Essen. Wie viel Arbeit ist es, mit Musik auf Spotify erfolgreich zu sein? Können unbekannte Musiker mit Streaming Geld verdienen? Wir haben es getestet.
Mehr Musik, als man in einem Leben hören kann: Würde der Musik-Streamingdienst Spotify mit diesem Slogan werben, er würde nicht lügen. 70 Millionen Musikstücke gibt es auf der Plattform. Selbst wenn jeder Song nur drei Minuten lang wäre – eine haarsträubend niedrige Schätzung –, würde es ein Weilchen dauern, alles zu hören. Knappe 400 Jahre nämlich. Unendlich viel Musik sozusagen. Nicht zu vergessen: Jeden Tag kommen schätzungsweise 60.000 neue Titel dazu. Nicht nur die von Mega-Stars wie Taylor Swift. Sondern vor allem solche von kleineren Künstlern. Die ohne große Plattenfirma im Rücken arbeiten. Dafür aber mit großen Träumen im Herzen.
Musik auf Spotify: erste Schritte
Wie verschwindend gering die Chance ist, im unübersichtlichen Musikchaos entdeckt zu werden, kann man sich ungefähr vorstellen. Aber ist es zumindest möglich, als neuer Künstler ein wenig Geld mit Streaming zu verdienen? Und wie kommt die Musik überhaupt auf eine Plattform? Was muss ich tun, damit ich besser gefunden werde? Fragen über Fragen, die auch ich mir gestellt habe – und auf die ich nun mit einem Selbstversuch Antworten finden will.
Als erstes muss die Musik her. Weil ich in meinem Versuchszeitraum so viele potenzielle Hörer wie möglich erreichen will, entscheide ich mich für das Genre „Chill-Out“. Musik zum Entspannen, ohne Ecken und Kanten. Ohne Gesang. Nicht sonderlich kompliziert. Und vor allem: massentauglich. Also schmeiße ich das Musikprogramm „Logic“ an und setzte mich ans Midi-Klavier. Vier Akkorde, dem Jazz gemopst, verpackt in wohlig wabernde Soundwolken eines E-Pianos. Ein bisschen Schlagzeug, ein bisschen Bass. Ein Vibraphon für eine butterweiche Melodie, Regenplätschern für die Extraportion Melancholie. Das hat keine vier Stunden gedauert. Am Ende steht „Hansis Mitternacht“, drei Minuten lang (hier anhören). Prädikat von Musikerkollegen, die sich in der Chill-Out-Szene auskennen: „Klingt professionell.“ Ich lege mir sicherheitshalber den Künstlernamen „Ebrost“ zu, dann kann’s losgehen.
Eigene Musik auf Spotify: Die Streaming-Eintrittskarte kostet 22 Euro
Der anstrengende Teil der Arbeit beginnt jetzt. Weil ich keine Plattenfirma habe, nutze ich Recordjet, einen sogenannten Aggregator. Der bringt meinen „Hansi“ auf Spotify und gut 20 andere Streamingplattformen. Das macht er nicht aus Herzensgüte, sondern gegen Bezahlung. Ich entscheide mich, einmalig 22 Euro zu blechen und dafür zehn Prozent meiner Tantiemen an Recordjet abzutreten. Andere Bezahlmöglichkeiten hätten es mir erlaubt, mehr Titel hochzuladen und 100 Prozent der Einnahmen zu behalten – aber dafür hätte ich mich auf ein Abo-Modell mit einem Jahresbeitrag einlassen müssen. Mehr als diese 22 Euro will ich für meinen Versuch aber nicht ausgeben.
Ein paar Angaben zu meiner Person will Recordjet haben, nichts Wildes. Pünktlich am 15. Dezember, wie vereinbart, gibt es „Hansis Mitternacht“ auf Spotify zu hören. Und dann passiert – erstmal nichts. Wie erwartet bin ich im unendlichen Spotify-Kosmos quasi unsichtbar. Via Instagram aktiviere ich Freunde und Familie, nach ein paar Tagen wurde meine Musik gute 200 Mal abgespielt. Ich habe mir keine großen Hoffnungen gemacht, aber ich muss zugeben: Ein bisschen mehr habe ich schon erwartet.
Spotify: 500 Euro für Werbung auf Facebook und Instagram
Das weiß auch die Branche. Wie die meisten Aggregatoren bietet mir Recordjet „Services“ an. Werbung auf Facebook und Instagram (ab 500 Euro), einen „Boost“ auf TikTok (ab 100 Euro), auf Anfrage sogar Digitalmarketing und persönliche Beratung. Ich entscheide mich aber für die Plattform „Submithub“. Selbstverständlich gibt es dort Premium-Angebote. Gegen Bezahlung, klar. Aber auch kostenlos kann ich ein- bis zweimal täglich mit „Kuratoren“ in Kontakt treten.
Auch interessant
Das sind Menschen aus der ganzen Welt, die Playlists zu bestimmten Genres verwalten und auf Anfrage entscheiden, ob ein neues Musikstück auf ihre Liste passt. Meine ersten Versuche bleiben fruchtlos, dann bekomme ich eine Antwort des US-Kurators „Cosmo Kuma“. Für seine große Playlist sei ich als Künstler zu klein, für die Liste „Cosmo Sleep“ aber genau richtig. Kurze Zeit später lande ich noch auf zwei weiteren Chill-Out-Playlists anderer Kuratoren – und bin erstaunt.
Harte Zahlen, im doppelten Sinne
Dass Playlists im Spotify-Universum große Macht haben, wusste ich schon vorher. Dass sich dieser Einfluss so direkt niederschlägt, hätte ich aber nicht gedacht. Die Anwendung „Spotify for Artists“ gibt mir detaillierte Einblicke in die Zahlen rund um „Hansis Mitternacht“.
Im Vergleich zur Phase vor der Aufnahme auf die Playlists explodiert die Kurve geradezu. Betonung auf: „im Vergleich“. Mein Spitzenwert vor der Playlistpremiere lag bei einem Verdienst von 29 Cent an einem Tag. Mit den Listen bei knappen 90 Cent. Ich wundere mich zwar, dass die meisten meiner Hörer noch immer aus Deutschland kommen, obwohl die Listen auf ein internationales Publikum abzielen. Gleichzeitig habe ich aber den eindeutig deutschen Titel meiner Komposition in Verdacht. Möglicherweise spült Spotify deutschen Hörern eher deutsche Titel in den unendlichen Fluss ihrer Musik, aber genau sagen kann ich es nicht: Der Algorithmus lässt sich nicht in die Karten schauen.
Streaming für unbekannte Künstler: viel Ernüchterung, tröstliche Lichtblicke
Heute, am 30. Dezember, endet mein Selbstversuch, 15 Tage nach der Veröffentlichung von „Hansis Mitternacht“. Zeit für einen Blick auf die Zahlen: Insgesamt 1472 mal wurde mein Song abgespielt; verdient habe ich damit ganze 2,75 Euro. Minus zehn Prozent für Recordjet, versteht sich. Das macht, großzügig aufgerundet, 0,002 Cent für jedes Mal, wenn die Komposition abgespielt wurde. Obwohl ich mit einem derartigen Ergebnis gerechnet habe: ernüchtert bin ich doch. Vor allem, weil ich viele Musiker kenne, die großartige Musik machen. Und die vermutlich noch mehr und noch großartigere Musik machen würden, könnten sie ihr ganzes Leben ihrer Kunst widmen. Mit solchen Summen allerdings ist das aussichtslos.
Fest steht auch: Die Musik selbst ist nur die halbe Miete. Der Rest ist Marketing, Absage um Absage von Kuratoren und schlimmstenfalls die Notwendigkeit, Geld für Werbung zu bezahlen. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Spotify & Co. mögen die Musikbranche revolutioniert, liberalisiert haben. Einfacher ist es für Musiker, die gleichzeitig auch Buchhalter, PR-Experten und Bittsteller bei Kuratoren sein müssen, trotzdem nicht geworden.
Und doch, sich in der Streamingwelt zu bewegen, birgt auch ungeahnte Freude. So sagt mir „Spotify for Artists“, dass ich die meisten Hörer in Berlin habe, 702 nämlich. Es folgen Duisburg, Bochum, Köln und Essen. Und mehr noch: „Hansis Mitternacht“ wird in Scarborough gehört, in Los Angeles, in Oslo und in Kuala Lumpur. Da fühle ich mich beinahe international.