Mülheim. Kleists Komödie neu gelesen: Philipp Preuss inszeniert im Theater an der Ruhr. Die Premiere erntet Beifall, aber auch Ratlosigkeit.

Die verwirrend in Frage gestellte eigenen Identität steht im Mittelpunkt von Heinrich von Kleists Komödie „Amphitryon“. Philipp Preuss hat die Verwirrung für das Mülheimer Theater an der Ruhr auf die Spitze getrieben. Er schickt nicht nur Amphitryon und seinen Diener Sosias in mehrfacher Ausführung auf die Bühne. Auch die Frauenfiguren Alkmene und Charis erscheinen bei ihm – anders als im Original – gleich mehrfach.

Feldherr Amphitryon kehrt aus dem Krieg zurück. Er freut sich auf das Wiedersehen und eine Liebesnacht mit seiner Frau Alkmene. Doch die ist irritiert. Er sei doch letzte Nacht schon da gewesen. Und auch Sosias ist verwirrt. Er trifft auf jemanden, der behauptet selbst der Sosias zu sein und der ihn nicht ins Haus lässt. Tatsächlich hat in Kleists Stück der Gott Jupiter den Feldherrn gedoppelt und sich in seiner Gestalt in dessen Haus und Bett geschmuggelt. Götter-Kollege Merkur hat die Figur des Sosias für seinen Ausflug in die Welt der Sterblichen gewählt.

Premiere „Amphitryon“ im Theater an der Ruhr: Applaus und virtuoses Spiel, aber auch Ratlosigkeit

Es beginnt ganz klassisch. Sosias tappt ängstlich durch die Nacht und wird von Merkur, der behauptet, Sosias zu sein, aufgehalten. Felix Römer spielt diese Szene allein mit starker Stimme und Körpersprache. Was danach kommt, ist ein Spiel mit Perücken, Kostümen und mit einem originellen Einsatz von Videotechnik. Hier zählen Timing und Bewegungs-Choreografie mehr als individuelle Schauspielkunst.

„Wer bin ich?“ steht als große Frage über Philipp Preuss‘ Lesart des „Amphitryon“ in Mülheim. Die Schauspieler sind nicht in  festen Rollen zu sehen.
„Wer bin ich?“ steht als große Frage über Philipp Preuss‘ Lesart des „Amphitryon“ in Mülheim. Die Schauspieler sind nicht in festen Rollen zu sehen. © Franziska Götzen | Franziska Götzen

Das Eingreifen der Götter führt nicht nur bei Amphitryon und Sosias zur Frage „Wer bin ich?“. Auch Charis und vor allem Alkmene fühlen sich betrogen, und verwirrt von Schein und Sein. Konsequent lässt Preuss sein fünfköpfiges Ensemble nicht in festen Rollen spielen. Auch der Text löst sich von den Sprechenden. Da redet eine Frau mitten im Satz mit einer Männerstimme, während Lippenbewegungen und Mimik völlig normal weitergehen. Noch nicht einmal den Gesichtern kann man trauen.

Philipp Preuss inszeniert Kleists „Amphitryon“ in Mülheim in knappen 90 Minuten

Zusätzlich agiert die Videokünstlerin Konny Keller mit und in dem Ensemble. Sie zeichnet live auf und projiziert die Bilder auf ein verfremdetes Barock-Theater (Bühne: Sara Aubrecht) am Ende des Bühnenraums. Mit dem bewussten Einsatz von Unschärfe, endlosen Verdopplungen weitet sie den Raum ins Unendliche. Ihr gelingen Bilder jenseits der Realität, die wie ein Spiegelkabinett für Lacher sorgen.

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Bei Kleist endet das Stück mit berühmten, vieldeutigen „Ach“ der Alkmene. Preuss wartet mit dem Seufzer nicht bis zum Schluss. Immer wieder intoniert ein Sprechchor die Silbe – mal belanglos, mal bedeutungsschwanger. Aha.

Zum Finale einer 90-minütigen Inszenierung, die vor allem von der Kraft ihrer Bilder lebt, gab es freundlichen Beifall und ein paar ratlose Gesichter.