schwarz oder Oberhausen-Rot“, sagt Kathrin Mädler vergnügt. Auf „Mein schönstes Ferienerlebnis“ verzichtete Lars von der Gönnas Fragebogen. Es ging ja um etwas von Gewicht: Mädler wird Oberhausens neue Theaterintendantin – ein Gespräch.

Lieblingstiere sind nicht ganz so wichtig fürs Theatermachen, aber was würden Sie als „Meine größte Stärke“ nennen?

Kathrin Mädler: Energie und Leidenschaft für das Theater!

Und die größte Schwäche?

Gibt viele! „Ungeduld“ ist so die klassische Antwort für Bewerbungsgespräche, weil sie ja auch ‘ne Stärke ist.

Ich hab Ihnen ein Zitat mitgebracht. Hören Sie mal: „In Oberhausen Theater zu spielen, ist nicht leicht, die Schicht der spontan oder herkömmlich Interessierten ist dünn; von den 265.000 Einwohnern des unvollkommenen Stadtgebildes arbeitet ein großer Teil hart. Die Unterhaltungsapparate mit ihren gröberen Reizen wirken da attraktiver“...

(Stille)

Ich sag Ihnen die Quelle: „Theater heute“, vor genau 60 Jahren. Manches stimmt immer noch: Kunst zu machen, die man selber will, und die zugleich die Herzen anderer gewinnt, ist nicht leicht. Wie haben Sie sich aufs Ruhrgebiet vorbereitet?

Ich versteh’ Theater immer als Größe, die überhaupt nur im Austausch mit dem Publikum funktioniert. Ich muss Lust mitbringen, erst recht muss ich sie wecken. Also nimmt man, so hab ich es auch hier gemacht, eine Spur auf, versucht herauszufinden, wie die Menschen ticken, die man erreichen will. Aber: Eine erste Spielzeit ist immer nur eine Annäherung an diesen Austausch.

Haben Sie ein Gefühl für Oberhausen bekommen?

Wenn man ehrlich ist: Das kann man erst aufbauen, wenn man da ist. Das beginnt jetzt.

...mit einem kühnen Spielplan, es wuchert vor unbekannten, neuen Werken, nicht unbedingt ein Garant für Zustrom in einem Haus, das ohnehin sein Publikum sucht.

Sie haben schon recht, es wimmelt nicht von großen Klassikern oder großen Komödien, viele Titel sind nicht bekannt. Aber so ein Spielplan lebt auch stark von dem, was man selber mitbringt, woran man im Theater glaubt, und von der Leidenschaft, von der man hofft, sie aufs Publikum übertragen zu können. Ich muss bei jedem Stück wissen, warum es jetzt gespielt wird, politisch, gesellschaftlich, emotional. Das kann ich auch für jede unserer Uraufführungen sagen.

Starke Frauen: „Antigone“ in einer Inszenierung von Kathrin Mädler für das Landestheater Schwaben.
Starke Frauen: „Antigone“ in einer Inszenierung von Kathrin Mädler für das Landestheater Schwaben. © MONIKA FORSTER

Jeder Intendant, den ich bei Amtsantritt traf, lobte die spezielle Schönheit des Ruhrgebiets, aber oft so, als habe er sich gerade mal kurz im Baedeker das Kapitel Montanindustrie durchgelesen. Ich sah da die Gefahr der Anbiederung.

Es kann ziemlich peinlich wirken, wenn man anreist, und glaubt, den Menschen hier die Industriekultur oder Arbeitskultur erklären zu müssen. Noch größer ist die Gefahr der Unterschätzung, es gibt nichts Schlimmeres gegenüber einem Publikum. Taktische Spielpläne, weil man etwa glaubt, das Publikum brauche hier dies oder jenes, funktionieren meist nicht. Damit unterfordern wir uns alle.

„Gute Hoffnung“ ist Ihr Spielzeit- Motto. Gibt es zentrale Themen?

Worum wir als Thema derzeit im Theater ganz bestimmt nicht herumkommen, ist die soziale Schere, die sich durch Corona noch mehr geöffnet hat, und gesellschaftliche Chancengleichheit auf allen Ebenen. Das spiegeln viele Stücke, teils dramatisch, aber andere auch mit Humor und Leichtigkeit. Gute Hoffnung ist für mich ein zaghaft optimistisches Zugehen auf eine sicher nicht leichte Zukunft.

Wörtlich haben Sie beim Amtsantritt auf „große Geschichten“ gesetzt. Ich habe den Eindruck, dass das Publikum die sehr herbeisehnt und mit performativen Rätselspielen nicht allein ernährt werden kann.

Wir glauben total an die großen Geschichten, gleichauf mit der starken Poesie, die Theater braucht. Aber der Motor ist für mich vor allem Zeitgenossenschaft: wirklich die fühlbare Auseinandersetzung mit dem Moment.

Dennoch: Sinnlichkeit oder Unterhaltung dürfen doch keine Schimpfworte auf dem Theater sein.

Theater ohne große Sinnlichkeit, ohne eine starke Ästhetik ist für mich nicht denkbar, erst recht eine starke Emotionalität, die mich als Zuschauer zu den Themen mitnimmt. Unser die Saison eröffnender Liederabend ist da, denke ich, eine sehr warmherzige Offerte.

„Die Jungfrau von Orleans“, ebenfalls von Kathrin Mädler in Szene gesetzt.
„Die Jungfrau von Orleans“, ebenfalls von Kathrin Mädler in Szene gesetzt. © Monika und Karl Forster

Apropos Offerte, Sie strahlen eine extrem satte Energie aus. Was ist Ihre Quelle in einem Beruf, der durchaus eine (selbst-)ausbeuterische Dimension hat?

Für mich selber hat es nichts Ausbeuterisches; die Energie, die ich ins Theater hineinstecke, kriege ich aus meiner Sicht vielfach zurück. Wirklich: Auch nach so vielen Jahren empfinde ich es als großen Luxus, das im Leben machen zu dürfen, was ich am liebsten mache – und was ich machen würde, auch wenn ich nicht dafür bezahlt würde.

Was, nach der Kunst, lieben Sie am Theater besonders?

Das Gemeinschaftswerk. So viele Menschen verschiedenster Kompetenzen arbeiten an einer Sache, bringen die zum Leuchten. Nennen Sie es kitschig, aber das hat für mich eine große Kraft und Magie!

War Ihr Aufstieg am Theater ein Durchbeißen oder viel Glück?

Da sind wir fast bei einem feministischen Thema (lacht). Frauen sagen gern, dass sie „Glück gehabt“ haben, Männer hingegen sehen Erfolge als ihre Verdienste an. Nein, Durchbeißen finde ich bei mir zu negativ, aber es gab immer Momente, in denen ich bewusst entschieden habe, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen.

Nerve ich Sie, wenn ich schreibe, dass Sie Oberhausens erste Intendantin sind?

Nee, (lacht), ich stelle mich grundsätzlich gern zur Verfügung, wenn Journalisten Frauen in Führungspositionen thematisieren. Der Weg zur Chancengleichheit ist noch weit. Stimmt: Frauen haben im Moment bessere Karten bei Bewerbungen, aber der Großteil der Netzwerke am Theater ist männlich dominiert. Intendantinnen gibt es kaum mehr als 20 Prozent. Um es ironisch zu sagen: Wenn wir an dem Punkt sind, wo gleich viele Nieten in unserer Gesellschaft auf Spitzenposten sitzen, haben wir vielleicht den Gleichstand erreicht (lacht herzlich). Im Ernst: Wenn mehr Frauen in den Führungspositionen an Theatern sind, ohne dass sie erklärte Feministinnen sein müssen, wird es einfach automatisch zu anderen Geschichten kommen, zu anderen Besetzungen und anderen Persönlichkeiten im Theater.

Zur Person

Die Osnabrückerin Kathrin Mädler (Jahrgang 1976) hat Leitungserfahrung. Seit 2016 stand sie als Intendantin an der Spitze des Landestheaters Schwaben, eine jener Bühnen, die zwar einen festen Stammsitz haben, aber eine ganze Region mit Gastspielen versorgen.

Mädler hat seit Juni 2019 gemeinsam mit Hasko Weber den Vorsitz der „Intendant*innengruppe“ im Deutschen Bühnenverein inne.

Nach Studien der Theaterwissenschaft in München und US-Stationen in Cincinnati, Ohio sowie Kalifornien führte sie ihre Doktorarbeit wieder zurück an die Isar.