Schermbeck. Seit zwei Monaten läuft der Schermbecker Verkehrsversuch: Wie fällt die Zwischenbilanz aus? Verwirrung gibt es um die Vorfahrt an einer Kreuzung.
Halbzeit beim Schermbecker Verkehrsversuch. Ein guter Zeitpunkt für ein Zwischenfazit, das sehr unterschiedlich ausfällt – je nachdem, wen man fragt. Ein Termin vor Ort nach zwei von vier Monaten mit diversen Änderungen für den Kraftfahrzeugverkehr im Ortskern, zeigt zumindest eines: Im Gegensatz zu den ersten „Chaos-Tagen“ hat sich die Lage inzwischen deutlich beruhigt, auf der Straße und auch bei den Menschen. Selbst die schärfsten Kritiker des Verkehrsversuchs rund um die Marellenkämpe geben sich viel gemäßigter und schildern inzwischen ganz unaufgeregt ihre Erfahrungen.
Verkehrsversuch Schermbeck: Dreiste Geisterfahrer und ungelenke Gelenkbusse
Peter Michael Spix wohnt rund 50 Meter vor dem Nadelöhr an der Marellenkämpe und hat von seinem Balkon aus einen guten Blick auf die Verkehrssituation. Der 56-Jährige hat in den vergangenen acht Wochen viel beobachtet, was ihm zu dem Schluss kommen lässt: „So wie es jetzt läuft, kann es nicht die Lösung sein!“ Spix berichtet, die Anwohner hätten am 13. Juni eine Verkehrszählung durchgeführt und zwischen 7 und 18 Uhr etwa 1800 Fahrzeuge notiert, die die Marellenkämpe passierten.
Doch nicht nur die bloße Anzahl der Autos störe ihn, Peter Michael Spix ärgert sich vor allem über deutlich überhöhte Geschwindigkeiten in dieser Tempo-30-Zone: „Der Spitzenreiter hatte genau 89 km/h.“ Dies habe er von der Anzeige abgelesen, die die Gemeinde schräg gegenüber seines Hauses angebracht hat. Gelenkbusse und 40-Tonner würde zudem ganz umständlich versuchen, das Nadelöhr zu passieren – mehrere „Geisterfahrer“ hat er zudem ausgemacht, teils auch fotografiert. Was Spix aber am meisten ärgert, ist die Kreuzung am Ausgang des Nadelöhrs: „Es grenzt wirklich an ein Wunder, dass dort noch kein schwerer Unfall mit Toten oder Verletzten passiert ist.“
Er selber habe dort wenige Tage nach Start des Verkehrsversuchs einen Unfall beobachtet – zum Glück ohne Verletzte. Ein Auto, das durch die Engstelle gefahren sei, sei mit einem von rechts kommenden Fahrradfahrer kollidiert, so Spix. Ein Polizist, der in der Nähe gewesen sei, sei hinzugerufen worden und habe geurteilt, der Radfahrer sei Schuld gewesen. „Weil die Bordsteinkante abgesenkt ist, hätte der Radler warten müssen, sagte der Polizist“, so der Anwohner, der kopfschüttelnd ergänzt: „Das steht doch im totalen Widerspruch zu dem Schild, das auf eine Rechts-vor-links-Kreuzung hinweist. Ich verstehe das einfach nicht“, sagt der 56-Jährige.
Kritik vom Geschäftsführer der Kreisverkehrswacht
Frank Schulten ist Geschäftsführer der Kreisverkehrswacht und zugleich Fahrlehrer aus Wesel – er muss ja wissen, was nun richtig ist. „Die Beschilderung ist falsch!“, sagt Schulten unmissverständlich. Das schwarze Kreuz auf dem Schild bedeute „rechts vor links“ also: „Wer von rechts kommt, ist vorfahrtspflichtig – in diesem Beispiel auf dem Foto ist der Pkw also wartepflichtig.“ Dem gegenüber stehe die abgesenkte Bordsteinkante an der Straße von rechts, die besage, wer aus dieser Straße komme, sei „immer wartepflichtig.“ Nicht gut gelöst sei dies, denn für Verkehrsteilnehmer müssten die Regeln klar sein: „Entweder ich habe Vorfahrt – oder eben nicht!“, so Schulten.
Dem widerspricht Berthold Schmeing von der Gemeinde Schermbeck: „Wir haben das Kreuzungsschild dort bewusst aufgestellt, um den Verkehrsteilnehmern zu verdeutlichen, dass aus jeder Richtung Fahrzeuge kommen können.“ Auf die widersprüchliche Vorfahrtsregelung angesprochen ergänzt er: „Grundsätzlich gilt doch in der Straßenverkehrsordnung die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme.“ Größere bauliche Veränderungen, wie etwa eine Angleichung des Bordsteins, wären für die vier Monate Verkehrsversuch nicht umsetzbar. Das gelte auch für die mehrfach erhobene Forderung, an dieser Stelle das Tempo von 30 auf 10 Kilometer Pro Stunde zu beschränken.
Gemeinde Schermbeck: „Negative Stimmung hat sich gewandelt“
Wie lautet insgesamt das Zwischenfazit aus Sicht der Gemeindeverwaltung? „Die ersten zwei Wochen waren sehr stramm, da mussten sich viele erstmal orientieren und neue Wege suchen“, so Schmeing. Er sieht insgesamt aber eine erfreuliche Tendenz: „Die negative Stimmung wandelt sich: Am Anfang haben wir viel Haue bekommen, jetzt kommt sogar viel Lob.“
Vor allem die Situation in der Mittelstraße werde überaus positiv beurteilt: „Wir sind sehr gut auf dem Weg, den Ratsbeschluss, 50 Prozent des Verkehrs aus der Innenstadt zu verbannen, umzusetzen.“ Für eine endgültige Beurteilung müsse man aber neben der Auswertung der laufenden Verkehrszählungen auch die Einschätzungen von Betroffenen und Kaufleuten einbeziehen.
Anwohner: „Wir sind der Auspuff von Schermbeck geworden“
Marellenkämpe-Anwohner Franz Alt hat sich sein Urteil schon gebildet: „Es ist doch Wahnsinn! Sonntags und nachts in das eine Rennstrecke, das kann auf Dauer so nicht funktionieren. Wir sind der Auspuff von Schermbeck geworden.“ Für die Leute, die an der Marellenkämpfe wohnen, sei dies „eine Zumutung“. Und sein Nachbar Peter Michael Spix kündigt bereits jetzt an: „Sollte das so bleiben, wird es ein Bürgerbegehren dagegen geben – soviel ist sicher!“