Bochum. Mit „Trauer ist das Ding mit Federn“ gelingt Regisseur Christopher Rüping in Bochum ein mitreißender Abend. Einigen Zuschauern kommen die Tränen.

Ein kleines Buch über großen Kummer: „Trauer ist das Ding mit Federn“ heißt das literarische Debüt des Briten Max Porter. Auf nur 120 Seiten erzählt er darin die schwer zu Herzen gehende Geschichte einer Familie, die nach dem plötzlichen Tod der jungen Mutter vor dem Nichts steht. Jetzt bringt der hoch gehandelte Regisseur Christopher Rüping den Roman ins Bochumer Schauspielhaus – und er findet atemberaubende Bilder, die noch lange nach dem tosenden Schlussapplaus im Kopf bleiben. Manchen Zuschauern stehen Tränen der Rührung in den Augen.

Christopher Rüping: Premiere in Bochum wird zum Triumph

Dabei ist es eine wirklich spannende Frage, wie der Regisseur es schafft, aus so wenigen Mitteln eine solche Intensität zu zaubern. Die Bühne von Peter Baur ist zu Beginn nahezu leer: Nur ein Stuhl, eine Tube Handcreme, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird, und die für Rüping unverzichtbare Videokamera samt Leinwand stehen hier. Als Vater tritt der Schauspieler Risto Kübar auf, reibt sich nervös die Handflächen, und erzählt: Kurz zuvor war er noch glücklich verheiratet, jetzt muss er sich allein um die beiden Kinder kümmern, denn seine Frau ist nicht mehr da, gestorben nach einem Unfall. Kübar bringt eine schüchterne Schlaksigkeit in diese Rolle und könnte dafür kaum besser gewählt sein.

Ein bedrückendes und doch humorvolles Stück mit wundervollen Bildern: Szene aus „Trauer ist das Ding mit Federn“ mit (von links) Risto Kübar, Alexander Wertmann und Jing Xiang.
Ein bedrückendes und doch humorvolles Stück mit wundervollen Bildern: Szene aus „Trauer ist das Ding mit Federn“ mit (von links) Risto Kübar, Alexander Wertmann und Jing Xiang. © @ Joerg Brueggemann / OSTKREUZ | Joerg Brueggemann / OSTKREUZ

Doch ehe die Szenerie allzu tief ins Melancholische kippt, öffnet sich im hinteren Teil ein Tor, und aus dichtem Nebel tritt: die Krähe. Der sprechende Vogel, von der großartigen Anna Drexler mit sichtlichem Spaß gegeben, nistet sich unter lautem Gekreische in der Wohnung der Familie ein und zieht sogleich genüsslich über sie her. „Die ganze Bude, überall nur tote Mama“, ätzt sie. Vor allem das Leben der beiden Kinder mischt die Krähe mit schamlosen Scherzen gehörig auf. Jing Xiang und Alexander Wertmann spielen das Geschwisterpaar, das zunächst in Trauer vereint scheint und sich schließlich im Zorn immer weiter voneinander entfernt. Beiden gelingen berührende Porträts zweier Heranwachsender, die allen Halt im Leben verloren haben.

Zur Person: Christopher Rüping

Der 38-jährige Christopher Rüping zählt zu den prägenden Theaterregisseuren der jüngeren Generation. Von 2016 bis 2019 war er Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen, wo er seine zehnstündige Inszenierung von „Dionysos Stadt“ realisierte, die unter anderem mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet wurde.

Fünf Mal wurden seine Aufführungen zum Berliner Theatertreffen eingeladen, darunter auch „Das neue Leben“ (2021), seine erste Arbeit am Schauspielhaus Bochum. „Trauer ist das Ding mit Federn“ ist der abschließende Teil seiner Familientrilogie, die mit „Einfach das Ende der Welt“ (2020) in Zürich begann und mit „Brüste und Eier“ (2022) in Hamburg ihre Fortsetzung fand. In der kommenden Spielzeit wird er erneut in Bochum arbeiten.

Schnell wird klar: Rüpings Inszenierung lebt entschieden von der Persönlichkeit ihrer Darsteller. Er nimmt sich eine Menge Zeit, um die Figuren zu formen, ihnen mit der Kamera tief ins Gesicht zu blicken und die todtraurige Geschichte in aller Seelenruhe auszubreiten. Dabei halten sich Schmerz und Komik erstaunlich die Waage: Oh ja, es darf herzlich gelacht werden in diesem Gruselstück! Im improvisierten Gespräch mit dem Publikum, das zu Rüpings liebstem Stilmittel geworden ist, lässt Drexlers Krähe so manchen Kalauer fallen.

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Es ist ein großes Vertrauen auf die Wucht des Wortes, die diese Aufführung auszeichnet. Die Bewunderung vor Max Porters Roman scheint durch jede Ritze. Nur einmal gestattet sich der Regisseur einen emotionalen Ausbruch: Im Kampf mit einem Dämon (Anne Rietmeijer), der dem lethargischen Vater auf die Pelle rückt, fährt die Krähe ihre Krallen aus. Die minutenlange Prügelei, wie einem Splatterfilm entliehen, führt von der Bühne durch die Gänge des Theaters bis zu einer (auf Video vorproduzierten) Tortenschlacht auf dem Dach des Schauspielhauses. Das mag man derb und völlig übertrieben nennen, bringt aber auch etwas dringend benötigte Heiterkeit in einen Theaterabend, der einem nicht selten die Kehle zuschnürt.

Stehende Ovationen.

Dauer: ca. zwei Stunden ohne Pause. Wieder am 20. und 24. März, 6., 10., 14. April. Karten: 0234 3333 5555