Schermbeck. Im NRZ-Interview spricht Schermbecks Bürgermeister Mike Rexforth über die Folgen der Flüchtlingskrise, den Haushalt und mögliche Steuererhöhungen.
Mike Rexforth geht in sein neuntes Jahr als Bürgermeister der Gemeinde Schermbeck. Im NRZ-Interview mit Johannes Kruck nimmt der 53-jährige Christdemokrat Stellung zu den Themen, die in seiner Gemeinde wichtig sind.
Herr Rexforth, vor allem im vergangenen Jahr 2022 aber auch in der Zeit davor gab es für Sie besondere Herausforderungen zu meistern – wie blicken Sie darauf zurück?
„Was von 2014 an bis heute an Herausforderungen und Krisen gelaufen ist, das war schon nicht ohne. Meine Bürgermeister-Vorgänger hatten eine davon in den zehn Jahren – ich musste auf die erste Flüchtlingskrise, die Finanzkrise, Corona, die zweite Flüchtlingswelle, den Ukraine-Krieg mit der steigenden Inflation und den Problemen mit der Versorgung reagieren – dies war schon mit großen Anstrengungen und Herausforderungen verbunden.“
Stichwort Flüchtlingskrise: Wie wird die Gemeinde damit konkret umgehen?
„Die große Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger Wohnraum zur Verfügung zu stellen, hat uns sehr geholfen. Zusammen mit der Caritas haben wir die Unterbringung – schon seit der ersten Flüchtlingswelle – bisher gut gemeistert. Zur Wahrheit gehört aber auch: Diese Krise ist noch lange nicht vorbei, denn die Beschaffung von Wohnraum ist die eine Aufgabe und die sich daran anschließenden Aufgaben – Betreuung der Kinder in Tageseinrichtungen, in Schulen, in OGS, die Sprachbarrieren zu mildern – die andere.“
Worin besteht dabei die größte Unkalkulierbarkeit?
„Der gemeindliche Eigenanteil an der Finanzierung dieser Unterbringung und weiteren Versorgung ist noch nicht klar. Wir bekommen zwar pauschal eine Erstattung vom Land pro Flüchtling, aber ob diese 875 Euro pro Monat tatsächlich reichen den Bedarf zu decken, das wage ich zu bezweifeln. Krankenkosten sind das große Fragzeichen und auch die Folgekosten der Betreuung werden vom Land ja auch nicht mitbetrachtet. Das muss alles mal auf den Tisch gelegt werden, denn ohne diese Betreuung, die ich als Pflichtaufgabe einer Gemeinde ansehe, wird wie Integration auf Dauer nicht gelingen.“
Zwei Nachfragen zur Unterbringung: Wann wird der bestellte Wohncontainer zur Verfügung stehen? Und halten Sie es für möglich, dass noch mal Sporthallen für Flüchtlinge genutzt werden?
„Beim Container wird in der siebten Kalenderwoche die Bezugsfähigkeit hergestellt sein – bis zu 100 Personen können dann dort untergebracht werden. Aber wir haben auch keine Alternativen mehr, alle Wohnungen und Unterkünfte sind belegt. Wir sind jetzt schon in der Planung für eine weitere Unterkunft. Noch mal Turnhallen zu nutzen, ist definitiv nicht unser Ziel.“
Das Thema Wohnen hat seit Anfang 2022 an einer anderen Stelle der Gemeinde zu vielen Diskussionen geführt: Auf dem Gahlener Campingplatz Hohes Ufer/Overbeck, für den der Kreis Wesel eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen hat. Wie ist dort die aktuelle Lage?
„Einige der Bewohner sind natürlich schon der Auflage gefolgt und haben Schermbeck verlassen, haben sich um Wohnraum in anderen Kommunen bemüht. Einige scheinen zumindest noch dort zu wohnen. Da wird sicher der Kreis Wesel auch noch mal weiter vorgehen. Dauerhaftes Wohnen auf den Schermbecker Campingplätzen ist rein planungsrechtlich nicht erlaubt. Jetzt wird nach und nach auch der nächste Campingplatz untersucht werden: Wenn dort dauerhaftes Wohnen vorgefunden wird, wird’s dort die gleiche Konsequenz haben wie am Hohen Ufer. Die Zustände, in denen die Menschen dort gelebt haben, waren nicht menschenwürdig und auch hochgefährlich, weil teilweise mit Gas geheizt wurde, Flaschen ungesichert herumstanden und Brandabstände nicht da waren.“
An der Erler Straße hätte (nach der ursprünglichen Planung) in diesen Wochen ein neuer Einkaufs- und Wohnkomplex zwischen der Ludgeruskirche und der Heinestraße eröffnen sollen – diese Projekt hat sich stark verzögert. Wie ist der der Stand der Dinge?
„Diese Ansiedlung ist für die Nahversorgung von Altschermbeck unverzichtbar – vor allem auch mit dem Ziel der massiven Reduzierung um mehr als 50 Prozent des motorisierten Individualverkehrs. Man befindet sich jetzt auf der Zielgeraden: Es liegt aber nicht an der Gemeinde und auch nicht an den Investoren – es liegt letztlich daran, dass man auch mit dem Nachbarn ein Einvernehmen erzielen muss. In dem Fall ist die Kirche nicht unbedingt selbstbestimmend, weil auch das Bistum Münster da mit drin hängt. Ich hoffe, dass wir in den nächsten vier Wochen zu einer Lösung kommen, die uns in die Lage versetzt, das Bauleitplanverfahren zu Ende zu bringen. Dann könnte – teilweise mit einer Umplanung – bis zu den Sommerferien in die finalen Planungen eingestiegen werden. Mitte 2024 wäre der Baubeginn denkbar, die Fertigstellung Ende 2025 halte ich dann für nicht unrealistisch.“
Ein weiteres Leuchtturmprojekt soll das neue Bildungszentrum werden - wie sieht es hier aus?
„Wir sind zusammen mit den Planungsbüros jetzt in der Erstellung des Raumkonzepts unter Beteiligung der Lehrer, der Elternschaft, der Träger, des Offenen Ganztags und der Politik. Der nächste Workshop steht Ende Januar wieder an. Erklärtes Ziel ist spätestens im Sommer das Raumkonzept final beschließen zu lassen, daran anschließend würde sich ein Architektenwettbewerb ergeben.“
Zur finanziellen Lage: Ende vergangenen Jahres hat Kämmerer Alexander Thomann für die kommenden drei Jahre teils deutliche Steuererhöhungen vorgeschlagen. Ist dieser Weg aus Ihrer Sicht der Richtige?
„Der Kämmerer hat ein Worst-Case-Szenario aufgestellt, das davon ausgeht, dass die Situation am Energiemarkt sich so weiter zeigen wird, dass die Kreisumlage, wie sie sich jetzt erhöht, weiter entwickeln wird und dass wir keine Kompensationsleistungen durch Bund und Land bekommen. Dann wären wir nach neun Jahren Haushaltssicherungskonzept gar nicht mehr in der Lage unsere Aufwendungen weiter groß zu reduzieren: Alleine die Steigerung der Kreisumlage und die erhöhten Energiekosten fressen unsere komplette Grundsteuer B. Wie sollen wir sonst 2,5 Millionen Euro fremdbestimmte Kostensteigerung außer über Steuererhöhungen kompensieren? Das funktioniert überhaupt nicht.“
Gibt es dazu keine Alternativen?
„Natürlich müssen wir unsere Ausgaben noch mal auf den Prüfstand stellen. Und natürlich haben wir auch freiwillige Leistungen weiterhin – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Politik jetzt eine Rückzieher macht und die grundsätzliche Entscheidung zur IT-Ausstattung in den Schulen verändern wird – alleine die Entscheidung kostet uns jährlich 400.000 Euro. Man muss nicht jeden mit einem IPad ausstatten, man kann das durchaus anders lösen – aber wir haben uns in Schermbeck auf diesen Weg gemacht, der meines Wissens einzigartig ist in NRW. Ein beliebtes Thema sind immer die Personalkosten, die durch Tarifsteigerungen steigen: Aber ich kann ja nicht einfach Leute rausschmeißen, um das zu kompensieren. Dann gehört es auch zur Wahrheit dazu, dass man – mangels finanzieller Ausstattung von oben – am langen Ende über Ertragssteigerungen nachdenken muss – das sind dann nun mal die Steuereinnahmen. Das muss man dann auch dem Bürger erklären, wo die Ursachen liegen und die liegen nicht im Misswirtschaften der Gemeinde Schermbeck, sondern die sind zum überwiegenden Teil fremdbestimmt.“
Könnte man nicht erst mal auf Rücklagen zurückgreifen?
„Wir haben zwar noch knapp fünf Millionen Euro auf dem Konto liegen, aber die werden bei den Investitionen, die wir vor der Brust haben – wie die Schule – auch nicht reichen. Wir müssen uns also Liquidität beschaffen: Wenn wir sie nicht von anderen bekommen, dann müssen wir letztendlich zu Steuererhöhungen kommen. So ehrlich muss man sein.“
Abschließendes Thema: In den vergangen Tagen und Wochen haben Sie sehr emotional und erbost auf mehrere Fälle von Vandalismus in Schermbeck reagiert. Was geht da in manchen Menschen vor?
„Wir waren schon vor zwei Jahren im sechsstelligen Schadensbereich an den Schulen – mit Stahlkugelgeschossen, die Scheiben zerstört haben. Jetzt wiederholt es sich – es ist unglaublich schlimm für mich zu beobachten, dass dies zur Normalität geworden ist. Das Schlimme ist ja, das man immer größere Schwierigkeiten auf der Versicherungsseite bekommt. Und es ist ja nicht nur öffentliches Eigentum: Man geht ja jetzt schon soweit, dass man Ehrenamt mit Füßen tritt, indem man den schönen Aufenthaltsort der Schermbecker Kilianer mutwillig zerstört – das hauen solche Vollidioten in einer Nacht mal eben kaputt. Ich kann das nicht verstehen! Die Verrohung ist hier teilweise auch zu erkennen und macht mir richtig Sorgen – für solche Taten kann es nur soziale Ächtung geben, sowas kann man nicht dulden. Mir kann keiner erzählen, dass niemand weiß, wer es war. Jeder vernünftige Schermbecker muss doch sagen: Nein das wollen wir nicht, das geht nicht! Ich möchte die Verursacher erst mal verstehen, warum sie das machen, und dann versuchen ihnen zu helfen. Die machen sich sonst ihr ganzes Leben kaputt.“