Dortmund. Dicke Hose, dünne Ideen. Shakespeare unter Dortmunds umstrittener Intendanz wurde mit Spannung erwartet. Paul Spittler schuf kein Meisterwerk.

Wenn einer in der Weltliteratur keine große Nachhilfe in Sachen Gender braucht, dann William Shakespeare. Bei ihm wurden Frauen von Männern gespielt, er toppte das in seiner wohl schönsten Komödie noch: Da spielte dann ein Mann eine Frau, die sich als Mann verkleidet, um...

„Was ihr wollt“ ist ein grandioses Verwirrspiel um lauter flammende Herzen. Aber diesen Nöte adliger Königskinder (Herzog Orsino hier, die nonnenhaft lebende Gräfin Olivia dort) bietet Shakespeare mit triebgesteuerten Typen die schmuddlige Stirn: Säufer, Tagediebe, Kammerfrauen. Wie geht man 2023 damit um? An Dortmunds Schauspiel mogelt sich Paul Spittler mit modischem Tingeltangel durch den Abend. Tiefere Erkenntnisse sollte niemand erwarten, die tragischen Linien, die jeder Komödie ihre wahre Dimension schenken, geraten ihm schwindsüchtig mager. Umso olympiareifer die Erektionen (Kostüme Thomas Unthan), die Teilen der männlichen Besetzung pausenlos den Degen ersetzen.

„Was ihr wollt“ am Theater Dortmund, Paul Spittlers Regie bringt keinen großen Abend

„Meine Theaterarbeit ist von starker Körperlichkeit, von Exzess und queeren Strömungen geprägt“: sagt Spittler über Spittler. Körperlich ist der Abend in ganz üblichem Umfang (sehr beliebig und ziemlich unterprobt: die Tanzeinlagen des kompletten Ensembles). Exzessiv ist das allenfalls à la Stadttheater und viel queerer als die Vorlage geht ja kaum. Klar, so ein Shakespeare, wie Spittler ihn 125 pausenlose Minuten spielt, geht irgendwie immer. Ein bisschen Lady Gaga, etwas Roy Black, hier ein Kühlschrank, dort ein Feuerlöscher. Am Ende eine Polonaise. Dazu nimmt man dem Narren seine Shakespeare-Verse, um ihn kaum über Abi-Kabarett-Niveau (0-Euro-Ticket, Mindestlohn, CSD-Parade) der Gegenwart den Marsch blasen zu lassen. Die Texte schuf Laura Naumann.

Männer eben: Viet Anh Alexander Tran (Sebastian), Alexander Darkow (Antonio) und  Adi Hrustemović (Andrew Leichenwang) im blödsinnigen Kampf um ritterliche und andere Ehren.
Männer eben: Viet Anh Alexander Tran (Sebastian), Alexander Darkow (Antonio) und Adi Hrustemović (Andrew Leichenwang) im blödsinnigen Kampf um ritterliche und andere Ehren. © Handout | Birgit Hupfeld

Dabei würde Nicole Wytyczaks Bühne für mehr Tiefgang schönsten Raum bieten. Klug mischt sie mit einem Felsenbecken (aus dem die ganze Party-Gesellschaft entsteigt) und per Drehbühne kreisenden Residenzen die Zutaten alten Zaubertheaters mit Projektionen, die unentwegt das Spiel von Schein, (Ab-)Spaltung und Vergänglichkeit illustrieren. Zooey Agros Sounddesign hält da mickymausmunter durchaus Schritt.

Karten für „Was ihr wollt“ kosten 9 bis 23 €

Zu den Figuren dringt Spittler zu wenig vor. Wer sie sind, die den Richtigen im Falschen lieben, was sie antreibt, die „marmorbusige Tyrannin“ (exzellent verkünstelt Linda Elsners Olivia) und den Herzog (Raphael Westermeier, den die Regie als unterbelichtet infantil zeigt), es bleibt unscharf.

Dortmunds Ensemble - Intendantin Wissert musste zuletzt mehrere Abgänge verkraften - zeigt sich nicht durchweg belastbar. Fahl und nahezu nuancenlos Sarah Quarshies Zofe Maria, Antje Prust als weiblicher Narr nervt nur, Nika Mišković steigt als Frau in die Hosen des Säufers Rülp und hat nichts zu bieten als Dauer-Gebölke - alles starke Rollen, hier mit reichlich ungenutzten Chancen. Originell immerhin: den strohdoofen Ritter (B)Leichenwang mal nicht als Waschlappen sondern als dicke Hose vom Dienst zu zeichnen, Adi Hrustemović gibt für die Testosteron-Karikatur saftig Gas. Lorbeer für Ekkehard Freyes Malvolio: Da klopft einer Shakespeares Text (in Thomas Braschs raffiniert doppelbödiger Übertragung) schlichtweg wundervoll auf seinen Reichtum ab - und hebt lauter Wort-Schätze.

Kein komplett verschenkter Abend, doch von großem Theater ein gutes Stück entfernt. Das Premierenpublikum feierte Samstag indes alle und alles, was dann doch wieder nah an Shakespeare ist: Ende gut, alles gut.