Mülheim. Zwischen Leerstand, neuen Ideen und jungen Macher: Pieper, Folkenborn, Clever und andere Alt-Mülheimer Geschäfte sind weg. Was kommt danach?
In der Mülheimer City wie auch in den Stadtteilen haben in den vergangenen Jahren etliche Fachgeschäfte geschlossen. Sie werden nicht wiederkommen. Was ist überhaupt noch möglich? Sechs Beispiele aus der Innenstadt.
Herrenausstatter Clever: Ladenlokal günstig zu vermieten
Die Schließung liegt noch nicht lange zurück. Mitte Juni 2023 endete der Räumungsverkauf, danach gab Inhaber Dirk Radeke den Herrenausstatter Clever an der Leineweberstraße 37-39 auf. Aus Altersgründen, wie er erklärte. Radeke hoffte auf einen Nachfolger, der an dieser Adresse auch künftig hochwertige Männermode verkauft. Davon ist aktuell nichts zu sehen. Vielmehr liegt das Erdgeschoss des gelben Hauses verlassen da. In den Schaufenstern hängen großformatige Schilder: „Ladenlokal zu vermieten.“
Laut Exposé auf der Website der Immobilienfirma ist das Objekt in zentraler Lage ab sofort „günstig“ zu vermieten. In der Beschreibung heißt es unter anderem: „Das Objekt liegt im Erdgeschoss des Hauses mit werbewirksamer großer Fensterfront zur Leineweberstraße und bietet für viele Geschäftsideen ideale Voraussetzungen, insbesondere z.B. für eine Apotheke, ein Versicherungsbüro oder ein Sanitätshaus, da das Geschäft ebenerdig erreichbar ist und in einem Ärztehaus liegt.“ Der Quadratmeterpreis: sieben Euro.
Tabak Budde: Musikschule und Workshops geplant
Zur Jahreswende 2020/21, im zweiten Corona-Lockdown, machte Marc Budde seinen Laden am Löhberg 4 dicht, um sich auf die Zweigstelle an der Aktienstraße zu konzentrieren. Gegründet wurde der Familienbetrieb im Jahr 1965. In der Innenstadt-Filiale gab es neben Tabakwaren auch Ticketvorverkauf. Als Gründe, warum Tabak Budde den Standort verließ, nannte der Inhaber damals den unattraktiven Zustand der Mülheimer City, Spannungen mit dem Hauseigentümer und den Wunsch, persönlich kürzer zu treten.
Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2022 nutzte der Verein Rolli Rockers Sprösslinge das Ladenlokal, um dort Spenden für Geflüchtete zu lagern und zu verteilen. Auch der Hauseigentümer, LEG-Immobilien, half dabei maßgeblich mit, indem er den Ehrenamtlichen die Räumlichkeiten mietfrei überließ. Inzwischen ist die Anlaufstelle „Ukraine-Hilfe“ wieder geschlossen. Auf der Fläche stehen noch einige Möbelstücke, Bretter, Bilder, blaue Säcke. Nebenan brennt behagliches Licht bei Michael Fehst: In der letzten inhabergeführten Buchhandlung der Mülheimer Innenstadt beginnt das Weihnachtsgeschäft.
Im neuen Jahr soll auch die frühere Fläche von Tabak Budde wieder aufgehübscht und genutzt werden. Rolli Rockers darf die Räumlichkeiten fünf Jahre lang mietfrei nutzen, das haben der Vereinsvorsitzende Bernd Nierhaus und die Eigentümer jetzt auf Anfrage bestätigt. Eine LEG-Sprecherin erklärt: „Das Lokal mag aktuell leer erscheinen, der Verein hat uns jedoch mitgeteilt, dass er seine gemeinnützigen Aktivitäten anderweitig fortführen möchte.“ Geplant sei eine Musikschule für Flüchtlingskinder sowie Kinder aus benachteiligten Familien, außerdem kreative Workshops rund um Gesang und Tanz. „Auf der Basis möchten wir die Räumlichkeiten langfristig mietfrei zur Verfügung stellen“, so die LEG-Sprecherin weiter, „da wir das Engagement des Vereins für diesen guten Zweck begrüßen.“ Die Renovierung solle nach Weihnachten starten, ergänzt Bernd Nierhaus.
Buchhandlung Max Röder: Hier werden jetzt Kleinkinder betreut
Mit der Buchhandlung Röder verlor die Mülheimer Innenstadt im Juni 2018 ein Geschäft, das eine ungewöhnlich lange Historie hatte: 1845 wurde es gegründet, seit 2011 befand es sich an der Leineweberstraße 52. Dann gab Inhaber Klaus Bloem altersbedingt auf, aber wohl auch, weil das Bücherverkaufen schwieriger wurde und kein Nachfolger zur Verfügung stand.
Literatur gibt es an dieser Adresse in der City nicht mehr, allenfalls Bilderbücher. Aber eben auch keinen Leerstand. Nahid Muhammad hat hier ein Kindertagespflegenest eröffnet, das „Mülheimer Haus der kleinen Füße 2“ - ein weiteres betreibt sie am Löhberg. Betreut werden Babys und Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren. „Das Ladenlokal ist nach dem Auszug von Herrn Bloem direkt wieder vermietet worden“, sagt Citymanagerin Gesa Delija.
Fleischerei Pieper: Geschäft wartet voll eingerichtet auf neue Betreiber
Dagegen steht ein anderes ehemaliges Traditionsgeschäft an der Leineweberstraße, die Fleischerei Pieper, seit über vier Jahren leer. Ende Juli 2019 wurde hier die letzte Scheibe Wurst verkauft, der um 1860 gegründete Betrieb hatte ohne große Ankündigung geschlossen. Eines der ältesten Mülheimer Familienunternehmen verschwand. Achim Pieper, Inhaber in vierter Generation, sparte sich eine offizielle Begründung.
Die Fleischerei steht seitdem äußerlich unverändert da, nur mit einem Rolltor verschlossen. Niemand hat bislang die Ladenreklame abmontiert, die Theken und Kassen weggeräumt. Im Spätherbst 2023 blühen im Schaufenster immer noch die künstlichen roten Tulpen. Der Inhaber bemüht sich, einen neuen Betreiber für die alteingesessene Metzgerei zu finden, und tatsächlich gibt es jetzt einen ernsthaften Interessenten, der das Geschäft nach langer Pause anmieten und wiedereröffnen könnte. Er hat sich bei der Veterinärabteilung des Ordnungsamtes gemeldet, teilt die Stadt Mülheim auf Anfrage mit.
Es habe auch schon ein Beratungsgespräch und eine Besichtigung der Räumlichkeiten stattgefunden, heißt es aus dem Veterinäramt. Der Interessent plane einen Betrieb, in dem angeliefertes Frischfleisch zerlegt und verarbeitet wird, um die Produkte außer Haus zu verkaufen. Ein solcher Betrieb müsste zunächst vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv NRW) zugelassen werden. „Ein Konzept zu dem Vorhaben wurde noch nicht eingereicht.“ Ob weiterhin Interesse an der Anmietung besteht, kann die Stadt daher nicht sagen.
Radio Giesbert: Familienbetrieb Tepel kam und will bleiben
Mit dem Verkauf von Elektrogeräten, Kundendienst und eigener Meisterwerkstatt konnte sich Radio Giesbert lange in Mülheim halten. 2014 war das inhabergeführte Fachgeschäft von Saarn in die Innenstadt gezogen, an die Ecke Löhberg / Kohlenkamp. Doch schon vier Jahre später, im Juni 2018, war Schluss.
Eingezogen ist wenig später ein anderes Mülheimer Traditionsgeschäft mit technischem Schwerpunkt: die Firma Tepel, deren Ursprünge bis in das Jahr 1835 zurückgehen, anfangs als Schlosserei. Aus Tepel am Markt, mit reichem Sortiment an Haushaltswaren, wurde Ende 2018 ein verkleinertes Fachgeschäft für Sicherheitstechnik. „Wir müssen mit der Zeit gehen“, kommentierte Marion Espitte den Umzug, die das Geschäft gemeinsam mit ihrem Ehemann Rüdiger betreibt. Geplant ist, dass Sohn Henrik den Betrieb übernimmt. Der Wechsel in die Verantwortung der jungen Generation stehe „unmittelbar bevor“, sagte Rüdiger Espitte jetzt auf Anfrage. Tepel werde am aktuellen Standort bleiben, „wenn uns die Miete nicht wegläuft“.
Elektro Folkenborn: Junge Geschäftsleute füllen die Lücke
Mehr als ein Jahrhundert lang gab es bei Folkenborn am Mülheimer Rathausmarkt Elektrogeräte, Lampen, Schalter, Kaffeemaschinen, Deko-Artikel. Am Ende gehörte der frühere Familienbetrieb einer Essener Elektrotechnikfirma. Im vergangenen Februar ging am Löhberg 76 das Licht aus. Der Kundenzulauf sei zu gering, hieß es zum Abschied.
Das wollen die neuen Ladenbetreiber nicht hoffen. Denn tatsächlich hat sich das ehemalige Elektrogeschäft wieder mit Leben gefüllt. Seit einigen Wochen ist hier auf der linken Seite des Eingangs die Eisbar Sorelli’s ansässig, auf der rechten Seite „Good Life“, ein sogenannter Concept-Store. Beide Geschäfte sind vom Kohlenkamp an den Rathausmarkt umgezogen, also keine echten Neueröffnungen in der Mülheimer Innenstadt.
Für Julian Schick, den Inhaber von „Good Life“, war die günstigere Miete ausschlaggebend für die Verlagerung seines Shops, erklärt er. „Bummeln findet in Mülheim nicht statt. Wenn, kommen Kunden gezielt“, so seine Erfahrung. Daher sei es unproblematisch, sich in weniger zentrale Lage zu begeben. Außerdem hoffe er, dass die geplante Umgestaltung des Rathausmarktes seinem Geschäft etwas mehr Zulauf bringen könnte. Gelegentlich kämen noch ältere Kundinnen und Kunden in seinen Laden, die Glühbirnen kaufen möchten. „Sie sagen: ‚Ich war immer bei Folkenborn. Wo bekomme ich die jetzt her?‘“ Auch für Julian Schick keine leicht zu beantwortende Frage.
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