Schermbeck. Zu den beiden Verkehrsexperimenten in Schermbeck liegen nun die Ergebnisse vor. Das verantwortliche Planungsbüro überraschte dazu im Rat

Nachdem sich die Emotionen beim Thema Verkehrsversuch in der Schermbecker Ratssitzung langsam wieder hochschaukelten, ergriff CDU-Fraktionschef Rainer Gardemann das Wort, um die Gemüter zu beruhigen: „Wir haben uns hier doch einvernehmlich (einstimmig bei einer Enthaltung) dafür ausgesprochen, den Ortskern zu überplanen, denn zufrieden war keiner. Die Motivation als Rat war: Die Verkehrssituation im gesamten Ortskern ist unbefriedigend.“ Bisher habe es nur Vermutungen gegeben, wie Verbesserungen zu erzielen wären. Doch mit den Auswertungen zu den beiden Verkehrs-Experimenten sei dies nun anders: „Jetzt haben wir Grundlagen, mit denen wir uns im nächsten Jahr intensiv auseinandersetzen müssen.“

Dass auch beim zweiten Verkehrsversuch nicht alles glatt lief, war den Schilderungen zweier Schermbeckerinnen während der Einwohnerfragestunde zu entnehmen: Eine Bürgerin nannte es eine „Irreführung der Bürger“, wenn fünf von sechs Wochen des Versuchs die Beschilderung für Radfahrer falsch sei. Eine andere Anwohnerin sprach davon, dass es wegen der Leitplanken in der Mittelstraße für Radfahrer vor allem bei Begegnungsverkehr „total gefährlich“ gewesen sei.

Aufenthaltsqualität auf Kosten der Kundenfrequenz?

Kontrovers diskutiert wurden angebliche Verluste der Geschäfte im Ortszentrum. Klaus Roth (BfB) sprach von 20 bis 25 Prozent Verlust der Kaufleute, Bürgermeister Mixe Rexforth entgegnete: „Das sind Werte, die in keinster Weise belegt sind.“ Ulrike Trick (Grüne) nannte diesen Punkt „eine große Gratwanderung“: Wolle man eine Aufenthaltsqualität auf Kosten der Kundenfrequenz, fragte sie.

Diplom-Ingenieur Hans-Rainer Runge (rechts) begleitete den Verkehrsversuch, den Thomas Nübel von Gemeinde Schermbeck (links) umsetzte.
Diplom-Ingenieur Hans-Rainer Runge (rechts) begleitete den Verkehrsversuch, den Thomas Nübel von Gemeinde Schermbeck (links) umsetzte. © NRZ | Johannes Kruck

Diplom-Ingenieur Hans-Rainer Runge fasste die Erkenntnisse des zweiten Verkehrsversuchs vom 20. Oktober bis zum 2. Dezember zusammen. Gegenseitige Behinderungen des Kfz-Verkehrs in der Mittelstraße sei durch die Ausweisung als Einbahnstraße entfallen. Für Fußgänger und Radfahrer steige dagegen die Verkehrsqualität bei der Einbahnregelung nicht – ganz im Gegenseil: „Radfahrer in Süd-Nord-Richtung scheinen sich unwohl bei entgegenkommenden Autos zu fühlen und weichen in den Seitenraum aus, der Fußgängern vorbehalten ist. Dann kommt es dort zu Konflikten“, schildert es der Verkehrsexperte ein Problem.

Die Kfz-Menge in der Mittelstraße habe sich beim zweiten Versuch deutlich reduziert (minus 40 Prozent). Und: „Die Verkehrsmengen auf den Umfahrungsstrecken erhöhten sich in geringerem Maße als angenommen.“ Wie schon beim ersten Verkehrsversuch scheinen Kfz-Nutzer andere Strecke gewählt zu haben, aufs Fahrrad umgestiegen oder zu Fuß gegangen zu sein, so Runge.

Auf dem Kapellenweg sei der Mehrverkehr jedoch deutlich spürbar, was der Planer als „unverträglich“ bewertete. Kritisch in Bezug auf die Verkehrssicherheit sei das Fahren auf dem Gehweg, so der Experte. Wie auch immer die Lösung am Ende aussehen wird (über die wohl die Bürger im kommenden Jahr per Ratsbürgerentscheid abstimmen dürfen), am Ende gibt es Gewinner und Verlierer, denn Hans-Rainer Runge stellte klar: „Irgendwo muss der Verkehr ja bleiben!“

Überraschung: Variante 3 und 4 kommen jetzt auch noch ins Spiel

Als kleines Extra brachte der Verkehrsplaner noch die Zusatzvariante „Fußgängerzone“ ins Spiel - diese dritte Variante sieht eine Fußgängerzone zwischen Bösenberg und Hogen Mai vor. Die Marellenkämpe wird geöffnet und zu einer Einbahnstraße in Nord-Ost-Richtung. Laut Modellprognose führte dies zu 2.500 bis 3000 Kfz im nördlichen Bereich der Mittelstraße. Vor allem das vorhandene Parkraumangebot sorge dann weiterhin für starken Quell-Zielverkehr. Insbesondere die Apothekerstege sei für die Verkehrsmenge im Zweirichtungsverkehr nicht verträglich, so die Prognose. Zudem hat der Experte eine Verdopplung der Verkehrsmenge auf den Straßen Landwehr und Schienebergstege berechnet.

Stefan Steinkühler wünschte sich die Prognose einer vierten Variante – Stadtplaner Runge sagte zu, diesen Wunsch zu erfüllen.
Stefan Steinkühler wünschte sich die Prognose einer vierten Variante – Stadtplaner Runge sagte zu, diesen Wunsch zu erfüllen. © NRZ | Johannes Kruck

Grünen-Fraktionschef Stefan Steinkühler war in der Ratssitzung offenbar schon in Weihnachtsstimmung und sagte: „Wir sind überrascht, dass wir jetzt noch eine dritte Variante präsentiert bekommen. Ist das nicht so ein bisschen wie ‚Wünsch Dir was‘? Wenn wir aber sagen, wir wünschen uns was, dann hätte ich gerne auch noch die Modellierung einer Einbahnstraße ohne Öffnung der Marellenkämpe.“ Verkehrsplaner Runge sagte dies zu: „Das können wir Ihnen sicher auch noch rechnen, das ist wirklich kein Aufwand.“

Rund 20 Zuschauer verfolgten die jüngste Diskussion im Rat, deutlich weniger als bei vorhergehenden Sitzungen zu diesem Thema. Nach der Riesenaufregung während des ersten Verkehrsversuchs (u.a. mit Protestaktionen) ging es nun deutlich entspannter zu, was Bürgermeister Mike Rexforth so kommentierte: „Ich spüre eine deutlich höhere Akzeptanz des zweiten Versuchs.“