Wesel. Die Zahl der Geflüchteten in Wesel ist wieder massiv gestiegen. In der Innenstadt könnte deshalb bald eine weitere Unterkunft entstehen.
In Wesel ist die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge wieder massiv angestiegen. Während der Stadt in der ersten Jahreshälfte gerade mal zehn Geflüchtete vom Land zugewiesen worden sind, gibt es seit dem Sommer einen sprunghaften Anstieg. Wie Sozialdezernent Rainer Benien auf Anfrage der NRZ-Redaktion berichtet, kamen im Juli sechs neue Asylbewerber nach Wesel, im August waren es schon 28, im September 51 und im Oktober rechnet die Verwaltung mit 57 Neuankömmlingen.
„Die Zahlen steigen jeden Monat und wir rechnen damit, dass wir weiterhin Zuweisungen bekommen“, sagt Benien. Die meisten Menschen kommen derzeit aus Syrien oder Afghanistan, erst an dritter Stelle folgt die Ukraine als Herkunftsland. Insgesamt leben derzeit rund 2400 Menschen in Wesel, die aus ihrem Heimatland geflohen sind. Die Zahlen sind damit höher, als während der angespannten Flüchtlingssituation in den Jahren 2015 und 2016.
Flüchtlinge in Wesel: Zwei Unterkünfte stehen bald bereit
Deshalb arbeitet die Verwaltung derzeit mit Hochdruck daran, neuen Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass das Gebäude der Hansaringschule wieder als Unterkunft genutzt wird. In der ehemaligen Grundschule waren im Frühjahr 2022 schon einmal Schlafplätze geschaffen worden, weil sich die Lage zwischenzeitlich entspannt hatte, wurde sie aber wieder leergezogen. „Wir haben uns die Hansaringschule bewusst als Backup gelassen“, erklärt Benien. Ende des Monates sollen hier die ersten Menschen einziehen.
Bis Ende des Jahres soll zudem die frühere Außenstelle des Finanzamtes an der Ritterstraße soweit hergerichtet sein, dass dort rund 65 Menschen einziehen können. Doch schon jetzt ist klar, dass die Kapazitäten nicht ausreichen werden – die Verwaltung ist deshalb auf der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten. „Wir sind zuversichtlich, dass wir ein weiteres Objekt anmieten können“, sagt der Dezernent. Konkret geht es dabei um das Altenheim am Willibrordiplatz, aus dem im Sommer die letzten Bewohner ausgezogen sind. Mittelfristig sollen hier hier ein Wohn- und Pflegekonzept entstehen, kurzfristig wäre es wohl die ideale Lösung, um schnell Plätze für Geflüchtete zu schaffen. Bereits seit einigen Jahren werden Wohnungen, die zu dem Komplex gehören, schon auf diese Weise genutzt.
Das Ensemble im Domviertel gehört einer GmbH und wird vom Evangelischen Krankenhaus in Wesel verwaltet. „Wir sind derzeit in Gesprächen mit dem Eigentümer“, berichtet Rainer Benien. Für die übergangsweise Nutzung kommt demnach nur ein Teil des früheren Altenheims in Frage, der sogenannte Sackermann-Bau an der Ecke Hansaring/Pastor-Bölitz-Straße – wie viele Plätze dort dann letztlich entstehen, ist noch unklar.
Flüchtlingssituation in Wesel: Noch sind die Kapazitäten nicht erschöpft
Während in der Nachbargemeinde Hünxe schon von einer „katastrophalen Situation“ angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen die Rede ist und in Hamminkeln seit Wochen hitzige Debatten über die mögliche Einrichtung einer zentralen Landesunterkunft laufen, sieht Rainer Benien die Stadt Wesel noch nicht über der Belastungsgrenze: „Wir sind zuversichtlich, dass wir die nächsten Monate schaffen.“ Klar sei aber auch: Bleibt das Niveau der Neuankömmlinge auf dem aktuellen Niveau, wären auch in der Hansestadt die Kapazitäten irgendwann erschöpft.
Was der Stadt Wesel dabei derzeit kaum noch hilft, ist die Unterbringung in Privatwohnungen. Während sich nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022, sehr viele Vermieterinnen und Vermieter bei der Stadt gemeldet haben, gibt es diese Möglichkeit praktisch nicht mehr. „Es wird immer schwieriger, entsprechenden Wohnraum zu finden“, sagt Rainer Benien. Dennoch: Von den 2400 Geflüchteten in der Stadt leben aktuell nur rund 450 in Gemeinschaftsunterkünften – diese Zahl wird in den nächsten Monaten allerdings unweigerlich steigen.
Unbedingt vermeiden will die Verwaltung dabei, dass Turnhallen als Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden – und etwa Vereine auf ihre Trainingszeiten verzichten müssen. Die zwischenzeitliche Nutzung der Rundsporthalle im vergangenen Jahr sei eine absolute Notlösung gewesen. „Damit haben wir uns damals etwas Zeit gekauft“, sagt Benien. „Derzeit ziehen wir diese Option gar nicht in Erwägung.“ Sollten tatsächlich gar keine bestehenden Gebäude mehr als Schlafplätze zur Verfügung stehen, will die Verwaltung lieber über Container-Lösungen nachdenken. Noch ist das aber nicht konkret.
Denn verhindern will die Stadtspitze genauso, dass sich der gesellschaftliche Konflikt bei dem Thema weiter zuspitzt. Bisher verläuft die Diskussion in Wesel eher ruhig und sachlich. „Es gibt hier keine heftigen Debatten, was gut ist“, meint Rainer Benien. „Aber wir nehmen wahr, dass das Thema viele Menschen bewegt. Das müssen wir im Auge behalten.“ Was der städtische Dezernent im Gespräch mit der Redaktion klar stellt: Eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes soll in der Hansestadt nach dem aktuellen Stand nicht entstehen. „Das spielt in unseren Überlegungen keine Rolle.“
Hintergrund zur Flüchtlingsquote: So steht Wesel derzeit da
Die Verteilung der Geflüchteten auf die Kommunen in Nordrhein-Westfalen erfolgt anhand eines Zuweisungsschlüssels, der unter anderem die Einwohnerzahl einer Stadt berücksichtigt. Jede Woche prüft die zuständige Bezirksregierung ins Arnsberg gemäß des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) die Aufnahmeverpflichtung der Städte und Gemeinden. Aus den Landesunterkünften werden die Menschen dann den Kommunen zugewiesen.
Laut Rainer Benien erfüllt die Stadt Wesel die Aufnahmequote derzeit zu 97 Prozent, was bedeutet, dass derzeit noch 27 weitere Geflüchtete aufgenommen werden müssen. Alle Städte richten sich aber derzeit darauf ein, dass die Quote in absehbarer Zeit nicht zu 100 Prozent erreicht wird, weil die Zahl der Geflüchteten in NRW grundsätzlich steigt – sie müssen also ständig mit neuen Zuweisungen rechnen und ihre Kapazitäten entsprechend erhöhen.