Essen. Wie kommt Musik auf Spotify? Warum sind Playlist wichtig? Wo landet eigentlich das ganze Geld? Ein Experte erklärt die Welt der Streamingdienste.
Für Musikfans, gerade für Vielhörer, ist es ein Segen: das Musikstreaming. Nur ein Klick auf Spotify, Apple Music und Konsorten – und Abermillionen Musikstücke und Podcasts stehen hörbereit zu Verfügung, für 9,99 Euro im Monat (Apple beabsichtigt derzeit allerdings, den Betrag im kommenden Jahr auf 10,99 Euro heraufzusetzen). Bei so viel Auswahl und, wenn man den Algorithmus denn machen lässt, einem niemals endenden Fluss aus Musik, geraten Maschinerie und Geschäft, die hinter dem Musikstreaming stehen, schnell aus dem Blickfeld.
Etwa die Frage, wie diese ganze Musik überhaupt auf den Plattformen landet. Und wer an der Musik wie viel verdient. Und warum unbekannte Künstler in der Streaming-Mühle kaum eine Aussicht darauf haben, ganz klassisch „entdeckt“ zu werden.
Antworten darauf hat Micki Meuser. Nicht nur, weil er als Komponist und Produzent, etwa der „Ärzte“, selbst Teil der Branche ist. Sondern vor allem, weil er als Aufsichtsratsmitglied der Gema (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) immer wieder mit den inneren Vorgängen der Streaming-Plattformen zu tun hat.
Wie kommt die Musik auf Spotify und Co.?
Die klassische Art und Weise, erklärt Meuser, sei natürlich die Plattenfirma, die ihrerseits einen Vertrag mit Spotify hat. „Mit einzelnen Künstlern macht Spotify aber keine Verträge. Deswegen braucht man als unbekannter Künstler einen Aggregator.“ Aggregatoren, das sind Firmen, die mit den Streaminganbietern Verträge abgeschlossen haben, aber anders vorgehen als die herkömmlichen Musik-Labels. „Diese Aggregatoren arbeiten nicht mit einzelnen Künstlern, sondern bringen die Musik von allen Musikern auf die Plattformen, die sie entweder an den Erlösen beteiligen oder im Voraus eine Summe an sie zahlen“, so Meuser.
In aller Regel sorgen diese Aggregatoren dafür, dass die Musik gleich bei allen großen Anbietern landet, Spotify führt in seiner Anwendung, die sich speziell an Künstler richtet, sogar eine Liste der bevorzugten Anbieter. „Im Prinzip“, sagt Micki Meuser, „ist diese Struktur zu begrüßen, es gibt keinen ,Türsteher’ mehr, der entscheidet, welche Musik reinkommt und welche nicht. Auf der anderen Seite gibt es natürlich eine Schwemme von Musik.“
Warum sind Playlists so wichtig?
„Wenn Sie in dieser Schwemme, die durch die Aggregatoren kommt, Musik veröffentlichen, sind Sie erstmal verloren, unbekannt, niemand findet Sie“, erklärt Meuser. So erhalten die Playlists, also zusammengestellte Wiedergabelisten, ihre Macht. Es gibt Playlists, die werden nur von Algorithmen zusammengestellt – je nach Geschmack der Nutzer; und es gibt „kuratierte“ Playlists, bei denen Hunderte von Musik-Fachleuten, die bei den Streamingdiensten in aller Welt als Redakteure angestellt sind, das Sagen haben. „Wenn Sie auf einer Playlist landen, auf der auch bekannte Künstler sind, wird ihre Musik quasi mitgestreamt. Denn eine Playlist ist bequem.“ Die kann mit Hilfe von Algorithmen je nach Geschmack der Hörenden zusammengestellt werden, „und die kann man dann wie Radio nebenher laufen lassen.“https://dcx.funkemedien.de/dcx/documents#/doc/doc7nj28j3uedy1ijive5v7
So bekommen auch unbekannte Künstler einen der begehrten „Plays“, der Währung auf Spotify. Das sei vergleichbar mit dem Verkauf einer CD im Laden – bloß verdienen die Künstler viel weniger Geld damit. „Dass Künstler öffentlich gemacht haben, wie wenig Cent sie für ihre Musik bekommen haben, ist nichts Neues“, erzählt Micki Meuser, „das Problem ist, dass die breite Öffentlichkeit gar nicht schaut, wie diese Summen zustande kommen.“ Und damit landet Meuser bei des Streamingpudels Kern.
Wie viel Geld verdienen Musiker und Komponisten?
„Es gibt zwei verschiedene Rechtearten, die Künstler Geld bescheren“, erklärt der Experte: „Zum einen die Rechte der ausführenden Künstler“ – die müssen von ihnen selbst wahrgenommen werden oder, sofern vorhanden, von ihren Plattenfirmen; und „zum anderen sind da die der Musikautoren, also der Komponisten.“ Diese nimmt die Gema wahr und verteilt den Erlös entsprechend an ihre Mitglieder.
Schon an dieser Stelle tut sich ein Graben auf. Pro 1 Million Plays erhalten Komponisten ungefähr 1800 Euro – Künstler bekommen das Vierfache. „Überall sonst, abseits des Streamings, sind die Verhältnisse ausbalanciert“, bemängelt Micki Meuser, so bekommen Musiker beim CD- und Vinyl-Verkauf genausoviel wie die Komponisten. Was aber beim Streaming noch viel schwerer wiegt: Vom kompletten Kuchen kriegen Künstler und Komponisten zusammengerechnet bloß 22,4 Prozent – das hat eine Analyse von Goldmedia ergeben.
Und wo landet der Rest des Geldes?
Die Gema rechnet das anhand eines Abos für 9,99 Euro vor. Netto bleiben davon noch 8,39 Euro übrig. Spotify und andere Dienste stecken sich davon etwa 30 Prozent ein, das variiere, so Meuser; Apple Music etwa nehme einen kleineren Anteil und zahle auch mehr an die Künstler.
Was dann noch da ist, wandert zu einem großen Teil an die Labels. Rund 40 Prozent zwacken sich die sogenannten Major-Labels Sony, Warner und Universal ab – genau wie einige unabhängige Plattenfirmen. „Das ist das Hauptproblem“, erklärt Meuser: „Die Plattenfirmen geben nur ein Zehntel davon an die Künstler weiter, weil das immer schon so war. Aber die Kosten wie Vertrieb, das Presswerk, der Coverdruck – die haben die Labels ja heute gar nicht mehr.“
Wie sieht die Zukunft des Musikstreamings aus?
Das hängt davon ab, wen man fragt. Künstler und Komponisten pochen auf bessere Bedingungen für die Musikerinnen und Musiker, klar. „Aber das System ist stabil, die Konsumenten lieben es, sie kommen ja auch gut dabei weg“, seufzt Meuser: „Wer uns helfen kann, ist der Gesetzgeber.“ Allerdings: Für Politiker sehe die Musikbranche aus wie ein funktionierendes System, ein funktionierender Markt, schließlich seien neben den Konsumenten auch die Plattenfirmen dank ihres großen Anteils am Erlös zufrieden.
„Deswegen müssen wir Künstler und Komponisten der Politik klarmachen: Dieses Modell ist ein fehlgeschlagener Markt“, so Micki Meuser, „eigentlich ist es nicht mal mehr ein Markt. Es gibt keinen Handel, von Balance kann keine Rede sein.“ Mann müsse der Politik klar signalisieren, dass Streaming nicht nur 9,99 Euro kosten darf, es müssten Schritt für Schritt die Preise erhöht werden – so wie es Netflix und Co. im Videostreaming bereits getan haben.
Doch schon der Gedanke daran, in den Markt der Musikbranche einzugreifen, sei für Politiker „schlimm“, erzählt Meuser. Bei der Vorstellung, den Plattenfirmen vorzuschreiben, dass ihr Anteil am Kuchen kleiner zu sein hat, rutsche einigen Volksvertretern schnell das Wort „Sozialismus“ raus. Die Plattenfirmen hätten schon jetzt das Gefühl, es werde an ihren Stuhlbeinen gesägt: „Die greifen uns an, obwohl wir noch gar nichts gemacht haben“, sagt Micki Meuser. Aber: „Es muss klar sein, dass das kein Konflikt zwischen Künstlern und Autoren ist, sondern zwischen diesen beiden Gruppen und den Plattenfirmen.“