Wesel. Erste Flüchtlinge ziehen ins alte Finanzamt ein, das entspannt die Lage vorerst. Wesel rechnet mit gleichbleibend hohen Zahlen und plant weiter.

Im ehemaligen Finanzamt an der Ritterstraße ist wieder Leben eingekehrt: Acht geflüchtete Menschen sind in dieser Woche eingezogen, bis Ende März sollen es 18 Personen sein. Die neue Sammelunterkunft in der Stadtmitte ist ausschließlich für Familien und alleinstehende Mütter gedacht, erklärt Wesels Sozialdezernent Rainer Benien. Mit der ehemaligen Amtsstube und der Option auf eine weitere Immobilie hat sich die Stadt Zeit zum Durchatmen verschafft, von Entspannung will Benien aber nicht sprechen.

„Wir gehen davon aus, dass es dauerhaft eine Flüchtlingsbewegung nach Europa geben wird“, sagt der Sozialdezernent. Verbunden mit mal höheren, mal niedrigeren Zuweisungszahlen. Im Februar zum Beispiel haben keine neuen Bewohner die Stadt erreicht. Im März werden es 17 Personen sein, die aus der Türkei, der Ukraine, Syrien und Marokko stammen. Aus der Ukraine registriert die Stadt derzeit nur noch vereinzelte Zuweisungen. Sie stellen unter den Nationalitäten aber immer noch die zweitgrößte Gruppe. Die meisten Menschen machen sich aus Afghanistan, Syrien und der Türkei auf den Weg, berichtet Benien.

Wie sich die Lage in diesem Jahr entwickeln wird, weiß niemand. Die Stadt bereitet sich auf weitere Aufnahmen vor. Rund 70 Menschen können an der Ritterstraße unterkommen. Dass in den ehemaligen Büros ausschließlich Familien leben werden, sei für die Anwohner verträglicher, so Benien, und hat auch Vorteile für die Neuankömmlinge selbst, denn Kitas und Schulen sind in der Nähe. Je nach Größe der Familien leben die Menschen in einem oder zwei Zimmern, die Sanitärbereiche wurden im Keller eingerichtet. Gekocht wird in Gemeinschaftsküchen, die es auf jeder Etage gibt. Auch Familien, die vorübergehend an der Trappstraße unterkommen mussten, sollen in die Stadtmitte umziehen. Das Gebäude an der Trappstraße ist für Einzelpersonen gedacht.

So viele Geflüchtete kamen in zuletzt Wesel an

Wesel hat seine Quote laut Stadt zurzeit zu 92 Prozent erfüllt. Das heißt, es besteht noch die Verpflichtung zur Aufnahme von 81 Menschen. Insgesamt sind Wesel im vergangenen Jahr 169 Personen zugewiesen worden. Im ersten Quartal 2024 werden es 41 Menschen sein. Deutlich mehr Personen, nämlich 824 Geflüchtete erreichten die Stadt 2022 – das Jahr, in dem der Ukraine-Krieg ausbrach. In den Jahren davor war die Zahl um ein Vielfaches geringer: 2021 kamen 80 Personen, 2020 sogar nur 63. Insgesamt leben in der Stadt rund 2600 geflüchtete Einwohnerinnen und Einwohner.

Die Stadt ist schon mit der Vorbereitung der nächsten Immobilie beschäftigt, erklärt Dezernent Markus Postulka, zuständig für den Gebäudeservice. Der Neubauteil des ehemaligen Altenheimes am Willibrordiplatz – der sogenannte Sackermann-Bau – wird gerade vorbereitet, was deutlich weniger aufwändig ist als die Herrichtung des alten Finanzamtes.

Denn das Seniorenheim hat ausreichend Sanitäranlagen. 32 Zimmer stehen, wenn auch nur für begrenzte Zeit, bereit. Bekanntlich plant das Evangelische Krankenhaus, dort mittelfristig Wohn- und Pflegeangebote für Senioren unterzubringen. Ob das leere Altenheim überhaupt für die Flüchtlinge benötigt wird, ist noch offen. Denn auch in den anderen, zum Teil deutlich kleineren Sammelunterkünften ist noch Platz, sodass die Stadt derzeit einen Puffer von bis zu 200 Plätzen hat – ohne das Altenheim, betont Benien.

Viele Geflüchtete bleiben dauerhaft in Wesel

Wie lange dieser Puffer reichen wird, darüber wagt er keine Prognosen. Er wiederholt die Forderung, die er – ebenso wie andere Kommunalvertreter – schon häufiger in Richtung Land gerichtet hat: „Menschen ohne Bleibeperspektive sollten den Kommunen gar nicht zugewiesen werden, sondern in Landesunterkünften bleiben.“ Dafür müsse die Zahl dieser Einrichtungen aufgestockt werden. In Dingden hat sich das Land gerade nach Gesprächen mit der Stadt Hamminkeln von der Errichtung einer Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) für 450 Menschen verabschiedet, weil dies den kleinen Ortsteil überfordern würde.

Das ehemalige Finanzamt an der Ritterstraße ist für Geflüchtete vorbereitet, die ersten Menschen sind bereits eingezogen.
Das ehemalige Finanzamt an der Ritterstraße ist für Geflüchtete vorbereitet, die ersten Menschen sind bereits eingezogen. © Stadt Wesel | Stadt Wesel

Ohnehin werden viele Geflüchtete dauerhaft in Wesel bleiben, weiß Rainer Benien. Freiwillige Ausreisen oder Abschiebungen spielten zahlenmäßig keine große Rolle. So müssen sich die Geflüchteten darauf einrichten, längerfristig – zum Teil sogar Jahre – in den Sammelunterkünften zu bleiben. Eine Wohnung suchen können sie erst, wenn sie anerkannt sind. Das ist in der Stadt aber schwierig. Schon aus diesem Grund sucht die Verwaltung auch künftig nach Immobilien für neue Unterkünfte.

Menschen ohne Bleibeperspektive sollten den Kommunen gar nicht zugewiesen werden, sondern in Landesunterkünften bleiben
Rainer Benien - Stadt Wesel

Ein Standort wird in Zukunft auf jeden Fall wegfallen. Die Hansaringschule soll saniert und zum Zweitstandort für die Innenstadtgrundschule umgebaut werden. Vorher steht dort der Neubau einer Kita an. Die Pläne werden jetzt erstellt, dann folgen die Ausschreibungen und die Umsetzung. Erst anschließend ist das Schulgebäude an der Reihe. Ein Projekt also für Jahre. Damit es für Kinder und Lehrkräfte an der Innenstadtgrundschule bis dahin nicht zu eng wird, werden dort Klassencontainer aufgestellt – die heutzutage durchaus komfortabel ausgestattet sind, wie Postulka versichert.